Agrar- und Pharmakonzern:Bayer vor dem Umbau

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Seit Monaten gibt es Gerüchte, dass der Agrar- und Pharmakonzern Bayer zerschlagen werden könnte. (Foto: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa)

Der Aspirin-Konzern meldet fast drei Milliarden Euro Verlust. Der neue Vorstandschef will jetzt massiv sparen, vor allem beim mittleren Management. Aktienkurs bricht ein.

Von Elisabeth Dostert, München

So schnell will Bayer-Chef Bill Anderson nichts an der Struktur des Agrar- und Pharmakonzerns ändern. "Nicht jetzt" solle aber nicht als "nie" missverstanden werden, sagte Anderson am Dienstag bei der ausschließlich virtuellen Bilanzpressekonferenz aus London. Seit Monaten wabern Spekulationen, dass der Konzern zerschlagen werden könnte oder sollte: in die Einzelteile Crop Science, also das Portfolio mit Pflanzenschutz und Saatgut, Pharmaceuticals, also das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Produkten, und Consumer Health, dazu gehören rezeptfreie Mittel wie Aspirin und Bepanthen.

Natürlich werden wir "für alles offenbleiben", sagt Anderson. In den kommenden zwei bis drei Jahren soll aber zunächst die Performance des Konzerns verbessert werden. Anderson will Schulden abbauen, die Pharma-Sparte stärken, die Rechtsstreitigkeiten um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat "wirkungsvoll angehen" und den Konzern schlanker, schneller, produktiver machen und näher an die Kunden bringen. Bayer hat damit begonnen, ein neues Organisationsmodell einzuführen, es heißt Dynamic Shared Ownership. Sinngemäß kommt der Ausdruck "geteilte Verantwortung" dem englischen Begriff ziemlich nahe. Von 2026 an sollen so jährlich Organisationskosten von zwei Milliarden Euro eingespart werden.

Gewerkschaft kritisiert Managementfehler

Das Programm läuft auf einen Abbau von Stellen im mittleren Management hinaus, der substanziell sein werde, so Anderson. Eine Zahl wollte er nicht nennen. Die Herangehensweise sei anders als bei den üblichen Restrukturierungen. "Wir fangen nicht mit einem festen Ziel an." In einigen Bereichen gebe es heute "zwölf Ebenen zwischen Bill und unseren Kunden", erläuterte Personalvorständin Heike Prinz. Ziel seien fünf bis sechs Ebenen. Bayer habe derzeit mehr als 17 000 Führungskräfte. Mehr als 30 Prozent davon leiten Prinz zufolge kleine Teams mit vier oder weniger Mitarbeitern. "Einigen Managern ist sogar nur eine Person direkt unterstellt." Im Pharmateam in Nordamerika, beispielsweise, sei die Zahl der Manager um 40 Prozent gesenkt und die Größe der Teams von acht bis neun auf 15 bis 20 Personen je Führungskraft erhöht worden.

Bayer habe sich durch eine Reihe von Managementfehlern in eine fragile Lage gebracht, sagt Francesco Grioli, Vorstandsmitglied der Chemie-Gewerkschaft IGBCE und Aufsichtsratsmitglied bei Bayer, der SZ. Die Situation werde sich mit Umstrukturierungen und Stellenstreichungen allein nicht beheben lassen - "und erst recht nicht mit einer Zerschlagung." Das Management müsse die Kernprobleme im Agrar- und Pharmageschäft lösen, damit der Konzern wieder in die Spur komme. Seit Jahrzehnten habe es keine betriebsbedingten Kündigungen mehr bei Bayer gegeben. "Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass das auch so bleibt", so Grioli.

Das Geschäftsjahr 2023 hat Bayer mit einem Konzernverlust von 2,9 Milliarden Euro abgeschlossen, nach einem Gewinn von 4,2 Milliarden Euro im Vorjahr. Sondereinflüsse, insbesondere Wertminderungen von Geschäfts- und Firmenwerten, belasteten den Konzern schwer. Das Geschäft mit glyphosathaltigen Produkten litt, weil die Preise sanken, während die Kosten stiegen. Allein Crop Science, es ist die umsatzstärkste Division, machte vor Steuern und Zinsen 3,5 Milliarden Euro Verlust. Der Umsatz des Konzerns sank um gut sechs Prozent auf 47,6 Milliarden Euro. Für 2024 peilt Bayer währungsbereinigt 47 bis 49 Milliarden Euro Umsatz an. Der Druck auf die Profitabilität werde steigen, erwartet Finanzvorstand Wolfgang Nickl. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereinflüssen werde mit 10,7 bis 11,3 Milliarden Euro zwischen drei bis neun Prozent geringer ausfallen als 2023.

