Die Frage, wie man seinen Einkauf oder Restaurantbesuch bezahlt, kann hierzulande zu hitzigen Grundsatzdebatten führen. Wer bar bezahlt, ermögliche damit Schwarzarbeit und Geldwäsche, finden manche. "Bargeld ist geprägte Freiheit", argumentieren andere, die auf keinen Fall möchten, dass Münzen und Scheine je verschwinden. Umso besser, dass hierzulande fast überall jeder bezahlen kann, wie er möchte. Oder?
Politiker wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) oder der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordern derzeit lautstark, Asylbewerber sollten ihre Sozialleistungen künftig nicht mehr bar erhalten, sondern auf eine Bezahlkarte überwiesen bekommen. Das klingt modern und könnte sogar sinnvoll sein. Unsinnig und gefährlich wäre es jedoch, wenn Flüchtlinge künftig kaum noch Zugriff auf Bargeld hätten und - noch viel schlimmer - nicht mehr frei darüber entscheiden könnten, was auf ihrem Kassenzettel steht.
Es dürfte keine zwei Meinungen darüber geben, dass deutsche Behörden sehr dringend mehr digitale Lösungen brauchen. Wenn sich Asylbewerber jeden Monat in Schlangen einreihen müssen, um vom Amt mit Bargeld oder, noch grotesker, einem Scheck versorgt zu werden, den es dann bei der Bank einzulösen gilt, klingt das nach einer Zeitreise ins vorige Jahrhundert. Ist es aber leider nicht - und damit ein unhaltbarer Zustand für Beschäftigte in Ämtern genau wie für die Betroffenen selbst. Eine Bezahlkarte für geflüchtete Menschen, die kein Bankkonto haben, ist daher in der Tat eine begrüßenswerte Initiative. Hannover experimentiert gerade in einem Modellprojekt mit einer solchen Karte, mit der Asylbewerber bargeldlos bezahlen, aber auch Geld abheben können.
Und jetzt kommt das Aber: Fernab von Niedersachsens Hauptstadt schwingen sich in der aktuellen Debatte nämlich Politiker mit gänzlich anderen Absichten zu digitalaffinen Reformatoren auf. Wie sie offen verkünden, geht es ihnen auch (oder vor allem) darum, Menschen davon abzuhalten, nach Deutschland zu flüchten. Sie argumentieren: Wer Sozialleistungen bargeldlos bekomme und, wenn überhaupt, nur einen geringen Betrag in bar abheben könne, habe es schwerer, Geld in Herkunftsländer zu transferieren und Schlepper zu bezahlen. Außerdem, so zumindest der Plan in Sachsen, sollen Geflüchtete mit ihrer neuen Chipkarte nur in bestimmten Geschäften einkaufen können. Alkohol, Zigaretten oder Spielcasinos könnten für sie dann tabu sein.
Natürlich ist es ein Problem, wenn mehr Menschen nach Deutschland kommen, als die Kommunen verkraften können. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich Menschen teilweise jahrelang in Deutschland aufhalten, bis geklärt ist, ob sie ein Recht auf Asyl haben. Doch nun soll allen Ernstes eine Bezahlkarte die Probleme in der deutschen Migrationspolitik lösen? Das ist absurd.
Die aktuelle Debatte ist nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich
Um im großen Stil die Verwandtschaft in der Heimat zu unterstützen, reichen die 182 Euro Taschengeld, die alleinstehenden, erwachsenen Asylbewerbern hierzulande monatlich zustehen, ohnehin nicht aus. Und wer hierzulande als Flüchtling lebt und Probleme mit Alkohol oder Spielsucht hat, braucht bestenfalls professionelle Hilfe, nicht aber einen Staat, der wie ein strenger Internatsleiter reglementiert, wofür man sein Geld ausgibt.
Die aktuelle Debatte ist nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich: Wer auch nur laut darüber nachdenkt, dass man beschränken sollte, wofür Asylbewerberinnen und Asylbewerber ihr Geld ausgeben, der unterstellt, dass sie sich ein schönes Leben auf Staatskosten machen. Gibt es dafür anekdotische Evidenz? Vielleicht. Mehr aber auch nicht. Vielmehr bedient diese Denkweise gefährliche Klischees gegenüber geflüchteten Menschen und schürt in einer ohnehin schon aufgeheizten Debatte weitere Ressentiments. Dass viele Neuankömmlinge gern arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren würden, aber oft gar nicht dürfen, fällt dabei ganz unter den Tisch.
Es ist zudem naiv zu glauben, dass solche Maßnahmen irgendwen davon abhalten, vor politischer Verfolgung oder auch "nur" bitterer Armut zu flüchten. Etwas sarkastisch könnte man sagen: Wenn dem so wäre, dann hätten die bislang so langen Schlangen vor Sozialämtern schon ausreichend abschreckende Wirkung haben müssen.