Müsste man das Gesetz auf einem gelben Schild an einen AKW-Zaun heften, dann stünde darauf: "Verlassen der Baustelle verboten! Eltern haften für ihre Kinder." Auf den zweiten Satz ist Sigmar Gabriel (SPD) auch schon gekommen, schließlich stammt der Gesetzentwurf aus seinem Haus: Er verbietet Atomkonzernen, sich aus der Haftung zu stehlen - etwa durch Abspaltung ihrer Kernkraft-Töchterfirmen. Seit diesem Mittwoch ist der entsprechende Gesetzentwurf in der Welt. Ziel sei es, so heißt es darin, "eine langfristige Konzernhaftung für die nukleare Entsorgung zu gewährleisten und somit die Risiken für die öffentlichen Haushalte zu reduzieren". Der Begriff "langfristig" ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn die Haftung könnte bis zu jenem Tag reichen, an dem der letzte Castor im Endlager verschwunden und dieses fest verschlossen ist. Wenn alles gut läuft, ist das irgendwann in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. So mancher Energieriese von einst könnte bis dahin verschwunden sein.
Das Gesetz schließt eine scheunentorgroße Lücke. Bislang müssen allein die Betreiberfirmen der Kraftwerke haften, und in der Regel waren die direkte Töchter der Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Nur können diese sich nach geltendem Recht auch leicht der Haftung entziehen: Sie können ihren Konzern so weit umstrukturieren, dass am Ende die Atomtochter ein eigenständiges Unternehmen ist - und allein für Rückbau und Entsorgung haftet. Ginge das dann pleite, hätten die Steuerzahler das Nachsehen.
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Für die Demontage der Kernkraftwerke haben die Konzerne Milliarden zurückgelegt. Fraglich ist aber, ob das Geld überhaupt noch da ist, wenn es gebraucht wird.
Wie das geht, macht Eon gerade vor. Der Düsseldorfer Konzern will sein Kraftwerks-Geschäft in eine neue Tochter namens Uniper auslagern - und damit auch die Nuklearlast. Nach geltendem Recht wäre Eon damit nach fünf Jahren aus der Haftung raus. Nicht so nach dem neuen Gesetz: Wäre Uniper irgendwann nicht mehr in der Lage, für seine nuklearen Altlasten aufzukommen, käme als Nächstes das "herrschende Unternehmen" an die Reihe. Und solange das Eon ist, wird es nichts mit dem Verlassen der Baustelle. Sollten Teile von Uniper verkauft werden, also mehrere "herrschende Unternehmen" beteiligt sein, haften diese gesamtschuldnerisch, also gemeinsam.
Folgerichtig hat Eon nun die größten Bauchschmerzen mit dem neuen Gesetz. Der Entwurf, der in drei Wochen das Kabinett passieren soll, "dürfte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten", erklärte ein Sprecher am Mittwoch - insbesondere wegen der ewigen und unbegrenzt kostspieligen Haftung. "Sollte es in dieser Form verabschiedet werden", so warnt Eon schon, "müssten wir aller Voraussicht nach Rechtsmittel einlegen".