Raumfahrt:Warum die Ariane 5 mehr als ein Satelliten-Lastwagen war

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Eine "Ariane-5"-Rakete brachte 2021 auch das "James Webb"-Weltraumteleskop ins All. (Foto: Jody Amiet/dpa)

Die Ariane 5 ist ein europäisches Erfolgsmodell, nach rund 25 Jahren hat nun die letzte Raketenstufe das Werk in Bremen verlassen. Bis die Nachfolgerin in den Weltraum fliegen kann, dauert es aber noch.

Von Dieter Sürig

An eines denkt Reinhard Hildebrandt gerne, aber auch wehmütig zurück: Wenn der Ingenieur am europäischen Startplatz in Kourou/Französisch-Guyana wieder mal eine Ariane-Rakete auf die Reise schickte, dann ging er am Starttag in aller Früh zur Rampe. "Es war der allerletzte Moment, um sich per 'Handschlag' von der Rakete zu verabschieden", erzählt der 67-Jährige. "Eine unvergessliche Stimmung" sei das in der Morgendämmerung gewesen, er habe sich als Mensch daneben so klein gefühlt.

Mehr als 35 Jahre lang hat Hildebrandt diese Demut gespürt, solange war er im Startteam in Kourou im Einsatz, viele Jahre als dessen Leiter. Und wenn die 117. und letzte Oberstufe der zweistufigen Ariane 5 an diesem Mittwoch in Bremen auf das Schiff in Richtung Kourou verladen wird, dann dürfte das für Hildebrandt mit ebenso viel Wehmut verbunden sein. Mit dem Start im Frühjahr geht die Ära der Ariane 5 zu Ende. Noch immer erzählt er begeistert über Ariane, Raketen und Raumfahrt, auch wenn er bereits zwei Jahre im Ruhestand ist. Seit dem achten Flug der Ariane 1 war er mit dabei - das war 1984. Seitdem hat er rund 240 Starts der verschiedenen Ariane-Modelle miterlebt, er kennt jedes Detail.

Ingenieure haben in Bremen gerade die letzte Oberstufe der Ariane 5 vorbereitet, bevor sie auf ein Schiff in Richtung Kourou verladen wird. (Foto: Frank Thomas Koch/Hill Media GmbH)

Doch vor allem sei ihm der "europäische Charakter" in Erinnerung geblieben: "Mich hat dieser Teamgeist in der Ariane-Familie vom ersten Arbeitstag an fasziniert", sagt er. "Deutsche und Franzosen haben oft viele Stunden am Tag zusammen gearbeitet, das war schon mehr als eine Ersatzfamilie". Seit der ersten Mondlandung der Amerikaner 1969 ist er vom All begeistert, hat sich in den Achtzigerjahren als Astronaut beworben, kam unter 1700 Bewerbern auf Platz 62. Nun ist er froh über seinen lebenslangen "Traumjob" im Ariane-Team, auch wenn er meist getrennt von seiner, wie er sagt "verständnisvollen" Ehefrau und zwei Kindern (die mittlerweile auch in der Raumfahrtbranche arbeiten) in Kourou lebte.

Ein unabhängiger Zugang Europas ins All war das Ziel, als eine Vorläuferorganisation der Raumfahrtagentur Esa Anfang der Siebzigerjahre die erste Ariane-Rakete in Auftrag gab. Vorher war das multinationale Projekt einer Europa-Rakete wegen technischer und finanzieller Probleme gescheitert. Als Hildebrandt bei Ariane anheuerte, hieß die Firma noch MBB-Erno. "In meiner Karriere hat das Unternehmen mehr als zehnmal seinen Namen gewechselt", sagt er. Seit 2015 heißt der Hersteller Ariane-Group und ist eine Tochter der Konzerne Airbus und Safran. Gebaut werden Raketenstufen und Triebwerke an mehreren Standorten in Frankreich und Deutschland.

Reinhard Hildebrandt hat seit 1984 im Startteam der Ariane-Rakete in Kourou/Französisch-Guyana gearbeitet. (Foto: privat)

Im Rückblick ist Hildebrandt fasziniert davon, dass die Ariane 5 nicht nur als Lastwagen für Fernseh-, Erdbeobachtungs- oder Galileo-Satelliten nützlich war, sondern auch verschiedene Wissenschaftmissionen ins All bringen konnte wie die Merkursonde Bepi-Colombo 2018, das James-Webb-Teleskop 2021 oder die Kometensonde Rosetta 2004. Hildebrandt und seine Kollegen montierten sie auf die Ariane 5.

