Pro: Deutsche Bahn:Sie lieben die Bahn, trotz allem? Dann lesen Sie diesen Text

Deutsche Bahn Inaugurates New High-Speed Connection Between Halle And Leipzig

Über die Bahn wird gerne geschimpft. Dabei hat das Reisen im Zug große Vorteile.

(Foto: Pool/Getty Images)

Schreiben, speisen, schlafen, lesen: alles möglich im Zug. Trotzdem wird permanent auf die Bahn eingedroschen. Geht's noch?

Kommentar von Klaus Ott

Mit der Bahn zu reisen, ist einfach toll. Lesen, schreiben, speisen, schlafen, alles möglich. Davor und danach ein paar Schritte oder auch mehr zu Fuß unterwegs zu sein, tut ebenfalls gut. Und vor allem: Kein nerviges Autofahren auf überfüllten oder gar verstopften Straßen, keine lästige Parkplatzsuche, keine verlorene Zeit, weil sich im Pkw allenfalls telefonieren lässt. Und noch Musik hören. Aber das geht im Zug genauso. Dort lassen sich sogar Filme anschauen.

Doch was machen viele Menschen im Lande: Schimpfen über die Bahn, statt deren Vorteile zu sehen und zu nutzen. Die Deutschen, ein Volk von Nörglern? Nun gut, manches und mancherorts auch mehr als nur einiges funktioniert nicht bei der Bahn. Und ein Streik, bei dem die Fahrgäste auf der Strecke bleiben, ist ärgerlich. Aber das ist, unterm Strich, wenig im Vergleich zu dem, was auf vielen Autobahnen und in vielen Städten los ist; inzwischen selbst in Kleinstädten. Autofahren wird immer mehr zum Stress pur. Doch das wird meist klaglos hingenommen. Weil Autofahren angeblich bequem ist. Es ist aber vor allem geistig bequem. Weil die Wenigsten daran denken wollen, wohin das führt. Noch mehr Autos, noch mehr Flächenfraß, von mehr Klimawandel, mit all den Folgen.

Über die Bahn wird gerne geschimpft, immer und überall. Nicht immer zu Unrecht. Hier fällt ein Zug aus, dort gibt es eine satte Verspätung. Aber wo bleiben eigentlich die Protestwellen der Autofahrer? Die Verkehrsnachrichten im Radio sagen alles. Stau hier, zähflüssiger Verkehr dort, mit Angaben auf die Minute genau, wie viel länger das dauert. Wer das hört, müsste froh sein, im Zug zu sitzen. Doch was geschieht stattdessen: Es gibt Schimpfkanonaden über die Bahn, die angeblich marode ist und kurz vor dem Verfall steht. Geht's eigentlich noch?

Statt ständig nur zu schimpfen, sollten wir gelassen bleiben und die Vorzüge erkennen

Die Autolobby von ADAC und BMW, Mercedes und Volkswagen ist auch deshalb so mächtig, weil die Autofahrer lieber in den Stau steuern, statt sich endlich zu bewegen, gedanklich und körperlich. Und weil viele Bahnfahrer und viele von denen, die erst gar nicht in den Zug steigen, über die Bahn schimpfen statt über diejenigen, die den falschen Rahmen schaffen. Den Frust über echte oder vermeintliche oder auch nur kleine Mängel bekommen die Schaffner ab. Diejenigen also, die gar nichts dafür können. Wer schreibt eigentlich, das ginge ja ganz schnell, Mails an die Kanzlerin und den Verkehrsminister - mit der Forderung nach mehr Geld für das teilweise veraltete Schienennetz, für eine schnellere Sanierung veralteter Bahnsteige, für freundlichere Bahnhöfe und einiges mehr. Die Schaffner sollten einen neuen Service anbieten. Genervte Bahnfahrer können ihren Unmut per Bahn-Handy gleich bei der Regierung los werden. Und auch beim Bahn-Vorstand, den eine Mitschuld daran trifft, dass veraltete Strecken, Bahnhöfe und Züge nicht schnell genug saniert und modernisiert werden.

Aber ganz so schlimm, wie das vielerorts zu hören ist, läuft es bei der Bahn ja nun auch nicht. Neue ICEs, neue Regionalzüge, neue Bahnhöfe, das ist inzwischen nicht mehr nur die Ausnahme. So zu tun, als drohe der Verfall der Bahn, ist schlichtweg übertrieben. Das ist Jammern auf einem verdammt hohen Niveau. Deutschland ist, auch bei der Bahn, kein zurückgebliebenes Land, in dem sich schlecht leben lässt. Manchmal täte mehr Gelassenheit ganz gut, statt über alles und jedes zu schimpfen, angefangen bei der Bahn.

Und wo bleibt eigentlich die Aufregung über die wirklichen Probleme des Lebens? Über einen Lebenswandel mit viel zu viel Autoverkehr und immer größeren Benzinschleudern, was dazu beiträgt, unseren Kindern und Enkeln eine immer weniger lebenswerte Welt zu hinterlassen. Die drohenden, drastischen Folgen des Klimawandels sind nicht mehr weit weg. Zwei Generationen vielleicht nur. Wer heute kurz vor der Pensionierung steht und noch ein, zwei Jahrzehnte genießen möchte, der möge an seine Enkel denken, die dann im Rentenalter auch noch ein, zwei Jahrzehnte gut leben möchten. Aber das dann vielleicht nicht mehr können, weil viele Millionen Umwelt-Flüchtlinge auf der Erde umherirren und weit mehr Krisen und Kriege als heutzutage die Folge sein könnten.

All das wäre viel mehr der Rede wert als die ständige Nörgelei über eine Bahn, die bei weitem nicht so schlecht ist wie ihr Ruf. Aber es ist allemal bequemer, über andere zu schimpfen, statt sich an die eigene Nase zu fassen, statt umzudenken und umzusteuern. Das ewige Jammern über die Bahn macht im Übrigen nichts besser, sondern sorgt nur für noch mehr schlechte Stimmung. Und die hilft niemandem, auch denen nicht, die sich über jede Minute Verspätung laut aufregen. Dieser Beitrag ist übrigens im Zug entstanden. Einem ICE, der pünktlich war.

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