Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) ist im Amt gewachsen. Er hält die richtigen Reden, besucht die richtigen Leute und setzt die richtigen Akzente; viel mehr kann man vom ordnungspolitischen Gewissen der Regierung nicht verlangen, das über ein großes Ministerium, aber wenig wirkliche Macht verfügt. Über den Sommer sind Brüderle, der beim Amtsantritt von vielen für leichtgewichtig gehalten wurde, einige gute Aktionen gelungen.
Eine Zeitlang war er fast der einzige Aktivposten einer zerstrittenen Koalition, und längst ist er für die FDP wichtiger als Parteichef Guido Westerwelle, der sich mit schrillen Tönen gegen Hartz-IV-Empfänger und einem steuerpolitischen Zickzackkurs ins Aus manövriert hat.
Jetzt, da die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärtermaßen zu regieren begonnen hat, könnte eigentlich ein gutes Tandem entstehen: Hier die Macherin, die nur manchmal prinzipientreu ist. Dort der überzeugte Ordnungspolitiker, der weiß, dass gute Politik nicht heißt, alles zu regeln, sondern nur das Nötigste - und im Übrigen den Markt dort wirken zu lassen, wo er tatsächlich funktioniert.
Auf von der Leyens Fährte
Alles also lief so schön - da gab der Herr Minister ein Interview zur Tarifpolitik. Es war nicht richtig falsch, was er sagte, aber es war auch nicht richtig, und es kam vor allem zur falschen Zeit. Die flockige Bemerkung: "Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich", erwartet man von Gewerkschaftsvertretern, Sozialdemokraten oder gelegentlich auch von Ursula von der Leyen, aber sicher nicht vom liberalen Wirtschaftsminister.
Vorzuwerfen ist ihm nicht, dass die Politik für Tarifverhandlungen gar nicht zuständig ist. Das stimmt zwar, aber es ist ja gerade Aufgabe des Wirtschaftsministers, Akzente zu setzen, Stimmungen zu beeinflussen. Sondern es stört die Schlichtheit der Aussage. Zu allem Überfluss hat Brüderle auch noch auf den komfortablen Abschluss der Stahlindustrie hingewiesen und ihn als Vorbild bezeichnet. Das war dann selbst dem Verdi-Vertreter zu viel, der natürlich weiß, dass für die florierende Stahlbranche andere Maßstäbe gelten müssen als für den Einzelhandel mit seinen kleinen Margen.
Kritik von rechts und links wirkt
Richtigerweise hätte Brüderle für mehr Flexibilität plädieren müssen. In jeder Branche soll gezahlt werden, so gut dies die Lage zulässt. Und vor allem muss sichergestellt werden, dass das Plus für die Arbeitnehmer, die natürlich am aktuellen Aufschwung partizipieren sollen, nicht ausgerechnet dann wirksam wird, wenn es mit der Wirtschaft wieder bergab geht, dass Zusatzleistungen dann nicht zentnerschwer auf den Unternehmen liegen und durch Stellenabbau oder Investitionsstopp kompensiert werden. Die Turbulenzen an den Währungsmärkten zeigen, dass der deutsche Aufschwung nicht sicher ist. Die Regel muss lauten, und das hätte der Wirtschaftsminister sagen sollen: Je höher die Tarifabschlüsse, desto flexibler müssen sie sein: Viel Geld in guten Jahren, wenig Geld in schlechten. Stattdessen hat Brüderle leichtfertig den Umverteilern nach dem Mund geredet.
Es gibt hier eine interessante Parallele zu seinem britischen Amtskollegen Vince Cable, auch er ein Mitglied des liberalen Koalitionspartners, der im September auf einer Parteiveranstaltung eine Generalschelte an Wirtschaft und Unternehmen losgelassen hat, die ihresgleichen suchte. Fast scheint es so zu sein, dass die Dauerkritik von links und rechts an den "eiskalten" Liberalen, sie sollten ihr soziales Gewissen schärfen, zu verfangen beginnt.
Den Wettlauf um die Gunst der Arbeitnehmer und Sozialhilfeempfänger aber können die liberalen Parteien nicht gewinnen. Echte Wirtschaftsliberale vergreifen sich nicht an den Armen der Gesellschaft, aber sie wissen auch, dass die Firmen nicht überfordert werden dürfen. Wer der Wirtschaft zu viele Regeln oder zu hohe Kosten aufhalst, vernichtet Jobs. Dies immer wieder zu betonen, wäre die Aufgabe des Wirtschaftsministers.