Deutsche Bahn:Ihr Zug hat mal wieder Verspätung? Lesen Sie zum Trost diesen Text

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Zug zu spät, Kaffee leer: Für Vielfahrer ist die Bahn häufig ein Ärgernis. (Foto: dpa)

Für uns Superpendler sind Verspätungen keine Einzelfälle. Wir warten ständig: auf den ICE 885 und auf den Filterkaffee, der erst in Kassel-Wilhelmshöhe an Bord kommt.

Kommentar von Ralf Wiegand

Neulich gab es einen interessanten Beitrag im Schweizer Fernsehen, er befasste sich mit Superpendlern. Das sind Menschen, die in irgendeinem europäischen Land leben und in der Schweiz arbeiten. Aus Deutschland, der Niederlande, Lettland, aus Belgien kommen sie Montagfrüh an und reisen am Freitag wieder zurück. Natürlich: mit dem Flieger. Es sind Tausende, die das so machen. Pendler sind zu einer eigenen Spezies Mensch geworden wie Eremiten, Asketen oder Eunuchen. Sie alle nehmen ihrem Leben freiwillig etwas und leiden einsam. Die Pendler stehlen sich Lebenszeit und versenken sie im Bauch eines Verkehrsmittels.

Nein, das ist nicht super. Nichts am Pendeln ist super, und am unsupersten ist der ökologische Fußabdruck, den die Superpendler auf den Wolken hinterlassen, als Wanderer zwischen den Welten. Und ja, Flugreisende lassen sich geduldig wie Luftfracht am Gate abstellen, bei Flugausfall mit dem Verlust von vielen Stunden umbuchen, sie verlassen sich darauf, dass der Ganzkörperscanner sie wirklich nicht nackig macht, sie werden in enge Reihen gepfercht wie Autos in eine Duplexgarage und werfen vor dem Einsteigen noch schnell das teure Haarspray weg, damit das Handgepäck nur noch 7,99 Kilo wiegt und nichts extra kostet. Alles klaglos.

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Und weil das so jämmerlich, so schäbig, so würdelos ist, lautet ein modernes Argument, sei Bahnfahren einfach toll. Das ist die gleiche Argumentation, mit der ein Fahrrad mit einem platten Reifen besser ist als eines ganz ohne Luft, auch wenn beide nicht fahren. Würde sich der Mensch in seinem Aggregatszustand als Kunde stets mit der zweitschlechtesten Lösung zufrieden geben, wir würden noch alle grunzend in unseren Höhlen hocken und ums Feuer tanzen. Höhle trocken, Feuer warm, schnurr, schnurr, besser als draußen. Fahrgastrechteformular? Hol's das Mammut! Vielfahrer mit der Deutschen Bahn müssen nicht wie diese glücksglucksenden Schatz-ich-nehm-heut-mal-die-Bahnfahrer auf jedem zurückgelegten Gleiskilometer darüber sinnieren, wo sie jetzt wohl mit dem Auto stecken würden, wenn sie heute nicht "mal die Bahn" genommen hätten.

Vielfahrer nehmen nicht die Bahn, sie sind Bahn: Die Strecke zwischen den verschiedenen Enden ihres zerrissenen Lebens ist geschottert und elektrifiziert, in den seltensten Fällen allerdings digitalisiert. Das will die Bahn, ohne sich festzulegen, vielleicht bis 2040 angehen - während rundherum, in der Schweiz oder in Dänemark zum Beispiel, der Prozess bereits heute ganz oder beinahe ganz abgeschlossen ist. Der Bahn fehlen Zehntausende Mitarbeiter, zig Züge und irgendwas um die vier Milliarden Euro, genau in diesem Moment fehlt ihr auch der Kaffee im ICE 885 zwischen München und Hannover. Das Bordrestaurant des ICE 4 ist defekt, so wie das Bordbistro auf drei der letzten fünf Fahrten auf dieser Strecke defekt war; die Filterkaffeepumpkannen waren kurz hinter Würzburg leer, frischer Kaffee soll in Kassel-Wilhelmshöhe geliefert werden. So muss sich das früher angefühlt haben, wenn das Carepaket kam. Hmmm, Filterkaffee!

Auf manchen Umsteigebahnhöfen addieren sich die Verspätungen zu Menschenleben

Ein läppischer Einzelfall? Für Vielfahrer gibt es keine Einzelfälle. Vielfahrer nehmen alles mit, das kleine Kaffeeärgernis, die Zaubertüren zwischen den Waggons, die sich nicht öffnen lassen, den Totalschaden des Triebwagens, alle Störungen im Betriebsablauf, jeden vorausfahrenden langsameren Zug, und okay - lassen wir das mit den Toiletten. Vielfahrer sitzen immer in dem Zug, der auf den Anschlusszug wartet, und nie in dem Zug, auf den gewartet wird. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als eine Reservierung im Wagen 36 für einen Zug, der "heute leider ohne Wagen 36" fährt. Vielfahrer haben schon rein statistisch keine Chance, der Unpünktlichkeitsquote von 30 Prozent und der Zugkaputtheitsquote von 80 Prozent zu entgehen. Auf manchen Umsteigebahnhöfen, etwa in Hannover, addieren sich die durchgesagten Verspätungen zu ganzen Menschenleben, jeden Tag. Zeitfresser.

Es ist so eine Art enttäuschte Liebe. Kritische Bahnkunden haben sich bereits für die Bahn entschieden, gegen das Auto, gegen das Flugzeug. Und für diese Entscheidung möchten sie zurückgeliebt werden, auch weil die Bahn Vielfahrern genau das verspricht: den Gewinn von Lebenszeit. Also von Leben. Die Superpendler der Deutschen Bahn wollen ihren idiotischen Lebensentwurf nicht auch noch allmorgendlich reingerieben bekommen, weil sie auf einem zugigen Bahnhof einem weißen Laufband dabei zuschauen, wie sich die zu erwartende Verspätung von 15 auf 20 auf 30 Minuten steigert, ehe kurz vor dem Eintreffen des Ersatzzuges ("heute ohne gastronomischen Service und ohne Reservierungen") ein Gleiswechsel angesagt wird. Wir wollen es doch nur warm, trocken und pünktlich haben in unserem Höhlenabteil.

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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