Debatte um Rechtsstaatlichkeit:EU nutzt Coronahilfen als Druckmittel

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Kommissions-Vize Valdis Dombrovskis fordert, die Verwendung der Coronahilfen hart zu kontrollieren. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Brüssel gibt die Zuschüsse für Tschechien frei - unter der Bedingung, dass die Regierung des umstrittenen Premiers Babiš die Kontrollen verbessert. Die Kommission warnt auch Polen.

Von Björn Finke, Brüssel

Jetzt sind es schon 18: Am Montag haben die EU-Finanzminister bei einer Videokonferenz die Projektpläne der irischen und der tschechischen Regierung für die Coronahilfen freigegeben. Bereits vor der Sommerpause waren die Konzepte der ersten 16 Mitgliedstaaten bewilligt worden. Damit kann das Geld aus Brüssel fließen. Sieben weitere Pläne werden von der Kommission noch geprüft; nur zwei Staaten - Bulgarien und die Niederlande - haben als Folge der zähen Regierungsbildung bislang nichts bei der Behörde eingereicht. Im Falle Polens und Ungarns ist die Prüfung brisant, wegen Sorgen um den Rechtsstaat dort. Doch auch bei Tschechien waren vor der Freigabe heikle Diskussionen nötig.

So muss sich Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš des Vorwurfs der Interessenkonflikte erwehren. Der Milliardär hat vor seiner politischen Karriere die Firmengruppe Agrofert aufgebaut, und die profitiert von EU-Agrarsubventionen. Babiš überschrieb seine Anteile 2017 Treuhandfonds, um die Vorwürfe zu entkräften, aber ein Prüfbericht der EU-Kommission kommt zum Schluss, dass er weiter die Kontrolle ausübt. Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte am Montag, die Auszahlung der Coronahilfen sei daran geknüpft, dass die Regierung in Prag acht Maßnahmen umsetze, mit denen die korrekte Verwendung von EU-Geldern besser überwacht und kontrolliert werden könne. In dem Bereich habe es "Schwächen" gegeben.

Insgesamt umfasst der Corona-Hilfsfonds der EU 806 Milliarden Euro. 724 Milliarden davon werden über ein neues Programm mit dem schönen Namen Aufbau- und Resilienzfazilität verteilt, der Rest fließt über andere Programme an EU-Staaten oder unterstützt Initiativen der Kommission. Die Aufbau- und Resilienzfazilität soll bis 2026 etwa 338 Milliarden Euro als nichtrückzahlbare Zuschüsse an Regierungen überweisen; das meiste geht an Spanien und Italien. Weitere 386 Milliarden Euro stehen für zinsgünstige Darlehen zur Verfügung. Um von diesem Geldsegen profitieren zu können, müssen die Regierungen aber Reform- und Investitionspläne einreichen. Diese muss die Kommission genehmigen, danach müssen die EU-Finanzminister zustimmen.

Die Pläne müssen diverse Kriterien erfüllen, etwa genug Mittel für Klimaschutz und Digitalisierung vorsehen. Außerdem reicht es nicht, bloß hübsche Investitionen vorzuschlagen, zum Beispiel in Glasfaserleitungen oder Wärmedämmung von Häusern. Die Regierungen müssen gleichzeitig wirtschafts- und sozialpolitische Reformen versprechen und sich dabei an den Empfehlungen orientieren, welche die Kommission jährlich für jedes Land veröffentlicht - und die bisher oft ignoriert werden.

Bei Polen und Ungarn heißt es in diesen Empfehlungen, dass die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt werden müsse: Kein Wunder, schließlich laufen gegen beide Länder neben diversen Vertragsverletzungsverfahren auch besondere EU-Verfahren, weil die Rechtsstaatlichkeit und Grundwerte der EU bedroht seien. Ungarns und Polens Reform- und Investitionspläne für die Corona-Milliarden spiegeln diese Empfehlungen nach Ansicht der Kommission bislang nicht ausreichend wider. Deshalb gibt die Behörde die Pläne noch nicht frei.

Steht polnisches Recht über EU-Recht?

Der Konflikt mit Polen könnte sich weiter zuspitzen, denn das dortige Verfassungsgericht soll urteilen, ob die polnische Verfassung über EU-Recht steht. Die Regierung sieht das so, doch für die Kommission wäre dies ein Affront und eine Gefahr für die Funktionsweise der Europäischen Union. Der Urteilsspruch wurde auf den 22. September verschoben. Kommissions-Vize Dombrovskis sagte drohend, seine Behörde prüfe "die möglichen Folgen dieses Urteils für die Aufbau- und Resilienzfazilität und die Umsetzung" des polnischen Plans. Für Polen geht es um fast 24 Milliarden Euro an Zuschüssen - Geld, das die Regierung in Warschau nach Einschätzung von Kommissionsbeamten dringend benötigt.

Bei zehn Mitgliedstaaten sind bereits erste Tranchen aus der Aufbau- und Resilienzfazilität eingegangen. Seit Anfang August hat die Kommission fast 50 Milliarden Euro überwiesen: Annähernd 25 Milliarden Euro flossen nach Italien, neun Milliarden nach Spanien, fünf Milliarden nach Frankreich, vier Milliarden nach Griechenland und gut zwei Milliarden nach Deutschland. Um den Coronatopf zu füllen, darf die Kommission erstmals im ganz großen Stil Schulden machen. Seit Juni hat die Behörde daher in drei Runden Anleihen platziert und damit 45 Milliarden Euro eingenommen. Von Herbst an will die Behörde dafür auch Öko-Anleihen nutzen. Budgetkommissar Johannes Hahn will die Details zu den grünen Schuldscheinen an diesem Dienstag vorstellen.

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