Girokonto:Der beliebtesten Karte der Deutschen droht das Aus

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Zahlungen mit der Girokarte machten 2020 im stationären Handel fast die Hälfte aller Umsätze aus. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Sogar die ING verlangt künftig einen symbolischen Euro pro Monat für die Girocard. Die Direktbank beschleunigt damit einen Trend.

Von Jan Diesteldorf, Frankfurt

Während das Land unter den Härten der Corona-Krise zu leiden hatte, taten sich ungeahnte Möglichkeiten auf. In der Bäckereifiliale, wo die Verkäuferin behandschuht hinter Plexiglas Brötchen eintütete, stand man plötzlich vor einem Schild: Bitte kontaktlos zahlen! Brötchen zu 2,54 Euro, der späte Einkauf am Kiosk, das Lieblingsrestaurant, das bislang immer nur Bargeld akzeptiert hatte: Überall standen plötzlich Kartenlesegeräte. Eine deutsche Eigenart aber blieb an vielen Orten: Es funktionierten oft ausschließlich Girokarten, früher bekannt als EC-Karten, die beliebtesten Zahlungskarten hierzulande.

Wer eine solche als Kunde der Direktbank ING nutzen möchte, muss dafür künftig zahlen: 99 Cent will die Bank von jenen ihrer knapp zehn Millionen Kunden pro Monat haben, die noch die klassischen Euroscheck-Karten nutzen möchten. Das geht aus dem neuen Preis- und Leistungsverzeichnis hervor, das die Bank am Dienstag auf ihrer Webseite veröffentlicht hat und das zuerst der Branchendienst finanz-szene.de entdeckt hatte.

Damit beendet eines der letzten noch standhaften Geldinstitute hierzulande de facto die Zeit des kostenlosen Girokontos. Man wird als Kunde zwar die Girocard abbestellen können, um die knapp zwölf Euro im Jahr zu sparen, aber ganz ohne diese Karte geht es eben noch nicht. Zumindest in Deutschland, wo das typische "aber nur mit EC" noch häufig zu hören ist, weil Zahlungen mit Visa- oder Masterkarten für die Händler mit höheren Gebühren verbunden sind.

Warum die Girocard ein Auslaufmodell ist

Trotzdem ist die direkt mit dem Konto verknüpfte Girokarte, dieser elektronische deutsche Scheckkartenblock, ein Auslaufmodell. Denn die ING reiht sich mit ihrem Schritt ein in eine wachsende Zahl an Banken, die sich allmählich von der EC-Karte als Standard-Kontokarte verabschiedet.

Direktbankkunden bei ING, DKB, Comdirect oder der Consorsbank erhalten schon längere Zeit neben der Girocard eine kostenfreie Visa-Debit-Karte. Die kann man sich vorstellen wie eine Kreditkarte, die man weder aufladen noch monatlich ausgleichen muss, weil sie direkt mit dem Girokonto verknüpft ist. Während die Comdirect Girokarten schon länger nur noch optional anbietet, hat auch die DKB angekündigt, Visa-Debit-Karten zum Standard zu machen, während Girokarten Gebühren kosten.

So reibungslos die deutsche Traditionskarte funktioniert, sie hat erhebliche Nachteile. Für den Online-Handel ist sie genauso wenig geeignet wie für Zahlungen zwischen Einzelpersonen. Sie funktioniert nur in Deutschland über die von den Bankenverbänden autorisierten Netzbetreiber - und braucht eine Mastercard- oder Visa-Schnittstelle, damit sie auch im Ausland nutzbar ist. Bankkunden erkennen das an den Labels "Maestro" oder "V-Pay" auf ihren Karten.

Marktmacht der US-Anbieter wächst

Es sind vor allem die Kartenanbieter selbst, die das schleichende Ende der Girocard bestimmen. Mastercard kündigte jüngst an, die Maestro-Funktion im Sommer 2023 ganz abzuschalten. Spätestens dann können Banken keine neuen Maestro-Karten mehr herausgeben, während alte Karten bis 2027 weiter gültig bleiben sollen. Mastercard begründete den Schritt mit einer Anpassung an den digitalen Lebensstil. Die Maestro-Funktion sei "ursprünglich für eine physische Welt geschaffen" worden und könne nicht durchgängig genutzt werden. Sprich: Sie ist nicht mehr zeitgemäß. Experten erwarten, dass Visa entsprechend nachzieht und auch V-Pay keine Zukunft hat.

Damit zementieren die beiden großen Kartenbetreiber aus den USA ihre Marktmacht: Ein alternatives europäisches System gibt es bislang nicht, an Visa und Mastercard kommen Banken kaum noch vorbei, der elektronische Zahlungsverkehr in Europa gerät - mit Google und Apple Pay, mit Paypal und den Kartenanbietern - perspektivisch in die Hand von US-Konzernen. Derzeit arbeitet ein Konsortium von mehr als 30 europäischen Banken und Zahlungsdienstleistern mit Unterstützung der EU und der EZB an einem eigenen System, dessen Entwicklung Milliarden kosten soll. Denn es ist auch eine Machtfrage, wer den Zahlungsverkehr der Zukunft kontrolliert. Und über die wird in den kommenden Jahren entschieden.

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