Atomausstieg: Strompreise:Kampf den Horrorszenarien

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Und was kostet der Atomausstieg jetzt? Höllisch viel, sagen Politiker und Lobbyisten - und warnen Stromkunden eindringlich vor den Folgen. Klimaschützer halten jetzt mit neuen Studien dagegen: Demnach wird Ökostrom nicht teurer, sondern auf lange Sicht sogar billiger.

Michael König

Es klingt nicht gut, wenn Günter Oettinger über Energiekosten redet - was allerdings nicht an seiner Stimme liegt. Der Strom werde "in den nächsten Jahren erheblich teurer", mahnte der CDU-Politiker und EU-Energiekommissar jüngst in einem Interview. Es bestehe die Gefahr der "Energiearmut", weshalb der Staat seine Sozialleistungen entsprechen anpassen würde.

Atom- oder lieber Ökostrom? Politiker und Lobby warnen vor einer Kostenexplosion durch den Atomausstieg. Klimaschützer halten dagegen. (Foto: dpa)

Das Wort "Energiearmut" steht nicht im Duden, nicht einmal im Online-Lexikon Wikipedia gibt es zu diesem Begriff einen Eintrag. Dennoch wird klar, worauf Oettinger hinaus will: Der Atomausstieg sei für die Gesellschaft teuer und gefährlich.

Kostensteigerung um 222 Prozent

Mit dieser Linie ist der einstige Ministerpräsident von Baden-Württemberg nicht allein. In seinen letzten Tagen als Bundeswirtschaftsminister hatte Rainer Brüderle mit Blick auf die Energiepreise gesagt: "Billiger wird's nicht." Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ging mit einer Rechnung an die Öffentlichkeit, wonach energieintensiven Unternehmen bei einem Atomausstieg im Jahr 2017 eine Kostensteigerung von 222 Prozent drohe. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) kommt auf 40 Prozent - und warnt vor dem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen alleine in Bayern. "Konservativ gerechnet", wie der VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Bossardt sagte.

Lange war die Sicherheit das Hauptargument für die Kernenergie. Nach der Katastrophe von Fukushima ist den Befürwortern nur der Kostenfaktor geblieben. Mit immer neuen Zahlen wollen sie darauf hinwirken, die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke so lange wie möglich zu gestalten.

Angesichts immer neuer Schreckensvisionen warnte die Bundesnetzagentur kürzlich vor Panikmache. Verbraucherschützer sprechen von einem "Überbietungswettbewerb" der schlechten Nachrichten, der die Kunden unnötig verunsichere. In einer Meinungsumfrage des Forsa-Instituts gaben jüngst 38 Prozent der Befragten an, bei der Wahl ihres Stromanbieter vor allem auf den Preis zu achten - ob öko oder nicht, sei nachrangig.

Der Zahlenmacht der Atomlobby hatten die Gegner bislang wenig entgegenzusetzen. Zwei jetzt veröffentlichte Studien könnten das ändern.

Einer Untersuchung des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag des nordrhein-westfälischen Klimaschutzministeriums zufolge ist die Angst vor einer Kostenexplosion unbegründet. Den Berechnungen zufolge würde ein schneller Atomausstieg den Strompreis eines Durchschnittshaushaltes um maximal 25 Euro jährlich verteuern. Ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien könne langfristig sogar zu niedrigeren Strompreisen führen.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine am Donnerstag veröffentlichte "Metastudie" der Organisation Germanwatch. Demnach kommen auf private Stromkunden durch den Ausbau erneuerbarer Energiequellen zwar "vorübergehende Mehrkosten" zu. "Langfristig wird der Strompreis jedoch sinken", sagt Tobias Austrup von Germanwatch, einer der Autoren der Studie. Wegen stetig steigender Rohstoffpreise werde Ökostrom auf Dauer billiger sein als Strom, der aus Kohle- oder Atomkraftwerken kommt. "Noch vor dem Jahr 2030 wird es so weit sein", sagt Austrup.

"Umweltpolitisch gefährlich, volkswirtschaftlich falsch"

Die sechs Autoren des 37-seitigen Papiers, das auf der Website von Germanwatch abrufbar ist, beziehen ihre Daten aus unterschiedlichen Quellen, die sie verknüpft und ausgewertet haben. Den möglichen Vorwurf von Kritikern, die Nichtregierungsorganisation habe ausschließlich wünschenswerte Daten benutzt, lässt Austrup nicht gelten: "Unsere Informationen stammen nicht aus der Öko-Ecke, sondern größtenteils von Bundesministerien. Wo die öffentliche Hand keine Daten hatte, haben wir auf renommierte Forschungsinstitute zurückgegriffen."

Neben den Stromkosten für private Verbraucher beleuchtet die Studie auch die Folgen des Atomausstiegs für die Wirtschaft. Von "Deindustrialisierung" könne dabei keine Rede sein, so Austrup, da die energieintensiven Unternehmen weitgehend von der Finanzierung der erneuerbaren Energien befreit seien. Auch die Furcht vor Stellenbau sei unbegründet: "Unsere Zahlen belegen, dass durch den Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030 etwa 300.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können." Die Vorbehalte gegen die Energiewende seien "nicht nur umweltpolitisch gefährlich, sondern auch volkswirtschaftlich falsch. Sie gefährden Arbeitsplätze."

Die Atomlobby wird das anders sehen und ihrerseits weiter auf die Öffentlichkeit einwirken. Der Kampf um die Deutungshoheit geht weiter - mindestens bis Anfang Juli. Dann sollen Bundesrat und Bundestag ein neues Gesetz für einen beschleunigten Atomausstieg beschließen.

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