Luftfahrt:Boeing muss Start der neuen "737 Max" verschieben

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Der amerikanische Flugzeugbauer Boeing steckt in Schwierigkeiten. (Foto: MIGUEL RODRIGUEZ/REUTERS)

Der US-Flugzeughersteller zieht einen Antrag zurück, mit dem er ein neues Modell trotz Mängeln zertifizieren lassen wollte. Der öffentliche Druck ist zu groß geworden.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es gibt in der Fachsprache der Flugsicherheit ein paar Begriffe, die sofort Alarm auslösen. Einer davon heißt "Identified Unsafe Condition", also bekannter unsicherer Zustand, ein anderer "Single Failure" - eine Situation, in der nur ein weiterer Fehler ein großes Sicherheitsproblem auslösen kann. Beides zusammen ergibt eine gefährliche Situation, die es unbedingt zu vermeiden gilt.

Bei einem neuen Modell von Boeings 737-Serie kommen genau diese beiden Mängel zusammen. Es ist bezeichnend für die Unternehmenskultur des amerikanischen Flugzeugherstellers, dass er trotzdem bis zuletzt versucht hat, von der Aufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) eine Sondergenehmigung für dessen Zulassung zu bekommen. Doch angesichts des Desasters rund um den Alaska-Airlines-Flug 1282, bei dem sich Anfang Januar die Türfüllung einer 737-9-Maschine im Flug verabschiedet hatte, hat Boeing den Antrag nun zurückgezogen. Ein äußerst schmerzhafter Entschluss: Denn mindestens eine der neuen 737-Max-Versionen wird dadurch mutmaßlich viel später auf den Markt kommen.

Trümmer könnten ins Triebwerk geraten

Es geht um das System, das verhindern soll, dass sich bei bestimmten Wetterbedingungen Eis an den Triebwerken bildet. Dieses heizt die Vorderkanten der Motorverkleidung mit heißer Luft. Mitte 2023 fand Boeing heraus, dass die aus Faserverbundwerkstoffen gefertigten Teile reißen und abspringen können, wenn die Piloten vergessen, das System auszuschalten und es in trockener Luft zu lange heizt. Trümmer könnten ins Triebwerk geraten oder Rumpf und Steuerflächen beschädigen. Die drei bereits zugelassenen Versionen der 737 Max durften trotzdem mit neuen Auflagen und per Sondergenehmigung weiterfliegen. Die Frage aber war, ob die FAA die zwei weiteren Varianten des Kurz- und Mittelstreckenjets, die kleinere 737-7 und größere 737-10, auch noch mit dem Mangel zulassen würde.

"Identified Unsafe Condition" - das ist in diesem Fall das Heizsystem. Und "Single Failure" deswegen, weil es im Zweifel schon genügen würde, dass die Piloten vergessen, es abzuschalten. In seinem ursprünglichen Antrag hatte der Hersteller darauf verwiesen, dass die Verkleidung tatsächlich noch nie im Flug abgerissen sei. Doch nun, auch auf starken politischen Druck hin, änderte Boeing seine Haltung: In der Nacht auf Dienstag gab der Konzern bekannt, eine neue technische Lösung entwickeln zu wollen, was laut früheren Angaben weitere 18 Monate dauert. Damit verspätet sich die Zulassung der Max-Version von Anfang 2024 bis mindestens Mitte nächsten Jahres.

Flugaufseher inspizieren derzeit Boeings Fabriken

Boeing hat für die 737-7 rund 360 Bestellungen erhalten, alleine gut 300 von Southwest Airlines. Für die 737-10 stehen noch einmal Aufträge für gut 1000 weitere Maschinen in den Büchern. Deren Zertifizierung war wegen anderer Themen ohnehin schon nicht mehr für 2024 erwartet worden, das Enteisungsproblem macht die Lage aber noch schwieriger.

Die Probleme mit der Aufsichtsbehörde beziehen sich nicht nur auf die neuen Varianten. Dass an Bord der Alaska-Airlines-Maschine während des Fluges ein Rumpfteil abbrach, war der vorerst gravierendste Vorfall, der auf eine Reihe von Qualitätsmängeln in der laufenden Produktion zurückzuführen war und der erste mit echten Folgen für die Flugsicherheit. Die FAA hat daraufhin Dutzende Inspektoren in die Boeing-Fabriken geschickt, um die Verfahren zu überprüfen. Auch darf Boeing die Produktion der 737 Max nicht weiter hochfahren, bis die Behörde sich davon überzeugt hat, dass der Flugzeugbauer die Probleme in den Griff bekommen hat.

Boeing-Chef David Calhoun steht unter extremem Druck, wenn er am Mittwoch die Finanzergebnisse seines Unternehmens für 2023 verkündet. Diese sind aber mittlerweile nur noch am Rande interessant: Auch die Analysten wollen nun wissen, wie Calhoun die 737 Max und damit Boeing selbst zu retten gedenkt.

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