Baden-Württembergs Wirtschaft nach der Wahl:Der Tanz der Vampire

Lesezeit: 4 min

Wende in Baden-Württemberg: In dem Land müssen zwei Lager zusammenfinden, die sich einander bislang eher als Vampire betrachteten. Vor allem im Autobau, der Schlüsselbranche, könnte das schwierig werden.

Karl-Heinz Büschemann, Dagmar Deckstein und Charlotte Theile

Der künftige Ministerpräsident von Baden-Württemberg gilt als bescheiden. Er hebe nicht leicht ab, heißt es. Trotzdem: Am Abend des Wahlsonntags wagte Winfried Kretschmann, 62, ein großes Wort: "Wir haben eine historische Wende in diesem Land erreicht." Erstmals wird mit ihm ein Vertreter der Grünen Regierungschef eines deutschen Bundeslandes.

Ein starkes Ländle: Für eine Auswahl der bedeutendsten Unternehmen Baden-Württembergs auf das Bild klicken. (Foto: N/A)

Vor dieser "historischen Wende" haben viele Wirtschaftsvertreter in Baden-Württemberg gehörige Angst. "Die Grünen sind keine Partei, die die Autoindustrie fördert. Die haben kein Gefühl dafür, wie viele Jobs daran hängen", wetterte beispielsweise vor der Landtagswahl der Unternehmer Rudolf Louis Schweizer in Capital. Die Warnung des Mittelständlers, der Gussteile für Autos herstellt, war symptomatisch. Umgekehrt ist vom grünen Wahlsieger Kretschmann der Satz überliefert: "Spritfressende Luxuskarossen zu bauen, um sie dann in Schwellenländer wie China zu verkaufen, ist nicht sonderlich nachhaltig."

Das richtet sich frontal gegen Daimler, Porsche und die großen Audi-Fahrzeuge, die in Baden-Württemberg gebaut werden. Geradezu furchterregend äußert sich Rezzo Schlauch am Tag nach der Wahl. Der langjährige Grünen-Politiker aus dem südwestlichen Bundesland, der fast einmal Oberbürgermeister von Stuttgart geworden wäre, kritisiert die Wirtschaft und ihre Vertreter massiv.

Die hätten sich als "völlig unfähig und ignorant gegenüber der sich öffnenden Entwicklung" erweisen, sagt Schlauch. "Die sitzen wie Vampire in ihren alten Burgen und beißen wild um sich."

Statt "sich zu öffnen", wie es für Eliten angemessen sei, "rieselt denen noch der konservative Kalk aus der Stirn", führt der als Wirtschaftsanwalt arbeitende Grüne aus: "Atemberaubend", sei das.

Bienenfleißiger Mittelstand versus politische Weltverbesserer

In dem wirtschaftlich starken Land, müssen zwei Lager zusammen finden, die bisher ein hoch emotionales Verhältnis pflegten: hier der bienenfleißige Mittelstand, eine Domäne der Tüftler und Weltmarktführer in Nischen, sowie die großen Konzerne. Auf der anderen Seite die politische Weltverbesserer, die mit der alten Art des Produzierens nichts anfangen können und für den ökologischen Umbau eintreten.

Es gibt schon lange reichlich Streitpunkte. So standen die Grünen schnell auf der Seite der vehementen Kritiker des Bahnhofsneubaus Stuttgart 21. Während die Unternehmer für den Abriss des alten Kopfbahnhofs waren.

Manchmal hieß es im Wirtschaftslager, die anderen seien "Chaoten". Auch in der Frage der Atomkraft sind die Lager traditionell voneinander getrennt. Umso stärker fällt ins Gewicht, dass das Land beim Stromversorger EnBW neuerdings einen Anteil von 45 Prozent hält und die Grünen demnächst im Aufsichtsrat des Konzerns vertreten sein werden, der vier der 17 deutschen Atommeiler betreibt.

Die Grünen galten lange Zeit als eher wirtschaftsferne Partei, in der Utopisten und Idealisten neben den sogenannten Realos einen bedeutenden Platz haben. Umgekehrt gilt Baden-Württemberg als Kernland des Industriestandortes Deutschland. Nun soll beides zusammenkommen, die Tradition und die Moderne, die Spätzle-Ökonomie und die Solar-Ökologie. Manchem erscheint das als schwieriges Unterfangen.

