Ersetzen Maschinen den Menschen? Seit vor 200 Jahren die Industrialisierung begann, treibt diese Angst die Erdbewohner um. Von den frühen Aufständen der Weber über den 1970er-Jahre-Slogan vom "Jobkiller Computer" - bis zur These der Forscher Michael Osborne und Carl B. Frey 2013, Maschinen könnten bald jeden zweiten Arbeitsplatz rauben. Terry Gregory vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) kontert das nun mit einer Gegenrechnung: Demnach brachte die Automatisierung Europa im vergangenen Jahrzehnt zusätzlich 1,5 Millionen Jobs. Die unveröffentlichte Studie liefert auch Argumente dagegen, dass etwa Chinesen den Großteil der deutschen Firmen aufkaufen.
Ob Maschinen des Menschen Freund oder Feind sind, gehört zu den intensivsten ökonomischen Debatten. Dabei dominieren extreme Positionen. Einerseits Optimisten, die nur Modelle rechnen, bei denen sich Maschinen und Menschen toll ergänzen. Andererseits Skeptiker à la Osborne/Frey, die grobe Berufsbilder verwenden und positive Effekte vernachlässigen.
Mit umfassenden Modellen versuchen Gregory und seine Kollegen, etwa vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der Realität näher zu kommen. Demnach kosteten Maschinen Europa von 1999 bis 2010 durchaus Jobs: 1,6 Millionen, besonders in der Produktion. Nach den ursprünglichen Plänen der Firmen wären es sogar drei Mal so viel gewesen. Auf der anderen Seite ermöglichten Computer und Roboter, Waren günstiger herzustellen. Konsumenten kauften dadurch mehr und schufen neue Arbeitsplätze. Die Firmen erzielten mehr Gewinne, die sich in den Portemonnaies ihrer Eigentümer ebenfalls zu mehr Konsum und damit mehr Arbeitsplätzen wandelten. So entstanden zusammen drei Millionen Jobs - doppelt so viele, wie die Maschinen vernichteten.
Maschinen machten Waren billiger, Konsumenten kauften mehr und schufen neue Jobs
Diese positive Bilanz erklärt sich auch daraus, dass Fabriken an Bedeutung verlieren. Drei von vier Deutschen arbeiten heute in Dienstleistungen, liefern Pakete aus, pflegen Kranke, entwerfen Häuser. Sie sind damit, jedenfalls bisher, nicht so leicht zu ersetzen wie Fließbandfertigung. Betrachtet man anders als bei Osborne/Frey statt grober Berufsbilder konkrete Arbeitsplätze, sinkt das Automatisierungspotenzial von 50 auf zehn Prozent der Stellen, argumentiert die Organisation OECD, Denkfabrik der Industriestaaten. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sieht Computer nicht als Jobkiller. Laut IAB-Prognose werden durch die Digitalisierung in Deutschland bis zum Jahr 2025 etwa genauso viele Stellen entstehen, wie dadurch wegfallen.
Das bedeutet keineswegs, dass die Entlassenen automatisch einen neuen Arbeitsplatz bekommen, der ihnen zusagt. In bestimmten Branchen ballen sich die Risiken. Inzwischen übt jeder vierte Deutsche einen Beruf aus, der sich zu einem Großteil von Maschinen erledigen lässt. Zwei Millionen arbeiten in der Lagerwirtschaft, fahren Lkw oder Bus, was sich durch autonome Fahrzeuge ersetzen lässt. "Die Mitarbeiter müssen sich weiterbilden, die Firmen umschulen", fordert Ökonom Gregory. "Weg von Routine, hin zu analytischen, sozial interaktiven Tätigkeiten. Das ist die Transformation, die Volkswirtschaften schaffen müssen". Das bedeutet: Wie sich die Maschinenära in Zukunft auf die Menschen auswirkt, hängt sehr von der Politik ab. Das belegen auch Wissenschaftler der Weltbank. Demnach traf die Automatisierung der vergangenen Dekaden Arbeitnehmer in den USA, Großbritannien und Australien härter als anderswo. Der Grund: Ein schlechtes soziales Netz - und eine schlechte Grundausbildung, die wegrationalisierten Industriearbeitern verwehrt, für neue Jobs umgeschult zu werden.
Welche Konsequenzen der Boom der Maschinen hat, hängt ebenfalls davon ab, wem sie gehören. Terry Gregory ermittelt ja als einen positiven Effekt, dass die Automatisierung zusätzliche Gewinne erzeugt, die die Unternehmenseigner ausgeben - und damit zusätzliche Jobs schaffen. Gehört eine deutsche Firma allerdings ausländischen Aktionären, geben die ihr Geld überwiegend im Ausland aus. Das Modell zeigt: Wären die ganzen Gewinne abgeflossen, wären in Europa 300 000 Stellen weniger entstanden. Demnach scheint es keineswegs egal, ob Chinesen, Inder oder Araber die meisten deutschen Unternehmen aufkaufen. Und demnach gibt es ein starkes Argument dafür, möglichst viele Deutsche zu Aktionären zu machen, um sie an den Erträgen der Maschinen zu beteiligen - und damit den Konsum anzukurbeln.
"Die Menschen werden Zeit haben, sich daran anzupassen"
Unterm Strich hätte sich die Automatisierung in Europa in den Nullerjahren allerdings auch so positiv auf die Arbeitsplätze ausgewirkt. Die Frage ist nun: Wird das in der Zukunft ebenso gelten? Das ist das größte Gegenargument von Skeptikern wie Osborne und Frey: Die neue Technologie lasse sich mit der bisherigen nicht vergleichen, weil sie alles in den Schatten stellt. Demnach könnten Roboter, Computer und Algorithmen künftig gleichzeitig einfachere und anspruchsvolle Dienstleistungstätigkeiten vernichten. Sie könnten Pakete ausliefern, Kranke pflegen, Kundenanfragen im Callcenter beantworten. Und gleichzeitig Häuser entwerfen, Klagen vorbereiten und Patienten diagnostizieren wie Architekten, Anwälte und Ärzte. In den USA werden solche Tätigkeiten schon öfter ersetzt. Wenn Maschinen Produkte verbilligen, entstehen dann aus der zusätzlichen Nachfrage vielleicht keine neuen Jobs - weil die ebenfalls Maschinen erledigen.
Terry Gregory findet das zu pessimistisch. "Solche Horrorszenarien gab es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder", sagt er. Zwar bringe etwa die Künstliche Intelligenz sehr viel Neues mit sich. "Aber solche Technologien verbreiten sich langsamer als gedacht". Bisher setzten beispielsweise nur fünf Prozent der deutschen Betriebe vernetzte Roboter und andere Technologie der Industrie 4.0 ein. "Natürlich weiß niemand, was genau die Zukunft bringt. Es ist ein Blick in die Glaskugel. Aber die Menschen werden Zeit haben, sich daran anzupassen."
Das müssen sie dann aber auch tun. Nach einer Studie des Weltwirtschaftsforums verfügt noch nicht mal jeder zweite Deutsche über das Wissen, das die Jobs der Zukunft erfordern.