Steuerskandal:Deutsche Behörden setzen Cum-Ex-Verdächtigen auf Most-Wanted-Liste

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Sein Konterfei wird an Flughäfen zu sehen sein, womöglich an denselben Pinnwänden wie die Fahndungsplakate des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek: Paul Mora. (Foto: BKA, Bearbeitung: SZ)

Paul Mora gilt als Schlüsselfigur im Cum-Ex-Skandal. Bislang drückt er sich vor einem Verfahren in Deutschland - jetzt wird er international gesucht.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt, Frankfurt/München

Die entscheidende Provokation erreichte das Landgericht in Wiesbaden am 29. September. Paul Mora, Neuseeländer, altgedienter Investmentbanker mit zweifelhaftem Ruf, teilte in vier knappen Absätzen mit, er werde natürlich nicht an der Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung in dreistelliger Millionenhöhe teilnehmen. Dazu verwies er auf einen Schriftsatz seiner Anwälte vom Sommer, wonach das Verfahren gegen ihn ohnehin eingestellt werden müsse. Außerdem stünden seiner Anreise nach Deutschland auch noch "praktische Gründe" entgegen, wegen der Corona-Krise: Mora sei Diabetiker und damit Risikopatient.

So leicht kann man sich also einem der meist beachteten Wirtschaftsprozesse in Deutschland entziehen? Indem man einfach eine Entschuldigung schreibt?

Die Behörden in Deutschland haben nach Moras letztem Brief offenbar die Geduld verloren. Seit dem Jahreswechsel liegt ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vor. Am Dienstagmorgen gaben die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und das Bundeskriminalamt bekannt, dass Mora weltweit zur Fahndung ausgeschrieben sei. Sein Name steht von nun an auf der Most-Wanted-Liste von Interpol. Sein Konterfei wird an Flughäfen zu sehen sein, womöglich an denselben Pinnwänden wie die Fahndungsplakate des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek. Neben ihm ist Mora jetzt offiziell einer der meistgesuchten mutmaßlichen Wirtschaftskriminellen in Europa.

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Mehr als zehn Milliarden Euro Schaden, mehr als 1000 Beschuldigte

Dreieinhalb Jahre sind mittlerweile vergangen, seit die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft Anklage erhoben hat gegen Mora. Wegen seiner Rolle als Manager im Investmentbanking bei der Hypo-Vereinsbank (HVB) in London bei Aktiengeschäften, die später unter der Überschrift "Cum-Ex" Ermittler und Gerichte quer durch die Republik beschäftigen sollten. Die beteiligten Börsenhändler, Banker und Anwälte hatten Wege gefunden, sich beim Handel mit Aktien mehr Kapitalertragsteuer erstatten oder anrechnen zu lassen, als sie zuvor gezahlt hatten. Die Folgen: mutmaßlich illegale Profite aus der Steuerkasse, insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro Schaden, mehr als 1000 Beschuldigte. Es stehen Dutzende Prozesse an, nur ein einziges in Teilen rechtskräftiges Urteil wegen Steuerhinterziehung gibt es bislang - am Landgericht Bonn, gegen den einst wichtigsten Mitarbeiter und später engsten Geschäftspartner von Mora.

In der Aufarbeitung des Skandals fällt der Name des 53-jährigen Neuseeländers ausgesprochen häufig. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren, um das Ausmaß des Schadens zu verstehen, der dem deutschen Fiskus vor allem in den Jahren 2006 bis 2012 entstanden ist. Ende 2011 versiegte die Geldquelle der Cum-Ex-Akteure nach einer Gesetzesänderung weitgehend. Mora war da mutmaßlich schon Multimillionär; in Anwaltskreisen gilt er als einer der reichsten Cum-Ex-Akteure überhaupt.

Moras Verteidiger erklärten in einer am Dienstagmittag verschickten Stellungnahme, ihr Mandant bestreite "energisch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe" und behalte sich seine Rechte vor, "als neuseeländischer Staatsbürger in seinem Heimatland zu verbleiben". Unter anderem sehe er sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Die deutschen Behörden habe Mora fortwährend über seinen Status und seinen Wohnsitz informiert und sei daher "in keiner Weise auf der Flucht vor dem Gesetz".

Die Millionen flogen nur so umher

Der Aufstieg des Bankers aus Neuseeland begann in den frühen 2000er-Jahren in der Londoner City. Die Zeiten waren wild, die Deals groß, das Investmentbanking entsprach den stilbildenden Klischees schneller Profite und Autos. Nach mehreren Stationen bei internationalen Großbanken leitete Mora bei der HVB von 2004 an ein Team, das sich mit komplexen Handelsstrategien beschäftigte, unter anderem mit Cum-Ex-Strukturen. Stark vereinfacht also mit der Frage, wie man die Eigenheiten des Finanzmarkts gegen die Steuergesetze von Ländern ausspielen konnte. Wie man aus der Staatskasse Profit für die Bank schlagen konnte.

Was für die Bank funktionierte, war auf eigene Rechnung noch ertragreicher. Nach vier Jahren bei der HVB machten sich Mora und sein Mitarbeiter Martin S. selbständig, erst mit der Ballance-Gruppe und später unter anderem Namen. Eigenhandel, Handel für Kunden, Geschäfte mit der HVB und mit der Deutschen Bank, Geschäfte mit deutschen Landesbanken und der Privatbank M. M. Warburg: Die Millionen flogen nur so umher.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt will Mora wegen Vorgängen aus seiner Zeit bei der HVB vor Gericht sehen. Und das schon lange: In der Anklageschrift vom 27. September 2017 werfen die Ermittler Mora und den fünf anderen Angeklagten besonders schwere Steuerhinterziehung in insgesamt 14 Fällen vor, mit einem Schaden von 113 Millionen Euro. Nach mehr als drei Jahren ließ das Landgericht Wiesbaden im vergangenen Herbst die Anklage zu. Auch Moras Ex-Partner Martin S. und ihr früherer Kollege Nick D., die das Landgericht Bonn im März 2020 wegen anderer Cum-Ex-Fälle zu Bewährungsstrafen verurteilt hatte, sind erneut angeklagt.

Nachdem der Wiesbadener Prozess mehrmals verschoben wurde, soll er nun am 25. März beginnen. Auch gegen den mitangeklagten Steueranwalt Hanno Berger liegt ein Haftbefehl vor. Er weist alle Vorwürfe zurück.

In anderen Fällen der Staatsanwaltschaft Köln haben sich per Haftbefehl gesuchte Verdächtige im Ausland gestellt und sind teilweise gegen Kaution wieder frei. Berger wohnt in der Schweiz und ist dort bis auf Weiteres vor dem Zugriff der deutschen Justiz sicher.

Im Gegensatz dazu ist der tatsächliche Aufenthalt von Paul Mora den Behörden offenbar ein Rätsel. In seinem Schreiben vom vergangenen September ließ er zwar wissen, er halte sich in Neuseeland auf, seine Wohnadresse habe er bei früherer Gelegenheit bereits mitgeteilt. Ende 2020 aber wurde eine Villa in Christchurch verkauft, die ihm gehört hatte. Ob er wirklich noch in seinem Heimatland weilt, scheint mit einem Mal nicht mehr so klar, auch wenn seine Anwälte darauf verweisen, Mora lebe und arbeite nach wie vor in Neuseeland. Deshalb fragen das BKA und die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft jetzt eben plakativ: Können Sie Hinweise zum Aufenthaltsort von Paul Robert Mora geben?

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