So erklärt es sich auch, dass die Aktie des Stuttgarter Autokonzerns Daimler am Tag danach der größte Verlierer an der Börse war. Sie verlor in der Spitze um 2,4 Prozent.

Baden-Württemberg war bisher die deutsche Vorzeige-Region. Das Bindestrichland hat die niedrigste Arbeitslosenquote der Republik (4,5 Prozent) und mit 350 Milliarden Euro ein höheres Bruttoinlandsprodukt als Griechenland (230 Milliarden Euro). Weit mehr als 50 Umsatz-Milliardäre haben hier ihren Sitz, darunter Weltmarken wie Daimler, Porsche, Bosch oder SAP.

Vor allem im Kerngeschäft des Landes, dem Autobau, müssen sich die neue Regierungspartei und die alten Erfolgsunternehmen einander annähern. Die Autokonzerne werden mit dem neuen Ministerpräsidenten einen Partner haben, der ihnen ungebetenen Rat geben wird.

Schon im grünen Wahlprogramm steht manches Kritische über die Autobauer. Zum Beispiel: "Ihr bisheriges Konzept, überwiegend mit großen Premiumwagen eine ausreichende Wertschöpfung zu erzielen birgt erhebliche Risiken. In Zukunft", so das Programm der Grünen, gehe es darum, "kleinere, leichtere und effizientere Autos zu bauen, nicht größere". Schon bald will die neue Regierung die Autoindustrie zum Dialog einladen.

Die Vertreter der Wirtschaft äußern sich zurückhaltend. Brav erklärt ein Daimler-Sprecher, man werde mit der neuen Regierung "konstruktiv zusammenarbeiten". Matthias Wissmann, der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die Industrie ist zum Dialog bereit und respektiert das Wahlergebnis."

Eine gewisse Reserve bei der IHK Stuttgart

Die Branche hoffe, "dass sich mit Herrn Kretschmann der pragmatische und ideologiefreie Teil der Grünen stärker durchsetzt, der die wirtschaftliche Realität des Landes kennt und akzeptiert." Die Manager wollen offenbar kein Öl ins Feuer gießen. In den Unternehmen aber geht die Sorge um, der Kurs der neuen Landesregierung könnte zu höheren Energiepreisen führen.

"Wir fürchten eine Wettbewerbsverzerrung, wenn unsere Konkurrenten billigere Energie bekommen", sagt der Vertreter eines großen Konzerns. Peer Michal Dick, der Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Arbeitnehmer hält eine solide Haushaltspolitik für wichtig: "Rot-Grün weiß, dass solide Finanzen die Basis von allem sind".

Eine gewisse Reserve ist bei der Industrie- und Handelskammer Stuttgart gegenüber der neuen Regierung zu spüren.

"Wir werden sie in allen Belangen der Wirtschaft mit Rat und Tat begleiten", erklärt IHK-Präsident Herbert Müller - ganz so, als habe die neue Mannschaft dringenden Nachhilfebedarf in Wirtschaftsfragen. Die neue Landesregierung stehe vor großen Herausforderungen. Sie müsse "mit Augenmaß agieren und sicherstellen, dass Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Baden-Württemberg langfristig gesichert werden".

Das ist der Grundton der Äußerungen: viel Diplomatie, noch mehr Appell, manche Skepsis und ein bisschen versteckte Warnung. So erwartet Bosch-Chef Franz Fehrenbach, "dass das neue Regierungsprogramm stabile, verlässliche Rahmenbedingungen beschreibt, um das gute wirtschaftliche Klima in Baden-Württemberg zu erhalten und die Stärken des Landes weiter zu stärken." Für die Attraktivität seien Forschung und Entwicklung sowie "eine nachhaltige, bezahlbare Energieversorgung entscheidend."

Deutlich Worte findet dagegen Brun-Hagen Hennerkes. Er glaube nicht, "dass das Land unter Rot-Grün auf Dauer die Wirtschaftskraft halten kann", malt der Stuttgarter Wirtschaftsanwalt und Chef der Stiftung Familienunternehmen schwarz. Er schätze Kretschmann als "Mann mit Augenmaß" - sei aber nicht sicher, "ob er nicht von seinen eigenen Leuten überrollt wird". Das klingt so, als gebe es auch seiner Meinung nach im Ländle ganz viele Vampire.

© SZ vom 29.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: