Mit Geschenken im Geschäftsleben ist es so eine Sache. "Niemand hat was zu verschenken", sagte die Oma immer, deshalb solle man aufpassen, wenn einem jemand etwas umsonst anbiete; wahrscheinlich zahle man an anderer Stelle dafür, an einer Stelle, an der man es vielleicht gar nicht merke. Es gibt eine Reihe von Sprichwörtern, die diese Lebensweisheit zum Inhalt haben. "Umsonst ist nur der Tod, und der kostet das Leben", heißt es in Deutschland. "There is no free lunch", sagen die Amerikaner.
Trotzdem sind Geschenke im Geschäftsleben gerade in Deutschland immer noch weitverbreitet, und es gibt auch immer noch viele Verbraucher, die nicht merken, dass sie an anderer Stelle dafür bezahlen. Sie verhalten sich wie die Kaninchen, denen man mit der einen Hand die Karotte hinhält, um sie anzulocken, und mit der anderen Hand das Fell über die Ohren zieht.
Der größte Kaninchenstall war lange Zeit die Bankenbranche. Egal ob Sparkassen, Privatbanken oder Volks- und Raiffeisenbanken - fast alle boten ihre wichtigste Dienstleistung, das Girokonto, umsonst an. Es ist noch gar nicht so lange her, da zahlten einzelne Kreditinstitute sogar eine Prämie von 50 oder 100 Euro, wenn Kunden bei ihnen ein Girokonto eröffneten. Die Gratiskultur blühte, und die Deutschen haben sich über Jahrzehnte hinweg daran gewöhnt.
Das Bankgeschäft war lange ein gewaltiger Quersubventionsbetrieb
Vielen war nicht bewusst, dass sie an anderer Stelle teuer für das Geschenk bezahlten. Das kostenlose Girokonto war das Lockmittel, mit dem Banken und Sparkassen die Beziehung zum Kunden aufbauten. Als Basis für die Geschäftsbeziehung ist das Girokonto auch deshalb ideal, weil meist das monatliche Gehalt darauf eingeht und es einen Überblick über die finanziellen Verhältnisse des Kunden bietet. Es ist die ideale Rampe, um ihm andere Dienstleistungen zu verkaufen, die dann nicht mehr gratis sind, sondern im Gegenteil überteuert: Versicherungen mit überhöhten Beiträgen, Fondsanteile mit überhöhten Provisionen, Bau- und Ratenkredite mit überhöhten Zinsen. Das Bankgeschäft in Deutschland war viele Jahrzehnte lang ein gewaltiger Quersubventionsbetrieb mit starker Tendenz zur Intransparenz.
Insofern ist es keine schlechte Nachricht, dass immer mehr Banken das kostenlose Girokonto abschaffen. Den Trend zu höheren Gebühren gibt es schon seit einigen Jahren, weil die Kreditinstitute schwindende Einnahmen wegen der niedrigen Zinsen auszugleichen versuchen. In den vergangenen Monaten hat sich dieser Trend durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs beschleunigt. Danach waren viele Gebührenerhöhungen in der Vergangenheit unwirksam, weil die Kunden nicht aktiv zugestimmt haben. Jetzt holen die Banken diese Zustimmung ein - und so manche Erhöhung nach. Jüngster Fall ist die Direktbank ING, die künftig 99 Cent pro Monat für die Girocard verlangt, was einer Abschaffung des kostenlosen Girokontos gleichkommt.
Auf den ersten Blick sieht das wie ein Nachteil für die Kunden aus, doch es kann eine große Chance sein: Die Abkehr von der Gratiskultur ist auch eine Abkehr von der Kultur der Lockangebote. Ein Girokonto zu unterhalten ist eine Dienstleistung, die eine Bank Geld kostet. Es ist völlig in Ordnung, dass sie dafür Geld verlangt. Das Geschäftsmodell wird dadurch transparenter. Es ist auch eine erzieherische Aufgabe für die Geldhäuser, ihren Kunden das nahezubringen. Denn im Grunde korrigieren sie damit eine Fehlentwicklung, die über Jahrzehnte hinweg anhielt. Mündige und aufgeklärte Kunden werden das verstehen und bereit sein, dafür Gebühren zu bezahlen, sofern diese nicht überteuert sind.
Es gehört dann aber auch dazu, den zweiten Schritt zu tun: Die Banken müssen jene Dienstleistungen günstiger machen, mit denen sie bisher das kostenlose Girokonto quersubventioniert haben. Sie müssen die Provisionen, Gebühren und Zinsen für den Verkauf von Versicherungen, Fondsprodukten und Krediten senken. Dadurch würden sie im Übrigen auch konkurrenzfähiger. Wenn sie jede Dienstleistung korrekt und fair bepreisen, müssen sie ihre Kunden nicht mehr auf der einen Seite anlocken und ihnen auf der anderen das Fell über die Ohren ziehen.