Am Freitag kommender Woche muss Karl Bär, 36, aus Holzkirchen bei München auf der Anklagebank des Landesgerichts in Bozen Platz nehmen. Zum vierten Mal seit der Prozess gegen ihn wegen schwerer, übler Nachrede vor gut einem Jahr begann. Als Agrarreferent des Münchner Umweltinstituts verantwortete Bär 2017 eine Plakataktion, bei welcher der Pestizideinsatz in Südtiroler Apfelplantagen angeprangert wurde. Im Falle einer Verurteilung drohen Bär eine Strafe und hohe Schadenersatzforderungen.
Doch seit dem 26. September 2021 ist der Prozess politisch heikel. Denn an diesem Tag wurde Karl Bär als Abgeordneter der Grünen in den Deutschen Bundestag gewählt. Was die Frage aufwirft: Darf die italienische Justiz über den frei gewählten Parlamentarier eines anderen Landes zu Gericht sitzen?
Grundsätzlich ja. Zum einen, weil der Prozess bereits vor Bärs Wahl in den Bundestag begonnen hat. Die Immunität, die das Gesetz Parlamentariern grundsätzlich zugesteht, muss nicht aufgehoben werden, denn es handelt sich nicht (mehr) um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Bär könnte freilich zu Hause bleiben und würde als deutscher Staatsbürger dann auch sicher nicht an Italien ausgeliefert. Allerdings müsste er dann damit rechnen, festgenommen zu werden, sobald er irgendwann wieder einmal italienischen Boden betritt. Diplomatisch und politisch ist ein Gerichtsverfahren gegen einen ausländischen Abgeordneten zweifellos pikant.
Anruf bei Karl Bär. "Natürlich werde ich nach Bozen zur Gerichtsverhandlung fahren", sagt er. "Ich werde nicht versuchen, mich hinter meinem Abgeordnetenmandat zu verstecken und aus der Verantwortung zu ziehen." Schließlich wolle er nicht nur ein irgendwie geartetes, schnelles Ende des Prozesses, "sondern dass dieser mit einem Freispruch endet." So wie die Parallelverfahren gegen mehrere Mitstreiter Bärs. 1374 Südtiroler Obstbauern und der in der nördlichsten Provinz Italiens für Landwirtschaftspolitik zuständige Landesrat Arnold Schuler hatten die deutschen Umweltaktivisten und einen österreichischen Buch- und Filmautor wegen deren Aktivitäten gegen Pestizide bei der Staatsanwaltschaft Bozen angezeigt, die prompt ermittelte und Anklage erhob (die SZ berichtete).
Die Anzeigen dienten nur dazu, die Umweltschützer mundtot zu machen und etwaige Nachahmer von vornherein einzuschüchtern, sagen Kritiker. Slapp-Verfahren nennt man solche Klagen, "Strategic lawsuit against public participation", bei denen es in Wahrheit nicht um Rechtsverstöße geht, sondern darum, die öffentliche Beteiligung an fragwürdigen Vorgängen zu unterbinden.
Etwa 100 Organisationen haben sich mit Bär und seinen Mitstreitern solidarisiert
Für Karl Bär ist seine Präsenz als Angeklagter in Bozen umgekehrt auch ein politisches Statement: Nicht weichen, nicht einknicken, nicht zurückschrecken. Er darf damit rechnen, dass in der neuen Konstellation das Verfahren noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren wird als ohnehin schon. Medien aus mehreren Ländern haben über den Prozess bislang berichtet, etwa 100 Organisationen sich solidarisch mit Bär und seinen Mitstreitern erklärt und mehr als 250 000 Menschen eine Petition unterschrieben mit der Forderung, das offenkundig weniger juristisch, als vielmehr politisch motivierte Verfahren zu beenden.
Tatsächlich haben der Südtiroler Landwirtschafts-Landesrat Schuler und fast alle Apfelbauern ihre Strafanzeigen inzwischen zurückgenommen. Mit vor allem regulatorischen Fragen hat sich in den vergangenen Tagen Bär befassen müssen. So zum Beispiel damit, ob er rechtlich überhaupt schon Mitglied des Bundestages ist. Zwar wurde das Parlament gewählt und die neuen Fraktionen traten auch schon zusammen. Nach dem Gesetz aber beginnt die neue Legislaturperiode erst mit der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Bundestages. Die ist am kommenden Dienstag. Drei Tage vor dem Prozesstermin.