Seit etwa zwei Jahren kündigen die Bausparkassen wegen der Niedrigzinsphase massenhaft alte Verträge ihrer Kunden - nach Schätzungen mindestens 250 000. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden: Die Kündigungen sind rechtens. Die Sparer haben demnach keinen Anspruch, an ihren vergleichsweise gut verzinsten Verträgen festzuhalten.
Der Streit, der inzwischen mehr als hundert Land- und Oberlandesgerichte beschäftigt hat, ist damit für alle Instanzen verbindlich entschieden. Der Bankensenat des BGH schließt sich der weitaus überwiegenden Meinung der unteren Instanzen an: Bausparverträge, die seit mindestens zehn Jahren "zuteilungsreif" sind (so nennt man die Phase, in der das vereinbarte Darlehen abgerufen werden kann), können von den Bausparkassen auch gegen den Willen des Kunden beendet werden.
Mit dem Urteil sind die zwölf privaten Institute und die acht öffentlich-rechtlichen Landesbausparkassen mit höchstrichterlichem Segen von den Lasten der anhaltend niedrigen Zinsen befreit, die ihr Geschäftsmodell in eine Schieflage gebracht hat. Es basiert ursprünglich auf der Idee, den Kunden zwar auf ihr Guthaben geringere Zinsen zu zahlen als am Markt erzielbar, ihnen dafür aber nach der Zuteilung günstige Darlehen zu gewähren. Die Rechnung ging aber in der Niedrigzinsphase nicht mehr auf, weil die Sparer am inzwischen lukrativen Guthabenzins festhalten, aber die teuer gewordenen Darlehen nicht mehr in Anspruch nehmen (siehe Grafik).
Alle Schuldner dürfen kündigen - auch die Kassen
Der BGH, bei dem mehr als hundert solcher Verfahren anhängig sind, hat über zwei Klagen verhandelt - einen Vertrag von 1978 mit rund 20 000 Euro Bausparsumme und drei Prozent Guthabenzins sowie zwei weitere über zusammen etwa 100 000 Euro mit 2,5 Prozent Zinsen. Konditionen also, die für Sparguthaben heute kaum zu bekommen sind. Die Verträge sind seit 23 beziehungsweise gut 15 Jahren zuteilungsreif. Die Kunden haben ihr Darlehen gleichwohl nicht abgerufen, sondern weiter gespart. Wüstenrot kündigte, die Sparer klagten - und bekamen beim Oberlandesgericht Stuttgart zunächst recht.
Zentraler Streitpunkt war - juristisch gesehen - eine Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch, die dem "Darlehensnehmer" ein Kündigungsrecht gewährt - also demjenigen, der eine Kreditsumme ausbezahlt bekommen hat. Zehn Jahre "nach dem vollständigen Empfang" des Darlehens darf er sich vom Vertrag lösen. Darauf stützten die Bausparkasse ihre ein wenig formalistisch anmutende, aber durchaus am Wortlaut des Paragrafen orientierte Argumentation: Während der Ansparphase sei letztlich die Bausparkasse der "Darlehensnehmer", weil sie vom Kunden Geld bekomme, das sie später zurückzahlen müsse. Also könne sie auch das Kündigungsrecht nutzen.
Kündigung von Bausparverträgen:Der Bundesgerichtshof bricht mit einem Kernsatz des Rechts
Er wälzt das Risiko bei Bausparverträgen von den Kassen auf die Kunden ab - entgegen dem klaren Vertragswortlaut.
Dieser Argumentation schloss sich der BGH an. Das Kündigungsrecht komme allen Kreditschuldnern zugute, nicht nur Verbrauchern, sondern auch Bausparkassen, sagte der Senatsvorsitzende Jürgen Ellenberger bei der Urteilsverkündung. "Jeder Darlehensnehmer soll die Möglichkeit haben, nach zehn Jahren zu kündigen." Maßgeblich für den Beginn dieser Zehn-Jahres-Frist sei die Zuteilungsreife.
Doch Wüstenrot-Anwalt Reiner Hall machte keinen Hehl daraus, dass es letztlich um einen juristischen Ausweg aus der wenig komfortablen Marktsituation geht. "Die Nullzins-Phase, das ist kein Marktgeschehen. Das ist eine Entwicklung, die von der EZB vorangetrieben wird, um den Staaten billiges Geld zu verschaffen." Die Bausparkassen hätten für ein derart "umstürzendes Ereignis, mit dem niemand gerechnet hat", keine Vorsorge treffen können. Und die Möglichkeiten, mit dem Geld etwa an der Börse bessere Renditen zu erzielen, seien gesetzlich stark eingeschränkt.
Aus Sicht des Klägeranwalts Peter Wassermann geht es dagegen um die Frage, wer die Folgen der Niedrigzinsphase zu tragen hat. "Man versucht, das Risiko veränderter Marktverhältnisse auf die Kunden abzuwälzen", sagte er in der Verhandlung. An einem zuteilungsreifen Vertrag festzuhalten, sei völlig legitim und vertragskonform. Verbraucherschützer halten den Bausparkassen vor, dass sie die Verträge einst selbst als Geldanlage beworben hätten. Damals hätten sie daran gut verdient, deshalb müssten sie heute die Konsequenzen tragen.