Manchen geht es nicht schnell genug. Um der Corona-Pandemie Herr zu werden, fordert FDP-Vorsitzender Christian Lindner eine "Krisenproduktion". Nicht nur Biontech und Pfizer sollen den gemeinsamen Impfstoff herstellen, sondern auch andere Unternehmen in Lizenz.
Wie viel Impfstoff steht zur Verfügung?
Bis Ende Januar 2021 werden in Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium drei bis vier Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen, das sind 670 000 Impfdosen pro Woche. Für das erste Quartal wird mit elf bis 13 Millionen Dosen gerechnet. Für das gesamte Jahr bekommt Deutschland von Biontech mehr als 85 Millionen Impfdosen. Wenn alle Impfstoff-Kandidaten zugelassen werden sollten, erhält Deutschland voraussichtlich insgesamt 300 Millionen Dosen.
Wer liefert?
In der Europäischen Union ist bislang nur der Impfstoff des Duos Biontech und Pfizer zugelassen. Sie sind die Originalhersteller des mRNA-Impfstoffes BNT162b2.
Was ist eine Lizenz?
Lizenzen sind in der Pharmaindustrie üblich. Sie ermöglichen es dem Unternehmen, das ein Arzneimittel entwickelt und zur Zulassung gebracht hat, über Lizenzgebühren Einnahmen zu generieren, die es mit seiner eigenen Produktionskapazität oder seinem eigenen Länder-Vertriebsnetz nicht selbst erzielen könnte. Das macht dann der Lizenznehmer, der sich auch um die Zulassung in den Ländern kümmert, die er beliefern möchte. Er kann, erklärt Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VfA), dem Lizenzgeber zum Beispiel eine Gebühr in Abhängigkeit vom Umsatz zahlen oder eine pauschale Summe. In einem Vertrag regeln Lizenzgeber und -nehmer unter anderem, für welches Produkt, für welche Märkte und für welche Dauer die Lizenz vergeben wird. Sie beinhaltet, so der VfA-Sprecher, einen "umfassenden Technologietransfer". Der Lizenzgeber muss dem Lizenznehmer nicht nur die Zusammensetzung des Arzneimittels offenlegen, sondern auch, wie es produziert wird.
Wie schnell lässt sich eine Produktion in Lizenz aufbauen?
Ganz so schnell geht es nicht, sagt VfA-Forschungssprecher Hömke. Der Lizenznehmer muss den Zulassungsbehörden nachweisen, dass er das lizenzierte Produkt in derselben Qualität herstellen kann wie der Originalanbieter - andernfalls könnte er sich nicht auf die Studienergebnisse des Originalherstellers berufen und müsste eigene Studien mit Freiwilligen durchführen. Wie langwierig der Aufbau einer Produktion ist, zeigt Biontech selbst.
Was ist eine Zwangslizenz?
Es ist nicht ganz einfach, ein Arzneimittel ohne Zustimmung des Patentinhabers zu produzieren - aber nicht ausgeschlossen. Artikel 31 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum, kurz Trips, erlaubt Mitgliedsstaaten, Konkurrenten des Patentinhabers Zwangslizenzen einzuräumen, sagt Martin Stierle vom Lehrstuhl für geistiges Eigentum der LMU München. Die WTO trägt damit dem Umstand Rechnung, dass für viele Menschen in Entwicklungsländern Arzneimittel unerschwinglich sind. Staaten, die so etwas erwägen, müssen aber einige Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen vorher mit dem Patentinhaber über eine freiwillige Lizenz verhandelt haben und in einem vernünftigen Zeitraum nicht zu einem Ergebnis gekommen sein. Falls es sich um einen nationalen Notstand handelt oder um eine öffentliche, nicht gewerbliche Nutzung, sind solche Verhandlungen nicht nötig.
Was steht im Patentgesetz?
Viele Produkte und Technologien sind durch Patente geschützt. Für den Impfstoff von Biontech und Pfizer gibt es nicht nur ein Patent, sondern viele, weil es sich bei der eingesetzten Technologie um eine Plattform handele, erläutert eine Sprecherin des Unternehmens: "Es gibt etliche Patente, die einzelne Teile/Schritte abdecken." Auf Basis der Boten-RNA sollen auch andere Impfstoffe entwickelt werden. Nach Paragraf 13 des Patentgesetzes tritt die Wirkung des Patents allerdings nicht ein, wenn die Bundesregierung anordnet, dass die Erfindung im "Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll". Im Interesse der Sicherheit des Bundes kann die Benutzung der Erfindung von der zuständigen obersten Bundesbehörde oder in deren Auftrag von einer nachgeordneten Stelle angeordnet werden.
