Big Four:Warum Europa es nicht geschafft hat, die Wirtschaftsprüfer zu bändigen

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Immerhin probiert: Der damalige EU-Kommissar Michel Barnier hatte die Reform 2011 angekündigt. Jetzt ist er in Brüssel für den Brexit zuständig. (Foto: AFP)
  • Nach der Finanzkrise standen die sogenannten "Big Four" am Pranger, das sind die Wirtschaftsprüfer EY, Deloitte, KPMG und PwC.
  • Doch vom Vorstoß der EU-Kommission blieb kaum etwas über. Interne Protokolle zeigen nun, warum: Auch die Bundesregierung hat schärfere Regeln blockiert.

Von Lena Kampf und Georg Wellmann, Brüssel

"Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise" hieß das Grünbuch, das die EU-Kommission im November 2011 vorlegte, und es löste so etwas wie ein kleines Erdbeben in Brüssel aus. Der damalige EU-Kommissar für Finanzen, Michel Barnier, wollte nichts weniger, als die Marktmacht der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aufbrechen, denen er eine Mitverantwortung an der Finanzkrise zuschrieb. Die sogenannten "Big Four", also EY, Deloitte, KPMG und PwC, hatten reihenweise Banken und Unternehmen testiert - also geprüft, dass im Jahresabschluss alles korrekt vermerkt ist -, die wenig später ins Straucheln gerieten.

Der damalige Kabinettschef Barniers, Olivier Guersent, erinnert sich: "Barnier wollte das Problem an den Wurzeln packen." Es war ein ambitioniertes Vorhaben. Der Markt für Prüfungen von Unternehmen von öffentlichem Interesse sollte für kleinere Mitbewerber geöffnet werden, in dem ein gemeinsames Testieren durch mindestens zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eingeführt und eine Rotation der Kunden nach sechs Jahren vorgeschrieben werden sollte.

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Insbesondere die gleichzeitige Prüfung und Steuerberatung sollte verboten werden. Barnier sah darin einen Interessenkonflikt - und zielte damit auf einen empfindsamen Punkt der Gesellschaften, die mittlerweile den größeren Teil ihrer Umsätze mit Beratung erwirtschafteten und nicht mehr mit ihrem Kerngeschäft der Bilanzprüfung.

"Was wir mit den 'Big Four' erlebt haben, war die Mutter allen Lobbyings."

Entsprechend fiel die Reaktion der Unternehmen aus. "Wir dachten, was Lobbying angeht, hätten wir schon alles gesehen", sagt Olivier Guersent. "Aber was wir mit den 'Big Four' erlebt haben, war die Mutter allen Lobbyings." Nur wenige Stunden nachdem Barnier sein Vorhaben angekündigt hatte, sei das EU-Parlament voller Wirtschaftsprüferlobbyisten gewesen. "Über Nacht!", sagt Guersent.

Nicht nur die Unternehmen selbst kämpften gegen die Regulierung. Zu den Gegnern der Reform gehörten auch einige Mitgliedsstaaten. Unter den Blockierern: die deutsche Bundesregierung.

Die Verhandlungen dauerten gut zwei Jahre, von Januar 2012 bis zum Sommer 2014 und sind in vertraulichen Protokollen der Sitzungen umfassend dokumentiert, die SZ, WDR und NDR vorliegen. Daraus geht hervor, dass die Vertreter des zuständigen Bundesjustizministeriums von Anfang an Einwände gegen die Vorschläge der EU-Kommission hatten, insbesondere hatten sie "Bedenken hinsichtlich des Detaillierungsgrades der Regelung". Auch dass Prüfer verpflichtet werden sollten, Unregelmäßigkeiten an Behörden zu melden, sah die Bundesregierung kritisch. Offenlegungspflichten lehnte Deutschland aus "bürokratischen Gründen" sowohl für kleine als auch große Prüfungsfirmen ab. Es gehe "nicht darum, den Prüfer zum Aufpasser zu machen", gab ein Vertreter des Justizministeriums bei einer Verhandlungsrunde im März 2012 zu Protokoll.

Die Vertreter der Kommission hielten dagegen: "Wenn man das Vertrauen in den Finanzmarkt wieder etablieren und die Wirtschaftskrise überwinden wolle, sei ein ambitionierter Ansatz richtig", wurde von den deutschen Verhandlern protokolliert. An die Seite der Kommission stellten sich Länder wie Frankreich, Italien und die Niederlande, die bestimmte Kompromisse, die im Laufe der Verhandlungen gemacht wurden, als zu wenig ambitioniert ablehnten. Spanien betonte, die Kompromisse seien nicht akzeptabel, weil sie "zu verwässert" seien. "Man pervertiere den ursprünglichen Vorschlag der Kommission. Man wundere sich, dass die Kommission dies akzeptieren könne", heißt es im Protokoll über Spanien.

Besonders in den Fokus genommen hatte die Kommission die Steuerberatung durch Wirtschaftsprüfer, weil "Steuerberatung völlig inkompatibel mit einer unabhängigen Prüfung sei", so die Kommission ausweislich der Protokolle. Sie schlug eine Liste mit verbotenen Leistungen vor - darunter die Steuerberatung. Doch genau die wollte unter anderem Berlin so nicht auf der Liste haben. Im Protokoll heißt es, dass Deutschland und auch andere Staaten "insbesondere hinsichtlich der Steuern", den Umfang des EU-Entwurfs für "zu weitreichend hielten".

Auf Anfrage antwortet das Bundesjustizministerium heute, dass es Position der Bundesregierung gewesen sei, Nichtprüfungsleistungen nur dann auszuschließen, wenn "beispielsweise eine Gefahr der Selbstprüfung" bestehe. Einen grundsätzlichen Interessenskonflikt schienen die Verhandler nicht zu erkennen. Man habe aber durchaus "begrüßt", dass die EU-Kommission eine Diskussion zur Verbesserung der Abschlussprüfungen auf EU-Ebene angestoßen habe. "Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund Zweifel vorgebracht, ob alle Elemente der vorgeschlagenen Reform dieses Ziel verfolgt haben, und hat die Kritik auch in den Verhandlungen geäußert."

Ein Passus zu Vorschriften über Interessenkollisionen wurde entfernt

Am Ende der Verhandlungen blieb von Barniers Ambitionen tatsächlich nicht mehr viel übrig. Das Ergebnis: Die Mitverantwortung der Wirtschaftsprüfer an der Finanzkrise wurde komplett aus der Reform gestrichen, und das Verbot der Nichtprüfungsleistungen für die "Big Four" weitgehend aufgeweicht. Ein Passus zu Vorschriften über Interessenkollisionen der Wirtschaftsprüfer wurde entfernt. Auch auf einen Hinweis auf die grundsätzlich "kritische Haltung der Wirtschaftsprüfer gegenüber den Unternehmen" wurde im verabschiedeten Text verzichtet.

Finanzkrise hin und oder: In Deutschland darf somit weiterhin prinzipiell testiert und steuerlich beraten werden.

© SZ vom 01.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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