Der Konzern hat sich noch nicht von der Monsanto-Übernahme erholt

Bill Anderson hatte Anfang Juni 2023 die Nachfolge von Werner Baumann angetreten. Mit dem Neuen sollte alles besser werden. Den weiteren Absturz des Aktienkurses konnte der Manager bislang nicht bremsen. Am Dienstag schloss die Aktie mit 25,96 Euro, 7,6 Prozent schwächer als zu Wochenbeginn. Das ist der niedrigste Wert seit Frühjahr 2005. Das Papier war damit am Dienstag der mit Abstand größte Verlierer im Aktienindex Dax.

Noch immer hat sich der Konzern aus Leverkusen nicht von der gut 63 Milliarden teuren Übernahme des US-Konzerns Monsanto erholt, zu dessen Sortiment Glyphosat gehört. Vollzogen wurde der Kauf im Sommer 2018 - und bald überrollte Bayer in den USA eine Klagewelle von Menschen, die Glyphosat ihre Krebserkrankung zuschreiben. Bayer zahlte Milliarden für Vergleiche. Die Welle hat an Wucht verloren, aber immer noch gibt es Klagen und Ansprüche.

Den Vorwürfen, Glyphosat sei krebserregend, hat Bayer mit Verweis auf zahlreiche Studien stets widersprochen. "Glyphosat ist sicher, Glyphosat ist essenziell", sagte Anderson am Dienstag. Bayer habe neue Kanzleien beauftragt. Eine neue Verteidigungsstrategie allein reiche aber nicht aus. Bayer wolle auch intensiver mit Akteuren aus der Politik zusammenarbeiten. Wie die Financial Times berichtet, setzt sich der Konzern in den US-Bundesstaaten Idaho, Iowa und Missouri intensiv für Gesetze ein, die vorsehen, das Bundesrecht vorgeht. In zahlreichen Verfahren setzten Anwälte die Ansprüche ihrer Kläger auch mit dem Argument durch, dass auf den Verpackungen von Pestiziden mit dem Wirkstoff Glyphosat ein Warnhinweis fehlt. Bayer hatte stets darauf verwiesen, dass ein solcher Hinweis unzulässig sei, weil die US-Umweltbehörde EPA in dem Produkt bei korrektem Gebrauch kein Gesundheitsrisiko sehe. Anderson wollte sich nicht im Detail zur weiteren Strategie äußern, man wolle der Klageindustrie in den USA kein Handbuch geben.

Andersons Mittel sind begrenzt. Die freien liquiden Mittel brachen 2023 um fast 58 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro ein, ursprünglich hatte der Konzern mit einem Free Cashflow von null gerechnet. Auf dem Konzern lasten hohe Schulden. Zum Jahresende waren es netto 34,5 Milliarden Euro, ein Anstieg um 8,5 Prozent. Bayer hat mehr Verbindlichkeiten, als der Konzern derzeit an der Börse wert ist. Um mehr Geld für den Abbau der Schulden zu haben, kürzt der Konzern, wie er schon im Februar mitteilte, die Dividende für 2023, 2024 und 2025 auf das gesetzlich geforderte Minimum von elf Cent je Aktie.

"Der Turnaround von Bayer ist kein Sprint, sondern ein Marathon", sagte Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment, nach dem Kapitalmarkttag von Bayer am Nachmittag. Dieser habe die Erwartungen enttäuscht. Mit der Kürzung der Dividende und dem DSO-Programm habe Bayer jetzt die ersten drastischen Schritte getan und sei in die richtige Richtung unterwegs. Es sei ein großer Fehler, auf konkrete mittelfristige Ziele wie Umsatzwachstum oder Margen zu verzichten, moniert Manns. Ihm zufolge fehlen Investoren damit die Wachstumsperspektiven für die nächsten Jahre und konkrete Maßstäbe, an denen das Management gemessen werden könne. Entscheidend werde jetzt sein, wie schnell die teilweise "sehr vagen Ziele" mit Leben gefüllt werden könnten. Sollte es keine operativen Fortschritte geben, werde das Thema Abspaltung von Consumer Health schnell wieder auf der Tagesordnung landen, erwartet er.

Der Konzern ist im Umbruch, wie auch die Veränderungen im Aufsichtsrat zeigen, die Bayer am vergangenen Freitag mitteilte. Der aktivistische Investor Jeffrey Ubben, Gründer von Inclusive Capital Partners, soll in das Kontrollgremium einziehen. Nominiert ist auch Lori Schechter, Chefjustiziarin des börsennotierten Konzerns McKesson, zu dem auch Pharmagroßhändler gehören. Ihre Berufserfahrung dürfte Bayer von Nutzen sein. Bevor sie zu McKesson wechselte, war Schechter Global Chair of Litigation der auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei Morrison & Foerster. Sie kennt sich also bestens aus mit Schadenersatzklagen.

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