Was steht im Infektionsschutzgesetz?
Paragraf 5 des neuen Infektionsschutzgesetzes nimmt Bezug auf Paragraf 13 des Patentgesetzes. Das Bundesgesundheitsministerium kann im Rahmen der vorliegenden epidemischen Lage von nationaler Tragweite eine nachgeordnete Behörde beauftragen, eine solche Benutzungsanordnung zu treffen. Das gilt nicht nur für Arzneimittel, sondern für eine ganze Reihe von Produkten, darunter auch Labordiagnostik und Schutzausrüstung. Der Patentinhaber hat aber Anspruch auf eine angemessene Vergütung.
Wurden schon Lizenzen für Impfstoffe vergeben?
Ja. Der schwedisch-britische Konzern Astra Zeneca zum Beispiel, der gemeinsam mit dem Jenner-Institut der Universität Oxford einen Impfstoff entwickelt, hat mit dem Serum Institute of India (SII) eine Lizenzvereinbarung getroffen. Es soll Hunderte Millionen Dosen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen herstellen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Montag berichtete, rechnet das SII schon in wenigen Tagen mit einer Notfallzulassung. In der EU ist der Impfstoff des Duos Astra Zeneca/Oxford noch nicht zugelassen. Auch die deutsche Tochter des russischen Konzerns R-Pharma hat eine Lizenz von Astra Zeneca.
Gibt es Alternativen zu Lizenzen?
Ja. Viele Unternehmen kooperieren, um schneller Kapazitäten aufzubauen. Schon im März hat Biontech zwei Kollaborationsverträge geschlossen. In China wird Fosun Pharma den von Biontech entwickelten Impfstoff anfänglich nur vermarkten. Es gibt dort noch keine Produktion. Im nicht kleinen Rest der Welt hat sich Biontech mit dem US-Konzern Pfizer zusammengetan; sie teilen sich halbe-halbe Kosten und potenzielle Erlöse. Kooperationen sind strategisch klug, denn vergleichsweise junge und kleine Unternehmen wie Biontech verfügen nicht über die Finanzkraft und das Vertriebsnetz "alter" Konzerne wie in diesem Fall Pfizer. Der Konzern hat drei Werke für den Impfstoff in den USA und eines in Belgien.
Was sagt Biontech?
Die Antwort des Mainzer Unternehmens liest sich so, als seien Lizenzen keine Option. Die Herstellung des Impfstoffes BNT162b2 basiere auf einem "komplexen, mehrschrittigen, biotechnologischen Produktionsverfahren und benötigt umfangreiche Fachkenntnisse und eine spezialisierte Ausstattung", teilt eine Sprecherin am Montagabend mit. Bereits während der klinischen Entwicklung haben ihr zufolge Biontech und Pfizer ihre Produktionskapazitäten ausgebaut, um 1,3 Milliarden Dosen im Jahr 2021 herstellen zu können. Beide verfügten damit bereits heute "über eine der größten Produktionskapazitäten für mRNA-Impfstoffe weltweit. Die Sprecherin verweist auf das Werk in Marburg, das Biontech im September vom Schweizer Konzern Novartis erworben habe. Damit werde im Februar eine der größten Produktionsstätten für mRNA-Impfstoffe in Europa in Betrieb genommen. Um die Kapazitäten weiter zu erhöhen, sei Biontech mit "weiteren spezialisierten Unternehmen in Gesprächen", die auf die Herstellung von Bestandteilen des Impfstoffes unter pharmazeutischen Regularien und auf das sterile Abfüllen spezialisiert seien. Mit fünf Herstellern, sogenannten Lohnunternehmern, in Europa seien bereits Verträge geschlossen worden. Dazu zählen die Firmen Rentschler Biopharma, Dermapharm, Polymun und Siegfried. Weitere Verträge seien in Verhandlung, so die Sprecherin am Montag.
Was sagen Wettbewerber?
Das Tübinger Unternehmen Curevac, das selbst einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt, hat kein Interesse an einer Lizenz. "Wir produzieren in unserer Produktionsanlage unseren eigenen vielversprechenden CVnCoV-Wirkstoff", so ein Sprecher. Curevac baue gerade das eigene Produktionsnetzwerk aus. "Sämtliche Kapazitäten sind für unseren Impfstoffkandidaten belegt." Im Falle einer Lizenzübertragung gäbe es zudem die Notwendigkeit eines Technologietransfers, der einige Zeit in Anspruch nehmen würde.