Cameron und die Londoner Finanzbranche:An der Nadel des Geldes

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Großbritanniens Premier Cameron kämpft für die Londoner Finanzbranche - und riskiert dafür auch die EU-Mitgliedschaft. Tatsächlich ist die Wirtschaft seines Landes stark von Finanzfirmen abhängig. Doch die britische Industrie muss nun fürchten, in die Isolation getrieben zu werden.

Andreas Oldag, London

Der Auftritt in Brüssel war schnittig. So schnittig wie die Tolle des David Cameron. Doch mit seinem Veto gegen einen neuen EU-Vertrag auf dem EU-Gipfel hat der britische Premier der Industrie seines Landes eine gewaltige Hypothek hinterlassen.

Banker in der Londoner City: Die Finanzgeschäfte sind der Stolz der Regierung. Im Hintergrund das Hochhaus des Rückversicherers Swiss Re. (Foto: Reuters)

In der Industrie wächst die Furcht vor einer Isolation des Landes. Vor allem die exportorientierten Branchen sorgen sich, vom europäischen Binnenmarkt abgeschnitten zu werden. "Längerfristig besteht die Gefahr, dass wir als Land in den EU-Entscheidungsprozessen an Einfluss verlieren", warnt Ian Rodgers, Direktor des Stahlindustrieverbands UK Steel. Dabei geht es um Themen wie Wettbewerb und Kartellkontrolle.

In den Chefetagen macht sich Verunsicherung über den Europa-Kurs in Downing Street Nummer zehn breit, dem Sitz des Premiers. Viele Manager machen keinen Hehl daraus, dass sie vom Auftritt Camerons überrascht wurden . In der gut eingeölten Londoner Lobbyisten-Maschinerie hatte der Industrieverband CBI dem Premier noch vor dem Gipfel zu verstehen gegeben, wie abhängig die britische Wirtschaft von Europa ist. Cameron zeigte sich unbeeindruckt - er hat in Brüssel als Einziger einem Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin nicht zugestimmt, weil die EU- Staaten die von ihm geforderten Ausnahmeregeln für den Londoner Finanzplatz ablehnten.

Nun wächst die Furcht, dass die Regierung den Anti-Europa-Hardlinern unter den Tories noch weiter entgegenkommen - und sogar ein EU-Austritt Großbritanniens auf die Agenda kommen könnte. Das wäre der "GAU", heißt es in Industriekreisen. Rund 40 Prozent der britischen Exporte gehen in die EU. Das Land ist nicht Mitglied der Euro-Zone.

Noch preschen die Unternehmen mit Kritik nicht nach vorn. "Wir sind ein globales Unternehmen. Europa ist wichtig. Doch allein die Hälfte unseres Auftragsbestands kommt derzeit aus Asien und dem Nahen Osten", erklärt ein Sprecher des Turbinen- und Triebwerksherstellers Rolls-Royce. "Wir haben nicht vor, unsere Investitionspläne zu ändern", versichert ein Sprecher beim japanischen Autohersteller Toyota. Toyota will für 100 Millionen Pfund (116 Millionen Euro) sein Werk in Burnaston in der Grafschaft Derbyshire erweitern - 85 Prozent der auf der Insel produzierten Fahrzeuge sind für den europäischen Markt bestimmt. Experten argwöhnen, dass die vorsichtigen Japaner ihre Strategie rasch ändern könnten, falls sich die Briten noch weiter von Europa lossagen.

Neben Toyota zählt auch Honda zu den Großinvestoren auf der Insel. Kein Zufall, dass der liberale Wirtschaftsminister Vince Cable in der Regierungskoalition "stinksauer" auf Camerons Veto reagiert hat. Er setzt auf eine Wiederbelebung der industriellen Fertigung auf der Insel und will dafür vor allem ausländische Geldgeber gewinnen. Mit dem jüngsten Affront gegen Europa könnte das schwierig werden. Um Minister Cable gibt es bereits Rücktrittsgerüchte.

Er steht gegenüber den konservativen Europa-Skeptikern auf verlorenem Posten. Diese setzen sich als Helfer der mächtigen britischen Banken- und Finanzbranche in Szene, für die Camerons Veto ein voller Erfolg ist. Die Geldmanager in der Londoner City lassen keine Gelegenheit aus, davor zu warnen, dass die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer die Geldinstitute vertreiben werde.

Der Finanzsektor ist das Kraftzentrum der britischen Wirtschaft

"Die Finanzbranche hat für die Gesamtwirtschaft eine viel größere Bedeutung als auf dem europäischen Kontinent. Eine spezielle Steuer würde deshalb schweren Schaden anrichten", meint Mark Burgess von der Investmentfirma Threadneedle Asset Management. Auch sei die in Brüssel geplante schärfere Finanzmarktregulierung Gift für die Branche. So könnten die Institute ihre Hauptsitze nach Asien oder in die USA verlegen. Das würde Steuereinbußen und Jobverluste nach sich ziehen.

Der Finanzsektor ist das Kraftzentrum der britischen Wirtschaft geworden. Das Bankenviertel in London ist längst Europas größter Finanzplatz. 241 ausländische Banken sind hier angesiedelt, darunter die Deutsche Bank, die von der Themse aus ihr globales Investmentgeschäft betreibt. Mehr als 600 ausländische Firmen werden an der Londoner Börse gehandelt. Die City bringt der Metropole noch immer rund 1,4 Milliarden Pfund Steuern ein; vor der Bankenkrise 2008 war die Summe deutlich höher. Und: Vom Königreich aus werden 20 Prozent der globalen Bankengeschäfte getätigt. Der Finanzsektor sorgt für ein Zehntel der Wirtschaftsleistung - ein Land hängt an der Nadel des Geldes.

Doch ob das Veto des Premiers tatsächlich der Finanzbranche hilft, ist fraglich. Über Steuerfragen, die den Binnenmarkt betreffen, muss die EU weiterhin einstimmig entscheiden. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Briten bei Entscheidungen über die Finanzmarktregulierung künftig übergangen werden. Schottland hat Cameron für seine einseitige Lobbyarbeit bereits scharf kritisiert. Der Premier habe einen groben Fehler gemacht, indem er die gesamte Beziehung zwischen Großbritannien und der EU verändert habe, schrieb Schottlands Regierungschef Alex Salmond in einem offenen Brief. Salmond selbst hat die Interessen der schottischen Energieindustrie im Blick, die ihre Exporte in die EU ausbauen will. Seine Schottische Nationalpartei plant bis 2015 ein Referendum - über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich.

© SZ vom 13.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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