Meistens, sagt Hildebrandt, habe bei den Starts alles geklappt, aber eben nicht immer. Besonders dramatisch wurde es für den Ingenieur am 4. Juni 1996: Die erste Ariane 5 war etwa 30 Sekunden nach dem Start wegen eines Softwarefehlers vom Kurs abgekommen und zerstörte sich selbst. "Ich habe die Explosion von einem sehr nahen Aussichtspunkt miterlebt, die Trümmer drohten auf uns niederzuregnen", erinnert er sich. "Es gab wenige Ariane-Abstürze, aber dann fließen selbst bei gestandenen Männern die Tränen", sagt er. Alle gingen geschockt auf Fehlersuche, die Ariane 4 flog dann noch bis 2003 weiter, zumal eine weitere Ariane 5 wegen eines Triebswerksproblems 2002 explodierte. Abgesehen von einem Zwischenfall, bei dem die Rakete 2018 einen falschen Orbit anflog, passierte dann nichts mehr. Zuverlässigkeitsrate laut Ariane-Group: etwa 98 Prozent. Trotzdem gibt es nie Routine am Startplatz, sagt Hildebrandt. "Das Flugprogramm und die Orbits, die geflogen werden, sind jedes Mal anders." Zumal die Rakete immer weiterentwickelt werde. Von der Ariane 5 hat es fünf Versionen gegeben, von der Ariane 4 sogar sechs.

Nun also die Ariane 6. Das Versprechen für die neue Trägerrakete: 40 bis 50 Prozent geringere Kosten, flexiblere Flüge durch ein wieder zündbares Triebwerk und zwei Modellversionen. Damit könnte die europäische Rakete preislich zur Falcon 9 des US-Konkurrenten Space-X aufschließen. Allerdings kostete die Entwicklung auch rund vier Milliarden Euro, vor allem Steuergeld. Die Ariane-Group hat 400 Millionen Euro beigesteuert. Nach jahrelangen Verzögerungen, Triebwerkstests in Lampoldshausen und Tests an der Startrampe in Kourou soll sie Ende 2023 erstmals abheben.

Testrakete der neuen "Ariane 6" auf der Startrampe in Kourou/Französisch-Guayana. Die Komponenten werden vor dem Zusammenbau in ganz Europa eingesammelt. (Foto: Manuel Pedoussaut/dpa)

Die Branche wartet dringend darauf, denn nach dem Ausfall der Sojus-Rakete wegen des Russland-Boykotts gibt es eher einen Engpass als ein Überangebot an Trägerraketen. Und für die Ariane 6 sind schon viele Aufträge da: Neben 18 Flügen für die Kuiper -Internetsatelliten des Amazon-Konzerns, steht ein Dutzend weiterer Aufträge auf der Buchungsliste. Die Ariane-Group will die Produktion der Ariane 6 auch hochfahren, aber nicht sofort. "Sobald alle Test abgeschlossen sind, wollen wir zunächst neun Launcher pro Jahr bauen", sagt der Finanz- und Deutschland-Chef Pierre Godart. Dann soll es sukzessive auf zwölf Raketen gehen, bei der Ariane 5 war jährlich nur die Hälfte möglich.

Obwohl die Ariane 6 aber noch nicht einmal geflogen ist, basteln die Ingenieure schon an der Weiterentwicklung der Rakete. Da ist zum Beispiel das wieder verwendbare und günstigere Methan-Triebwerk Prometheus, für das die Esa 200 Millionen Euro locker gemacht hat. Damit will die Ariane-Group auch das vertikale Landen von Raketenstufen testen. Eine Voraussetzung, um diese mehrmals zu nutzen, so wie man es von Space-X kennt. Die Tests seien für 2024 in Kiruna/Schweden geplant, sagt Godart. Ferner soll die Rakete leistungsstärker werden, um mehr Satelliten mitnehmen zu können. Ziel sei es, dies "um das Jahr 2025 einzuführen". Im September hat die Ariane-Group zudem einen Raumtransporter namens Susie vorgestellt. Er soll wahlweise Astronauten oder Fracht ins All transportieren können. Die Entwicklung würde viel Geld kosten, und sollten die Esa-Länder zustimmen, dann werden "natürlich auch deutsche Standorte beteiligt sein", sagt Godart.

Konzeptstudie der Ariane-Group für eine Kapsel namens Susie, die sowohl Astronauten als auch Fracht ins All befördern könnte. (Foto: Ariane-Group)

Für Hildebrandt könnte sich damit ein großer Traum erfüllen: "Ich sehe eine Chance, dass die Ariane 6 eines Tages auch Astronauten ins All befördern wird." Er rechnet zudem damit, dass die Ariane-Group die Raketenstufen eines Tages wieder verwenden wird. Nachhaltiger soll die Ariane nach Firmenplänen übrigens auch beim Transport werden. Ein Segelfrachter mit Hybridantrieb namens Canopée werde die Module der Rakete von Europa nach Kourou bringen.

Der Frachter Canopée soll die Module der Ariane-Rakete von 2023 an per Windkraft und Diesel von Europa nach Kourou in Französisch-Guyana transportieren. (Foto: Ariane-Group)

Bei aller Innovation, Ingenieur Hildebrandt ist davon überzeugt, dass nach geglückten Raketenstarts eine Tradition in Kourou bleiben wird: "Es wird immer eine große Flasche Champagner geöffnet und gemeinsam auf den Erfolg angestoßen". Auch die Ariane 6 will er sich nicht entgehen lassen. "Ich werde alles daran setzen, um beim Erststart in Kourou zu sein, das gönne ich mir."

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