Aufzüge:Auf und nieder, immer wieder

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Der Turm für Aufzug-Tests ragt 232 Meter hoch in den Himmel. Beschwerden von Anwohnern gab es trotzdem kaum. (Foto: Patrick Seeger)

Der Aufzug der Zukunft soll ohne Seile funktionieren. In einem riesigen Turm irgendwo in der Provinz schießt Thyssen-Krupp dafür Testkabinen hoch und runter. Das Ziel: nicht weniger als eine Revolution.

Von Stefan Mayr, Rottweil

Das mattgraue Ungetüm steckt in der Landschaft wie ein Mammut-Dübel, den ein Riese in die Erde gerammt hat, um die Schwäbische Alb und den Schwarzwald aneinander zu befestigen. Wer die Autobahn A 81 zwischen Stuttgart und Zürich befährt, sieht den Betonturm schon von Weitem und fragt sich unweigerlich: Wer um Himmels willen baut einen 256-Meter-Wolkenkratzer zwischen beschauliche Wälder und Hügel? Und warum? Es waren die Herren der Thyssen-Krupp Elevator AG. Und sie sind stolz auf ihr Projekt.

"Jetzt ist Zeit für die Revolution", ruft Markus Jetter, der Leiter der Entwicklung bei dem Aufzugshersteller aus dem Hause Thyssen. "Wir wollen die Aufzugsindustrie transformieren." In dem "Testturm" werkeln 30 Entwickler an der neuen Generation von Personenliften.

Drei von zwölf Aufzugsschächten sind für das Projekt "Multi" reserviert. Multi versucht etwas ganz Neues: Die Aufzugkabinen kommen ohne Seile aus, sie werden stattdessen per Magnetschwebebahn-Technik angetrieben. Die Thyssen-Tochter profitiert davon, dass ihre Mutter einst beim Transrapid-Antrieb mitbaute. Ohne störende Seile können in einem Schacht mehrere Kabinen auf und ab fahren. Zudem können die Aufzüge auch auf horizontalen Strecken bewegt werden.

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Dadurch entsteht eine Art Paternoster 4.0, der Bauherren viel Platz einbringen soll und den Fahrgästen mehr Zeit. "Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, deshalb werden immer mehr Hochhäuser gebaut", sagt Andreas Schierenbeck, der Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp Elevator, der auf große Wachstumsraten hofft. Mitte 2017 will er die neue Technik präsentieren, erste Verkaufsgespräche laufen bereits. Der Turm ist offensichtlich nicht nur ein Test-Turm, sondern auch ein Show-Turm. Manche Ebenen haben raumhohe Schaufenster, in denen Wolkenkratzererbauer und ihre Architekten die Thyssen-Technik begutachten können.

40 Millionen Euro hat der Bau des Provinz-Wolkenkratzers gekostet - und gerade einmal 30 Mitarbeiter arbeiten hier. Das klingt verwegen - ganz unabhängig von der Frage, ob solch ein grauer Koloss zu der bewaldeten Hügellandschaft und zu Rottweil als ältester Stadt Baden-Württembergs passt oder nicht. Für die einen ist er ein Fremdkörper, ein Stachel in der Natur, für die anderen ist er eines der spektakulärsten Testgebäude Deutschlands, ein neues Wahrzeichen der Technik und eine Immobilie der Superlative.

Wobei das Wort "Immobilie" nicht ganz stimmt, denn der Turm ist alles andere als immobil, sondern im Vergleich zu seinen Artgenossen überaus beweglich: Die Thyssen-Krupp-Techniker können ihn auf Knopfdruck zum Schwingen bringen. Bis zu 15 Zentimeter kann er an der Spitze hin- und herwackeln. "Wir wollen schauen, wie sich die Seile verhalten, wenn sie aufgeschaukelt werden", so Forschungsleiter Eberhard Vogler.

Die Stadt Rottweil hofft auf etwa 200 000 Touristen

Die Proteste der Anwohner gegen den Bau hielten sich in Grenzen. Das haben die Verantwortlichen von Thyssen-Krupp sehr geschickt angestellt: Sie schenkten der Stadt als Nebenprodukt die höchste Aussichtsplattform Deutschlands. Auf 232 Meter Höhe können Touristen künftig den Rundblick über die Natur genießen - bei Föhnwetter sogar bis zu den Schweizer Alpen.

Noch fehlt dem Turm zwar die Kunststofffassade, die ihm die Kontur eines gewickelten Drahtseils geben wird. Dennoch ist er schon jetzt ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt: 2015 wollten mehr als 100 000 Menschen die Turmbaustelle sehen. Künftig werden bis zu 200 000 Besucher pro Jahr erwartet. Sie können in einem Panorama-Aufzug nach oben fahren, der in einem gläsernen Schlitz an der Nordseite des Turms auf und ab saust. "Wir erwarten 2,5 Millionen Euro mehr Umsatz in unserer historischen Innenstadt", sagt Wirtschaftsförderer André Lomsky.

Seit Montag testen die Ingenieure ihre Produkte auf Strapazierfähigkeit, Sicherheit und Komfort, mitunter simulieren sie Notfälle. Im Sommer 2017 soll der Turm für Touristen geöffnet werden. Die Besucher müssen aber keine Angst vor schlackernden Seilen und wackelnder Aussichtsplattform haben: Der Turm wird nur nachts in Schwingung versetzt.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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