Auto:Unruhige Zeiten für VW-Rentner Winterkorn

Lesezeit: 3 min

Braunschweig/Berlin (dpa) - Seinen Ruhestand hatte sich Martin Winterkorn sicher anders vorgestellt. Erst fegte ihn der Abgas-Skandal im September 2015 binnen weniger Tage aus dem Amt, kurz danach geriet der einst so mächtige Manager auch ins Visier der Justiz.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Braunschweig/Berlin (dpa) - Seinen Ruhestand hatte sich Martin Winterkorn sicher anders vorgestellt. Erst fegte ihn der Abgas-Skandal im September 2015 binnen weniger Tage aus dem Amt, kurz danach geriet der einst so mächtige Manager auch ins Visier der Justiz.

Seit Anfang Januar ist Winterkorn Rentner, seine luxuriöse Altersversorgung sorgt seitdem für Schlagzeilen. Und nun steht ein weiterer Vorwurf gegen den 69-Jährigen im Raum: Betrugsverdacht.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig durchsuchte in den vergangenen Tag etliche Büros im Raum Wolfsburg und weitete ihre Ermittlungen gegen Winterkorn deutlich aus. Auch Winterkorns Haus in München und sein dortiges Büro waren nach dpa-Informationen Ziele. Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung darüber berichtet.

Die Braunschweiger Fahnder machten ihren Schritt am Freitag öffentlich - nur Tage nachdem Winterkorn sich erstmals seit seinem Rücktritt wieder auf einer größeren Bühne gezeigt hatte. Erst vor gut einer Woche sagte „Wiko“, wie er bei VW genannt wurde, vor dem Abgas-Untersuchungssauschuss des Bundestages aus.

Dort blieb er bei seiner bisherigen Version: Er habe bis zum Bekanntwerden des Diesel-Skandals im Herbst 2015 von illegalen Abgas-Manipulationen nichts gewusst. „Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin“, sagte Winterkorn.

Die Ermittler stellen sich diese Frage vermutlich auch - sie gehen aber noch weiter. Es hätten sich inzwischen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür ergeben, dass Winterkorn „früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis von der manipulierenden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte“.

Winterkorn ist bei weitem nicht der einzige Beschuldigte. Die Staatsanwaltschaft dehnte ihre Ermittlungen auf 37 Personen aus. Daneben wird früheren Angaben zufolge in sechs Fällen wegen falscher CO2-Angaben sowie gegen einen Mann wegen Datenvernichtung ermittelt.

Gegen Winterkorn besteht in Sachen Abgas-Manipulationen nun auch ein Anfangsverdacht des Betruges - bisher war gegen ihn und andere aktuelle und frühere Manager „nur“ wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt worden. Die Beschuldigten sollen die Finanzwelt im Herbst 2015 zu spät über den Abgasskandal informiert haben. Fast anderthalb Jahre nach dem Bekanntwerden des Skandals nehmen die Ermittlungen nach dieser Wende nochmals richtig Fahrt auf.

Dabei dürften auch Erkenntnisse eine Rolle spielen, die die Strafverfolger in den USA zu Tage gefördert haben. Dort hatte bereits im Spätsommer 2016 ein Ingenieur ausgepackt. In den USA, wo die Affäre ihren Ursprung nahm, sitzt ein Manager in Untersuchungshaft, insgesamt sechs frühere und aktuelle VW-Manager sind angeklagt.

Mindestens zwei Mitarbeiter haben eine Kronzeugenregelung in Anspruch genommen und müssen dank ihrer Aussage keine Strafverfolgung in den Vereinigten Staaten fürchten. „Sie können davon ausgehen, dass die Quellen der Erkenntnis auf beiden Seiten des Atlantiks sprudeln“, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe.

Bekannt wurde „Dieselgate“ Mitte September 2015. VW räumte den Betrug ein. Kurz nachdem die Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos öffentlich wurden, trat Winterkorn am 23. September zurück. Er übernahm die politische Verantwortung - fügte aber hinzu, er sei sich „keines Fehlverhaltens“ bewusst. Und er sprach von „schlimmen Fehlern einiger Weniger“.

Das ist bis heute die VW-Lesart: Eine kleine Gruppe von Mitarbeitern - etwa Ingenieure aus der Motorenentwicklung - sei verantwortlich für die Manipulationen. Der Vorstand habe erst viel später von der Dimension und von illegalen Praktiken erfahren.

Doch dieses Bild ist in den vergangenen Wochen ins Wanken gekommen. In den Fokus rückte vor allem ein Treffen von VW-Top-Managern - ein sogenannter „Schadenstisch“ Ende Juli 2015. Dabei soll Berichten zufolge die Strategie gegenüber ermittelnden US-Behörden besprochen worden sein. Winterkorn soll dabei anwesend gewesen sein.

Ob er schon dort von den Problemen erfuhr und wie er damit womöglich umging, ist unklar. Schon seit Beginn des Skandals fragen sich viele Beobachter, wie es sein kann, dass die VW-Konzernspitze um Winterkorn von den Manipulationen nichts gewusst haben soll? Denn das Image des früheren VW-Bosses war das: ein detailversessener Top-Manager, der jede wichtige Entscheidung selbst trifft und bestens informiert ist.

Winterkorn zeigte sich demütig. Das „Undenkbare“ sei geschehen. „Ich muss akzeptieren, dass mein Name eng verbunden ist mit der sogenannten Diesel-Affäre.“ Gleichzeitig aber verwies er auf seine Erfolge als VW-Vorstandschef, als der Konzern von einem Rekord zum nächsten jagte. Er habe mit dem Team „sage und schreibe mehr als 100 000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze in der ganzen Welt geschaffen“, sagte Winterkorn - und fügte dazu: „nicht durch Betrug, wie viele jetzt argwöhnen, sondern durch harte, ehrliche Arbeit.“ Auch deshalb „schmerze“ ihn die zum Teil „polemische und unsachliche Kritik“.

Die Ausweitung der Ermittlungen sei angesichts der Berichte in den vergangenen Wochen „nicht überraschend“, hieß es bei Insidern. Winterkorn, der mittlerweile in München lebt, dürften unruhige Wochen bevorstehen. Bei der Aufarbeitung sei er „analytisch“, betonte man. „Aber natürlich berührt ihn das, das nimmt ihn schon mit.“

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: