Energie:Zukunftspläne für Braunkohlerevier stoßen auf Skepsis

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FDP-Fraktionschef Henning Höne spricht im Plenum des Landtags. (Foto: Thomas Banneyer/dpa)

Der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg in NRW ist nun in eine letzte Leitentscheidung gegossen worden. Der Braunkohle-Tagebau wird verkleinert. Mehr Kohle bleibt im Boden. Fünf Dörfer werden gerettet. Die Opposition hält die Zukunftspläne von CDU und Grünen für wenig realistisch.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) - Eine unwirtliche Mondlandschaft mit Hunderte Meter tiefen Löchern und gigantischen Baggern erstreckt sich keine 30 Kilometer Luftlinie südwestlich von Düsseldorf. Die Braunkohleförderung hat die Natur im rheinischen Revier umgewälzt, Tausende Menschen wurden zwangsumgesiedelt. Sogar beim Blick aus dem Fenster ihres Amtssitzes hoch über der Landeshauptstadt kann die nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur (Grüne) das fahle Braun des rheinischen Reviers erkennen.

In weniger als sieben Jahren soll nach rund 170 Jahren Schluss sein mit dem Abbau der Braunkohle. Die schwarz-grüne Landesregierung hat die letzte Leitentscheidung für das Rheinische Revier vorgelegt. Infolge des auf 2030 vorgezogenen Kohleausstiegs wird damit der bisher vorgesehene Braunkohleabbau verkleinert und der Rahmen für die Rekultivierung des Tagebau-Gebiets für die nächsten Jahrzehnte festgelegt.

In einigen Jahrzehnten soll aus den gewaltigen Braunkohle-Kratern eine schöne Landschaft mit Seen, Landwirtschaft, Biotopverbünden, Unternehmen und viel erneuerbaren Energien entstanden sein. Die künftigen Seen sollen binnen 40 Jahren mit Rheinwasser befüllt werden, für das von Dormagen aus eine Transportleitung gebaut werden soll. Dieser Plan ist nicht unumstritten und bisher beispiellos.

Die stellvertretende Ministerpräsidentin Neubaur nannte die neue Leitentscheidung am Freitag im Landtag einen „historischen Punkt“. Die Opposition aus SPD, FDP und AfD sah das ganz anders und sprach von einem „energiepolitischen Blindflug“ und einem „verstolperten Strukturwandel“.

Auch Neubaur machte den bevorstehenden Kraftakt zum Umbau des Reviers deutlich. „Die Braunkohle hat über lange Zeit bis zu 20.000 Beschäftigten in den Tagebauen und Kraftwerken Arbeit gegeben“, sagte die Grünen-Politikerin. Aber die Kohleförderung habe auch mehr als 40.000 Menschen gezwungen, ihre Häuser und Dörfer aufzugeben. Mehr als 130 Ortschaften und Weiler hätten umgesiedelt werden müssen. Die Verfahren für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Wirtschaftsansiedlungen im Tagebaugebiet müssten schneller werden, räumte sie ein.

Die SPD hielt die Pläne der schwarz-grünen Landesregierung für unrealistisch. „Wir brauchen einen Turbo bei neuen Arbeitsplätzen“, sagte die SPD-Abgeordnete Lena Teschlade. Auch die grundlegende Frage der Energie-Versorgungssicherheit sei mit der neuen Leitentscheidung zur Verkleinerung des Braunkohleabbaus nicht geklärt.

Die Menschen im Braunkohlerevier verdienten zwar „eine schöne Landschaft mit einem guten Freizeitwert“, so Teschlade. „Aber noch besser ist es, wenn die Menschen in Zukunft weiterhin eine Arbeitsstelle haben und ihre Freizeit auch genießen können.“ Die Sicherung bestehender Arbeitsplätze und eine aktive Ansiedlungspolitik für neue Unternehmen spielten praktisch keine Rolle. Schwarz-Grün lege den Fokus stattdessen auf einen Biotopverbund.

Dass es zu der neuen Leitentscheidung kam, liegt daran, dass Neubaur und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Herbst 2022 mit dem Energiekonzern RWE einen um acht Jahre vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleförderung bis 2030 vereinbart hatten. Dadurch reduziere sich die abbaubare Kohlemenge um mindestens 280 Millionen Tonnen Kohle, sagte Neubaur. Damit werde auch der Ausstoß von etwa 280 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermieden.

FDP-Fraktionschef Henning Höne warf Neubaur dagegen einen „Hinterzimmer-Deal“ mit RWE vor. Das werde zu weiter steigenden Energiepreisen führen. Die Leitentscheidung gebe keine klare Antwort, wie die Energielücke geschlossen werden solle. Die Landesregierung begebe sich in einen „energiepolitischen Blindflug, so Höne. Der AfD-Abgeordnete Markus Wagner sagte, die Leitentscheidung sei ein „Dokument der Energiewende ins Nichts“.

Mit der neuen Leitentscheidung 2023 wird auch die Rettung von fünf bereits größtenteils verlassenen Dörfern am Tagebau Garzweiler besiegelt. Diese werden nun doch nicht abgebaggert, sondern sollen „Orte der Zukunft“ werden. Die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner der fünf Dörfer sind aber schon weggezogen. Nun sollen die Umsiedlungen der Leitentscheidung zufolge „vorzeitig und sozialverträglich beendet“ werden.

Neubaur verwies darauf, dass sich noch verbliebene Dorfbewohner bis zum 30. Juni 2026 entscheiden können, ihr Haus an RWE zu verkaufen und fortzuziehen. Für bereits weggezogene ehemalige Dorfbewohner sei geplant, ihnen möglichst ab 2024 ein befristetes Vorkaufsrecht für ihr früheres Wohneigentum zu ermöglichen.

Trotz der Rettung der Dörfer kam von der Umweltorganisation BUND Kritik an der Leitentscheidung. Der geplante Abbau weiterer 280 Millionen Tonnen Braunkohle sei „viel zu hoch und eine schwere Hypothek für den Klimaschutz in NRW“, kritisierte der BUND. Zudem sei die Verkürzung des Tagebaubetriebs mit verlängerten Kraftwerkslaufzeiten und neuen Gaskraftwerken als „Abschiedsgeschenk“ der Landesregierung an RWE „teuer erkauft“. Der BUND prophezeite, dass die Landesregierung ihre Politik nicht durchhalten werde. Die Leitentscheidung werde „nicht die letzte bleiben“. Denn die Probleme beim Klima- und Gewässerschutz blieben weiterhin größtenteils ungelöst.

Die Fraktionschefin der Grünen, Wibke Brems, machte noch einmal die Dimension der Herausforderungen für das Braunkohlerevier deutlich. Die Menschen mit ihrem Hunger nach Energie hätten dort „den Boden auf links und das Antlitz der Region für immer verändert“. Hunderte Meter tiefe Löcher, gekappte Wegeverbindungen, Bergschäden und Flüsse, die ihre Fließrichtung geändert hätten - „diese Auswirkungen werden noch Generationen beschäftigen“.

© dpa-infocom, dpa:230922-99-292957/4

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