Wirtschaftsverband:Warum Kramer als Arbeitgeberpräsident verlängert

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Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. (Foto: Monika Skolim/dpa)
  • Eigentlich wollte Kramer aufhören, aber er tritt noch einmal an. Der erklärte Merkel-Fan begründet seine Entscheidung mit der politischen Lage.
  • "Ich kann beitragen, die Verhältnisse in Berlin stabil zu halten", sagt Kramer. "Polarisierer gibt es genug, ich kann vermitteln."

Von Marc Beise, Bremen

Der Brief erreicht die Empfänger an diesem Wochenende. Er werde, schreibt Ingo Kramer, 66, seinen Vizepräsidenten, noch einmal verlängern: zwei weitere Jahre als deutscher Arbeitgeberpräsident. Das ist insofern bemerkenswert, als Kramer das Amt schon dreimal zwei Jahre inne hat und zuletzt in Berlin Gerüchte die Runde machten, der oberste Repräsentant der deutschen Wirtschaft sei amtsmüde. Wer kommt, wenn Kramer geht?, lautete zuletzt eine häufiger gestellte Frage. Die kann man nun so beantworten: Er geht gar nicht. Das sagte er jetzt erstmals öffentlich der Süddeutschen Zeitung bei einem Gespräch in seiner norddeutschen Heimat.

Am Ende ist diese Entwicklung für ihn selbst überraschend. Denn der elegante Hanseat aus Bremerhaven hat zum Thema Ehrenämter eine klare Meinung: Die bekommt man auf Zeit übertragen und dabei sollte es auch bleiben: "Fünf Jahre, vielleicht eines weniger oder eines mehr." So hat er das immer gesagt, so hat er es in anderen Fällen gehalten, und so sollte es auch in Berlin sein. Dann aber machte ihm die große Politik einen Strich durch die Rechnung, und man kann nicht gerade sagen, dass ihm das sehr leid tue. Es macht ja auch Spaß, in der ersten Reihe mitzuspielen. Zu wissen, dass einem alle Türen offen stehen. Dass die Kanzlerin umgehend zurückruft, wenn man sie braucht.

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Seit 2013 führt der Anlagenbauer von der Küste die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), den einflussreichsten Spitzenverband der deutschen Wirtschaft. Als er erstmals den Stab weitergeben wollte, beim Arbeitgebertag im November 2017, war gerade der Versuch einer Jamaika-Koalition von Union, Grünen und FDP gescheitert und es kam unter Mühen zur zweiten großen Koalition von Union und SPD. Heute ächzt die damals etablierte Koalition in den letzten Zügen, und vielfach werden ihr Auseinanderbrechen vor Weihnachten und Neuwahlen im Frühjahr erwartet. Und wieder also wird Kramer weitermachen. Nach den Gepflogenheiten des Verbandes ist ein Gegenkandidat unwahrscheinlich und seine Wiederwahl sicher.

Anders als vor zwei Jahren sind es diesmal weniger die Kollegen, die ihn drängen, es ist vor allem Kramer selbst, der nicht aufhören mag. Dass ihm Amtsmüdigkeit nachgesagt wird, hat ihn getroffen, den Eindruck will er im SZ-Gespräch widerlegen. Er sei keiner, der den Sturm scheue, im Gegenteil. Im Nebenjob ist Kramer im dreiköpfigen Vorstand der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger - auch das ein Ehrenamt. Einmal im Jahr schifft er sich für eine Woche auf einem der 59 orangefarbenen Rettungsboote der DGzRS ein und macht Dienst in rauer See. Es war dort auf dem Meer, irgendwo zwischen Cuxhaven und Helgoland, in der Woche vor Ostern 2019, als bei Kramer der Entschluss reifte, im November beim Arbeitgebertag in Berlin noch einmal anzutreten. Interessant ist die Begründung: "Ich kann beitragen, die Verhältnisse in Berlin stabil zu halten", sagt Kramer. "Polarisierer gibt es genug, ich kann vermitteln."

Genau das allerdings wird im Verband auch hinterfragt: Ist unser Präsident nicht zu sanft? Andere wie der Chef des Verbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, poltern über den Reformstau der großen Koalition, halten den CDU-Mann auf dem Ludwig-Erhard-Posten, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, für eine glatte Fehlbesetzung und Angela Merkel für eine verkappte Sozialdemokratin. Der Verband der Familienunternehmer lässt kaum einen Tag aus, auf die Koalition einzudreschen. Nicht so Kramer.

Mit Merkels "Wir schaffen das" hat er kein Problem

Das FDP-Mitglied ist, Achtung: erklärter Merkel-Fan. Er hält ihr zugute, dass sie mit ihrer "Politik auf Sicht" das Land auf Kurs halte. Vor allem ihre Flüchtlingspolitik imponiert Kramer. Mit Merkels "Wir schaffen das" hat er kein Problem - ganz im Gegensatz zu vielen politisch Gleichgesinnten und übrigens auch zu vielen Unternehmern. Auch mit vielen anderen Reizfiguren des Wirtschaftslagers pflegt ausgerechnet der wichtigste Repräsentant der Wirtschaft engen Austausch.

Seinem hauptamtlichen Gegenspieler, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, vertraut er hundertprozentig. Auf Bundesarbeitsminister Hubert Heil, der unablässig über neue Vergünstigungen für Arbeitnehmer nachdenkt, lässt er persönlich nichts kommen, fast noch mehr mochte er Heils Vorgängerin Andrea Nahles. Neuwahlen, die den Grünen Robert Habeck ins Kanzleramt spülen könnten, fürchtet Kramer kein bisschen, ja selbst mit den Linken geht er konstruktiv um. Nur die AfD ist für ihn indiskutabel wegen derer "menschenverachtenden Äußerungen".

"Meine Leute träumen von einem CDU-Kanzler Friedrich Merz", sagt Kramer, er aber gibt der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer weiter eine Chance. Die habe Regierungserfahrung und die Fähigkeit, auszugleichen. Wie er selbst, könnte man sagen. "Ich will ja was erreichen. Dazu muss ich mit allen Verantwortlichen gesprächsfähig bleiben." Wenn er in den Gremien gelegentlich ins Getümmel gedrängt werden soll, sagt er: "Ihr wisst schon, wen Ihr gewählt habt?"

Denn er hat es ja immer so gehalten, und war damit erfolgreich. Den vom Vater ererbten Metallbetrieb in Bremerhaven, der beispielsweise die deutsche Forschungsstation am Südpol baute, hat er so im Geschäft gehalten. "Wenn ich meine Kunden beschimpfe, kriege ich keine Aufträge", sagt er. Und hält sich zugute, auch in der Politik einiges erreicht oder verhindert zu haben. Die von Nahles geplante Arbeitsstättenverordnung hat er gestoppt, das Tarifeinheitsgesetz bis vors Verfassungsgericht verteidigt und gerettet. "Es ist leicht, immer draufzuhauen", sagt er. "Und was ist damit dann erreicht?" Als Mittelständler weiß er, dass schwere Zeiten kommen, Umsätze und Gewinne sinken werden. Die Belastung der Betriebe ist zu hoch, die Rente nicht mehr sicher - und jetzt womöglich noch eine Regierungskrise. Da muss einer die Wirtschaft in der Mitte zu halten. Einer wie Kramer.

© SZ vom 07.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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