Ralf Brandstätter:Wie VW auf "China-Speed" gebracht werden soll

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Mitarbeiter arbeiten an einem Fließband der nordchinesischen Volkswagen-Basis. China ist ein immens wichtiger Markt für Volkswagen. Mutmaßlich deswegen hält der Konzern sich mit Kritik weitgehend zurück. (Foto: Zhao Zishuo/dpa)

Ralf Brandstätter führt seit fünf Monaten die Geschicke von Volkswagen in China. Die politische Lage ist heikel, doch Brandstätter sieht zwei Gründe, warum der Autobauer dort bleiben muss.

Von Max Hägler und Florian Müller, Berlin

Wie wichtig China für Volkswagen ist, lässt sich an wenigen Zahlen festmachen: Der Mehrmarken-Konzern setzt vier von zehn verkauften Wagen in diesem Land ab. Die Marke VW war über viele Jahre mit großem Abstand Marktführer. Wie schwierig Volkswagens Lage in China ist, auch das lässt sich an wenigen Zahlen festmachen: 3,2 Millionen Fahrzeuge lieferte der Konzern in China aus. Das waren vier Prozent weniger als im Jahr 2021 und so wenig wie seit fast zehn Jahren nicht mehr. Währenddessen wuchs der chinesische Gesamtmarkt allerdings um zwei Prozent auf rund 21 Millionen Fahrzeuge.

Vor knapp 40 Jahren begann der Konzern den chinesischen Markt unter Führung des kürzlich verstorbenen Carl Hahn zu erobern. Jetzt droht der Autokonzern jedoch einer unter vielen in China zu werden: Weil die Konkurrenz stärker wird, weil man selbst technisch zu schwach ist, weil man sich auf den Erfolgen ausgeruht hat. Dazu werden die politischen Umstände immer schwieriger. Kurzum: China ist die größte Baustelle für Volkswagen, sie ist ungefähr so groß wie die Schwierigkeiten bei der Software, wobei das eine mit dem anderen zusammenhängt.

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Der Mensch, der es nun richten soll, heißt Ralf Brandstätter. Er ist Niedersachse, hat ursprünglich bei VW Betriebsschlosser gelernt und sich im Konzern hochgearbeitet. Vielleicht ist ein Eigengewächs passend für diese gewaltige Aufgabe, bei der es um Strategie geht, aber auch um Identität: Brandstätter will den größten europäischen Autobauer etwas chinesischer machen. Seit August führt der 55-Jährige die Geschicke in Peking. In dieser Zeit hat er viel erlebt: Quarantäne, Lockdowns und das chaotische Ende der Null-Covid-Politik mit der gewaltigen Infektionswelle. Wenn diese durch ist, können sie auch bei Volkswagen endlich wieder nach vorne blicken, sagt Brandstätter bei seinem ersten Heimatbesuch in Deutschland.

Digitalisierung sei das entscheidende Thema

Seiner Ansicht nach gibt es zwei entscheidende Gründe, warum Volkswagen in China bleiben muss: "Die Größe des Markts und die außergewöhnliche Innovationskraft." Digitalisierung sei das entscheidende Thema. Autonome Fahrfunktionen wie Abstandsregelung, Spurwechsel sowie Stau- und Einparkpilot seien ein "Must-have". Wer in zwei, drei Jahren keine Wagen anbietet, die weitgehend eigenständig auf der Autobahn fahren, "wird voraussichtlich keine Fahrzeuge mehr verkaufen können". Dazu wollen chinesische Kunden, im Schnitt deutlich jünger als die in Europa, im Auto digital unterhalten werden.

Seit einem halben Jahr China-Chef des VW-Konzerns: Ralf Brandstätter. (Foto: Dietmar Theis/Volkswagen AG)

Auf technischer Ebene ist die Entkopplung schon längst im Gange: Die Anforderungen seien mittlerweile so unterschiedlich, dass es nicht mehr möglich sei, ein europäisches Auto einfach nach China zu bringen, erklärt Brandstätter. Es sei nötig, "in China für China" zu entwickeln, denn die Unterschiede würden eher noch zunehmen. Bislang dauere alles zu lange: "Die Chinesen entwickeln ein neues Auto in zweieinhalb Jahren, VW braucht dafür etwas weniger als vier Jahre", kritisiert Brandstätter. "China Speed" nennt er das, woran sich Volkswagen ein Beispiel nehmen solle.

