Als sich nach dem Börsenkrach 1929 die Lage der Industriestaaten eintrübte, geriet auch Deutschland unter Druck. Reichskanzler Heinrich Brüning reagierte mit Austerität: Er kürzte die Staatsausgaben und erhöhte Steuern. Brüning führte sogar neue Steuern ein, für Kaufhäuser, Mineralwasser - und Alleinlebende. Was dazu beitrug, dass die Wirtschaft völlig abstürzte. Zwei Jahre später hatte das Land drei Millionen Arbeitslose mehr. Zwei weitere Jahre später, 1933, ergriff Adolf Hitler die Macht.
Seitdem hat sich die Ökonomie entwickelt. John Maynard Keynes empfahl Staaten, Krisen durch Geldausgeben zu verkürzen, statt sie durch Kürzungen zu verstärken. Politiker griffen das auf, nicht immer richtig, aber doch häufig zum Wohl der Bürger. Das deutsche Konjunkturpaket gegen Corona ist eine prominente Übung darin. Statt gar nichts zu tun, wie Skeptiker forderten, tut die Regierung besonders viel - zu Recht.
Gegen einen Wirtschaftseinbruch, der so tief ist wie einst in den Jahren nach 1929, hilft nicht irgendein Paket. Die Regierung präsentiert einen akzeptablen Mix: Geld für bisher ignorierte mittlere Firmen, für Künstler und zumindest in gewissem Maß für Forschung, Digitalisierung und Klimaschutz. Vor allem jedoch stimuliert sie durch Kinderbonus und weniger Mehrwertsteuer den Konsum.
Dieser Mix fällt positiv auf, weil man Schlimmeres befürchten musste: Die Union wollte ursprünglich per Kaufprämie die Autolobby bedienen. Und die SPD fixierte sich zunächst auf ein Streichen kommunaler Schulden, was deren Investitionen stützen würde, aber im Ruch eines Diensts für SPD-Bastionen steht.
Statt Partei-Steckenpferde zu reiten, gelingt es der Regierung, die Bürger mit einer Senkung der Mehrwertsteuer zu überraschen. Sie schafft es, dass die Bürger darüber reden, statt weiter zu grübeln, ob der nächste Shutdown kommt. Genau so einen Impuls, im SPD-Deutsch Wumms, braucht es gegen die Angst der Menschen, die derzeit wenig kaufen.
Die Regierung lockt ein Volk von Schnäppchenjägern, das Angstsparen zu lassen
Es ist ja klar, dass viele um ihren Job fürchten, wenn Millionen kurzarbeiten. Auch weniger Einkommen hält vom Konsum ab. Und Einkaufen mit Maske und Abstand ist gewöhnungsbedürftig. Gegen diese Hemmnisse könnte helfen, wenn Produkte jetzt billiger werden. Die Regierung lockt ein Volk von Schnäppchenjägern, das Angstsparen zu lassen. Sie regt Konsumenten zum Konsum an und Firmen, wegen der besseren Aussichten ihre Mitarbeiter zu halten.
Aber reichen die Firmen die Senkung der Mehrwertsteuer überhaupt an die Verbraucher weiter? Die Forschung erlaubt vorsichtigen Optimismus. Als Großbritannien die Steuer in der Finanzkrise 2008 für ein Jahr kappte, landete dies nach Schätzungen zu drei Vierteln bei den Konsumenten.
Es ist denkbar, dass eine Steuersenkung in der jetzigen Ausnahmesituation besonders gut wirkt. Schließlich ist es eine nationale Aufgabe zu verhindern, dass die Pandemie unseren Wohlstand vernichtet. Wenn Geschäfte mit Verweis auf die Steuersenkung billiger anbieten, dürfen sie auf öffentlichen Beifall zählen, der in der Social-Media-Ära Geld wert ist. Stecken umgekehrt Firmen die Steuersenkung voll in die eigene Tasche, droht ihnen ein Shitstorm, wie ihn kürzlich Adidas erlebte, als der Konzern seine Ladenmieten nicht mehr zahlen wollte.
Die Regierung kann die Entwicklung beobachten und nachjustieren. Zentral ist, dass sie sich um die finanzielle Lage ihrer Bürger kümmert, damit die sich nicht in den Konjunkturabsturz sparen. Ja, die Deutschen können durchaus froh sein, gerade von Angela Merkel und Olaf Scholz regiert zu werden - und nicht von Donald Trump oder dem Austeritätskanzler Heinrich Brüning.