Cecilia Malmström war sogar schon in der Wallonie. Die EU-Handelskommissarin erklärte den Abgeordneten des belgischen Regionalparlaments, warum TTIP gut für Europa sei. Doch sie stieß auf breite Ablehnung. Die Mehrheit der Wallonen hält nichts vom geplanten Freihandelsabkommen mit den USA. Ganz zu schweigen von Ceta: Das wallonische Parlament hat einen Resolutionsvorschlag verabschiedet, der der belgischen Regierung untersagt, das Handelsabkommen mit Kanada zu unterzeichnen. Der Grund: Die Wallonen sehen europäische Umwelt- und Lebensmittelstandards in Gefahr.
Diese Angst gibt es nicht nur in Belgien. In vielen EU-Staaten manifestiert sich eine kritische Haltung gegenüber Handelsabkommen. Zuletzt forderte das luxemburgische Parlament die Regierung auf, Ceta erst einmal nicht zuzustimmen. Das Votum ist zwar rechtlich nicht bindend, aber politisch könnte es sich die Regierung wohl nicht erlauben, dagegen zu handeln.
Muss Ceta von Parlamenten ratifiziert werden, gilt das wohl auch für TTIP
Für Malmström sind das Alarmsignale, denn sie rühren an eine Grundsatzfrage: Wer stimmt eigentlich über Handelsverträge ab? Und: Sollen nationale Parlamente mitentscheiden? Genau darum geht es jetzt bei Ceta. Das Abkommen mit Kanada ist fertig verhandelt, im Oktober soll es unterzeichnet werden. Anfang Juli will sich die Europäische Kommission entscheiden, ob sie Ceta mit oder ohne die Zustimmung nationaler Parlamente beschließen lassen will. In der Brüsseler Behörde herrscht die Meinung, dass Parlamente wie der Deutsche Bundestag an der Ratifizierung nicht beteiligt werden müssen - es genügt demnach die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Mit dieser Haltung steuert die Kommission auf einen Konflikt zu, denn allen voran die Bundesregierung ist dezidiert anderer Meinung. Aus deutscher Sicht kann Ceta ohne das Ja aller nationalen EU-Parlamente nicht in Kraft treten.
Freihandel:"Ceta ist TTIP durch die Hintertür"
Das befürchten Aktivisten. Sie wollen Verfassungsbeschwerde gegen das Abkommen mit Kanada einreichen - und so verhindern, dass Europa bei TTIP Fakten schafft.
Um sich gegen die Kommission durchzusetzen, braucht es allerdings Einstimmigkeit. Alle EU-Staaten müssten sich dafür aussprechen, Ceta als sogenanntes gemischtes Abkommen einzustufen, also einen Vertrag, der nationale Kompetenzen berührt. Doch in dieser Frage gibt es unterschiedliche Auffassungen. So hat der italienische Wirtschaftsminister in einem Brief an Malmström zugesagt, die Linie der Kommission zu unterstützen. Er teilt die Meinung der Handelskommissarin, dass die nationalen Parlamente bei Ceta nicht zustimmen müssen. Das ist natürlich ganz im Sinn der Brüsseler Behörde, denn die Kommission fürchtet, dass Parlamente einzelner Staaten mit einem Veto künftig die europäische Handelspolitik lahmlegen könnten. Auch deshalb ist die Entscheidung über Ceta so bedeutend, das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP. Entscheidet man sich, dass Ceta von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss, dürfte dies auch für das Abkommen mit den USA gelten.
EU-Kommission fürchtet bereits TTIP-Referendum in den Niederlanden
Dass dies viel Zeit kosten wird, wäre für die EU-Kommission verkraftbar. Schlimmer wäre aus Brüsseler Perspektive der Faktor Unsicherheit. So sammeln TTIP-Kritiker in den Niederlanden schon jetzt Unterschriften für ein Referendum gegen das geplante Freihandelsabkommen. Bereits über 150 000 Menschen haben die Petition unterzeichnet. Das sind mehr als die Hälfte an Stimmen, die nötig sind, um ein Referendum abhalten zu können. Gültig wäre es zwar nur, wenn sich mehr als 30 Prozent der Wähler daran beteiligen. Und selbst in diesem Fall wäre die Volksabstimmung für die Regierung in Den Haag nicht bindend. Doch sie könnte sich kaum über ein Nein der Bürger hinwegsetzen.
Ministerpräsident Mark Rutte hätte genau das Problem, das ihm schon die Volksabstimmung zum Handels- und Assoziierungsabkommen mit der Ukraine bereitet hat (eine Mehrheit der Abstimmenden hatte es abgelehnt). Rutte will sich erst nach dem britischen Referendum über einen EU-Austritt entscheiden, wie er politisch darauf reagieren wird. Aus seiner Meinung macht er jedoch keinen Hehl. "Ich bin total gegen Referenden, und ich bin total, total, total gegen Referenden zu multilateralen Abkommen, weil sie keinen Sinn ergeben, wie wir es beim niederländischen Referendum gesehen haben", sagte er diese Woche bei einer Veranstaltung. Ein Land könne nicht für ganz Europa sprechen.
Was TTIP angeht, so fordert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nun die Rückendeckung aller EU-Staaten. Er will sie beim nächsten EU-Gipfel auffordern, das Verhandlungsmandat zu bestätigen. Juncker will am Ende nicht als derjenige dastehen, der im Falle eines Scheiterns schuld ist.