Aufschwung:Arbeitslosigkeit sinkt deutlich

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Die deutsche Wirtschaft stellte im August weniger her. (Foto: Markus Scholz/dpa)

Trotz Lieferproblemen in der Industrie mussten im September 100 000 Bürger weniger einen Job suchen als im Monat zuvor. Eine neue Regierungskoalition muss strittige Fragen klären - etwa den Mindestlohn.

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Nachdem Geschäfte und Restaurants überall geöffnet sind, stellen die Unternehmen nach der Corona-Krise wieder Personal ein. Die Zahl der Arbeitslosen schrumpfte im September um mehr als 100 000 und fiel auf 2,465 Millionen. "Der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiterhin positiv", sagt Daniel Terzenbach, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Obwohl die Firmen in der Urlaubssaison normalerweise kaum jemanden einstellen, zeigte der Trend schon den ganzen Sommer nach oben. Daran änderten auch die Lieferprobleme in der Industrie erst mal wenig. Nun im Herbst gibt es traditionell ohnehin mehr Nachfrage nach Personal. "Die Arbeitslosigkeit nimmt kräftig ab, gleichzeitig sinkt die Zahl der Kurzarbeiter deutlich", berichtet Terzenbach. Zum Höhepunkt der Krise im April 2020 gab es sechs Millionen Kurzarbeiter, im Juli waren es weniger als eine Million.

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Wie geht es weiter am Arbeitsmarkt? Wie viel muss die nächste Bundesregierung noch tun? Kurzfristig gibt es ein paar Belastungen, der Frühindikator des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt nach unten. "Der wirtschaftliche Aufschwung wurde durch die Lieferengpässe in der Industrie etwas gebremst. Die Arbeitsagenturen erwarten, dass die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht, aber nicht mehr so schnell wie in den letzten Monaten", sagt Enzo Weber, Prognoseleiter des IAB.

Besser als die Arbeitslosigkeit entwickelt sich - wie oft nach Krisen - die Anzahl jener, die insgesamt Arbeit haben. Dabei gibt es sowohl mehr Leute, die eine voll sozialversicherte Stelle haben, wie auch mehr Minijobber. "Zudem kommen vermehrt Menschen zurück, die sich in der Corona-Krise vom Arbeitsmarkt zurückgezogen hatten", beobachtet Weber. Die Zeichen stehen also auf Grün.

Wie sich die Jobchancen weiterentwickeln, hängt stark mit der Konjunktur zusammen. Derzeit schrumpft die Produktion in der deutschen Industrie, weil wichtige Teile wie Chips fehlen. Nach der Corona-Krise springt die Wirtschaft überall auf der Welt an, Konsumenten kaufen mehr. Sehr viele Unternehmen wollen mehr herstellen, was die Lieferanten von Vorprodukten überfordert. "Die Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten bremsen das Wachstum der deutschen Wirtschaft bis weit ins nächste Jahr", schätzt Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Er erwartet dieses Jahr nur noch 2,6 Prozent Wirtschaftswachstum - und strich seine Prognose wie das Ifo-Institut zusammen.

Die Stimmung bei Dienstleistern und am Bau ist gut

Andere Ökonomen sind optimistischer. Es gibt auch Sektoren, in denen es gut läuft. So ist die Stimmung bei Dienstleistern und am Bau gut. Auch die Exporte laufen. Und in jedem Fall denken die Konjunkturforscher, dass sich der große Aufschwung nur verzögert, nicht ausfällt. IMK, Ifo oder auch das RWI-Institut rechnen für kommendes Jahr mit satten fünf Prozent Wachstum. Deshalb dürfte es zu einigen Neueinstellungen kommen.

Eine spannende Frage ist, welche Wege die neue Bundesregierung am Arbeitsmarkt einschlägt. Im Wahlkampf haben die Parteien Unterschiedliches vorgeschlagen. So fordern SPD und Grüne eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro die Stunde. Union und FDP wollen diese Fragen dagegen wie bisher komplett der Regierungskommission überlassen, die von den Sozialpartnern dominiert wird, also von Arbeitgebern und Gewerkschaften. BA-Vorstand Terzenbach sagte auf Nachfrage, die Bundesagentur sei ein Verfechter dessen, dass die Kommission den Mindestlohn beeinflusse. Die Kommission schlage eine Erhöhung von derzeit unter zehn auf 10,45 Euro bis Mitte 2022 vor. "Wir glauben nicht, dass zwölf Euro Mindestlohn irrational sind", aber grob in diese Richtung gehe es mit den Sozialpartnern ohnehin.

In einer möglichen Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP sieht Terzenbach neben Übereinstimmungen auch Konflikte. Das gilt für den "sozialen Arbeitsmarkt", bei dem es etwa Lohnkostenzuschüsse für Firmen gibt, die Arbeitslose einstellen, die schon sehr lange aus dem Job sind. "In einer Ampel gibt es beim sozialen Arbeitsmarkt Diskussionsbedarf, auch generell beim Umgang mit Langzeitarbeitslosen", sagt Terzenbach. Die FDP gilt nicht als Freund hoher staatlicher Förderung. Die Bundesagentur hält etwa die Förderung im sozialen Arbeitsmarkt für nötig, damit Menschen im anstehenden Strukturwandel der Wirtschaft nicht abgehängt werden.

Wie lange braucht der Arbeitsmarkt, um sich vollständig von der Corona-Krise zu erholen? Im September lagen Beschäftigung und Stellenbestand über ihrem jeweiligen Vorkrisenniveau, so BA-Vorstand Terzenbach. Bei der Arbeitslosigkeit dauert dieser Aufholprozess bis Ende 2023, Anfang 2024, sagte Jobagentur-Chef Detlef Scheele neulich im Interview voraus. Also erst in zwei Jahren? Scheele hält das nach einem so tiefen Wirtschaftseinbruch nicht für ungewöhnlich. "Schneller kann man es nicht erwarten", sagt er. Bei seiner Prognose setzt der BA-Chef voraus, dass es nicht zu einer neuen internationalen Wirtschaftskrise kommt.

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