Das kam in Wolfsburg allerdings erst relativ spät an: Der frühere Konzernchef Herbert Diess hatte China selbst verantwortet, bis sie im Konzern erkannten: Das klappt so nicht, zumal nicht in Zeiten der Corona-Pandemie.

In Peking will Brandstätter nun eine "zweite Firmenzentrale" einrichten. In der ostchinesischen Provinz Anhui entsteht das regionale Forschungszentrum, das sich ganz auf die Entwicklung von Elektroautos für den chinesischen Markt konzentriert. Bei Themen wie künstlicher Intelligenz setzt Volkswagen auf lokale Partner wie Horizon Robotics, einen der weltweiten Technologieführer bei automatisierten Fahrsystemen. Zwei Milliarden Euro will VW in das Joint Venture stecken. Die Zahl der eigenen Software-Entwickler in China soll auf 1200 verdoppelt werden. Das schlägt sich laut Brandstätter bereits in ersten Erfolgen nieder: Ein neues Spiel auf Serienreife zu entwickeln, dauere mittlerweile "nur" noch ein halbes Jahr.

Im Geschäft mit den E-Autos, die mittlerweile ein Viertel des Marktes ausmachen, hängt Volkswagen stark hinterher. Hier dominierte vergangenes Jahr das chinesische Eigengewächs BYD mit rund 1,9 Millionen Auslieferungen. US-Konkurrent Tesla kam auf 440 000, Volkswagen hingegen nur auf rund 150 000. Mit seinen Problemen ist VW nicht allein. "Die Lage der deutschen Automobilhersteller ist höchst angespannt", schrieb kürzlich Markt-Experte Stefan Bratzel in einer Untersuchung des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Auch BMW und Mercedes-Benz könnten "bei weitem nicht mit dem Tempo der Spitzengruppe" mithalten. Gleichzeitig würden die chinesischen Hersteller zunehmend in anderen Märkten angreifen, selbst in Deutschland: Marken wie Nio oder MG sind auch hier zu kaufen - und sie bekommen ordentliche Bewertungen.

Die Strategie "In China für China" hat nicht nur wirtschaftliche Hintergründe. Volkswagen folgt damit wie viele andere deutsche Konzerne der politischen Linie der chinesischen Regierung, die eine stärkere technologische Autonomie anstrebt. Es ist aber auch eine Absicherung: Sollte sich Machthaber Xi Jinping dazu entschließen, Taiwan anzugreifen, wären die wirtschaftlichen Folgen "schwerwiegend", so formuliert es Brandstätter. Konkret dürften mindestens harte Sanktionen des Westens folgen. Jene Firmenteile, die zu 100 Prozent in China "lokalisiert" sind, könnten dann jedoch vermutlich weiterarbeiten.

Nicht nur Taiwan dürfte Brandstätter Kopfschmerzen bereiten. Als die Sprache auf die Uiguren-Provinz Xinjiang und das VW-Werk dort kommt, reibt er sich die Stirn. Dann wiederholt er, dass es sich bei dem Werk nur um ein ganz kleines handle, dass Volkswagen "alles in unserer Macht Stehende tut", um "gute Arbeitsbedingungen sicherzustellen". Ein eigenes Bild konnte er sich allerdings noch nicht machen. Zweimal war der Trip in die abgeschottete Region bereits geplant, zweimal scheiterte er, offenbar an Corona-Auflagen. Ein dritter Anlauf ist für Februar geplant, allerdings nur eine kleine Firmendelegation, ohne Journalisten. In China macht eben die Regierung die Spielregeln, selbst Milliardenkonzerne wie Volkswagen müssen folgen.

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