Neue Schulden:Grüne fordern verbindliche Investitionsregel im Grundgesetz

Neue Schulden: Das Geld aus dem neuen "Bundesinvestitionsfonds" soll in die großen gesellschaftlichen Vorhaben fließen, etwa die Aufforstung der Wälder.

Das Geld aus dem neuen "Bundesinvestitionsfonds" soll in die großen gesellschaftlichen Vorhaben fließen, etwa die Aufforstung der Wälder.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)
  • Die Grünen wollen einen 35 Milliarden Euro schweren "Bundesinvestitionsfonds" auflegen, finanziert über neue Kredite.
  • Das Geld soll in die großen gesellschaftlichen Vorhaben fließen, etwa in den Umbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Aufforstung der Wälder oder den Umbau der Landwirtschaft.
  • Dazu wollen die Grünen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse lockern und um eine verbindliche Regel ergänzen, die auch Investieren vorschreibt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Grünen wollen die deutsche Investitionspolitik zuverlässiger machen und dauerhaft einen bis zu 35 Milliarden Euro schweren "Bundesinvestitionsfonds" auflegen. Das sagte Grünen-Co-Chef Robert Habeck am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Der Fonds solle verfassungsrechtlich abgesichert werden. Dazu wollten die Grünen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse lockern. Sie verpflichtet den Staat einseitig zum Sparen - und soll um eine verbindliche Regel ergänzt werden, die auch Investieren vorschreibt. "Wir halten an der Schuldenbremse fest, wollen sie aber zeitgemäß reformieren", sagte Habeck. "Zu einer Schuldenbremse gehört ein Investitionsmotor".

Der Grünen-Co-Chef war am Donnerstag als Gast in eine Klausur der Bundestagsfraktion eingeladen, wo er das Investitionskonzept vorstellen sollte, das er zusammen mit Realos und Linken seiner Partei erarbeitet hat. Es liegt der SZ vor.

Mit dem Vorschlag mischen sich die Grünen in die heftige Debatte um den ökologischen und digitalen Umbau des Landes ein; die Bundesregierung will in zwei Wochen ein Klimagesetz vorlegen. Zugleich befeuert die Oppositionspartei den Streit um die Frage, ob dazu neue Schulden gemacht werden sollten. Die Bundesregierung lehnt das bisher ab.

Führende Ökonomen halten schuldenfinanzierte Investitionen dagegen für sinnvoll. Ebenso die Grünen: "Das erscheint mir in Zeiten von Niedrigzinsen, abflauender Konjunktur, Klimakrise und dem Investitionsstau vernünftig", sagte Habeck. Neben ihm und Co-Chefin Annalena Baerbock haben zehn weitere grüne Landes-, Bundes- und Fachpolitiker das Impulspapier "In die Zukunft investieren" unterzeichnet.

Die Grünen wollen den Bundesinvestitionsfonds über neue Kredite finanzieren. Das Geld soll in die großen gesellschaftlichen Vorhaben fließen: den Umbau des öffentlichen Nahverkehrs, moderne Ladeinfrastruktur, Schienen, E-Highway-Strecken, Wärmenetze, neue Antriebstechniken, die Aufforstung der Wälder, höhere Deiche, den Umbau der Landwirtschaft sowie die Digitalisierung von Schulen, Verwaltung, Städten und Wirtschaft. "Der Investitionsbedarf ist riesig", schreiben sie. Das wird auch anderswo so gesehen: Der Bundesverband der deutschen Industrie erwartet allein für den Verkehr Modernisierungskosten von 250 Milliarden Euro. Die Deutsche Bahn will in zehn Jahren 86 Milliarden Euro investieren.

Steigt die Wirtschaftskraft, sollen auch die Investitionen steigen

Dass so viel Geld gebraucht wird, liegt nach Ansicht der Grünen "nicht nur an der Zukunft, sondern auch an der Vergangenheit": Bei den Kommunen habe sich über die Jahre ein Investitionslücke von 138 Milliarden Euro gebildet. Deutschland investiere jährlich 18 Milliarden Euro weniger als der europäische Durchschnitt. Es sei zwar richtig, sagte Habeck, dass der Staat "sparsam" sei. Aber auch kein Geld auszugeben, verschulde künftige Generationen. "So sind es Schulden, wenn man Infrastruktur und Schulen verkommen und man die Klimakrise einfach laufen lässt", warnte er. Kaputte Brücken oder Spielplätze, fehlende Bahntrassen oder schlechte Internetabdeckungen müssten irgendwann instandgesetzt werden. Hinzu kämen Strafzahlungen, die bei der Verfehlung der Klimaziele zu leisten seien: zweistellige Milliardenbeträge.

Die Grünen wollen die deutsche Schuldenbremse entlang der europäischen Stabilitätskriterien lockern. Diese erlauben ein jährliches Defizit von maximal einem Prozent, bezogen auf die Wirtschaftsleistung. Damit könnte der Bund derzeit rund 35 Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen. Die deutsche Schuldenbremse ist restriktiver: Danach darf der Staat in Zeiten stabiler Konjunktur sich nur mit 0,35 Prozent der Wirtschaftskraft verschulden. Komplizierten Berechnungen des Bundesfinanzministeriums zufolge ließe die Regel im Jahr 2020 nur rund 4,9 Milliarden Euro neue Schulden zu.

Für die Grünen ist das ein Problem. "Die Investitionen sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und Wertverlusten mindestens in Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt". Anders gesagt: Steigt die Wirtschaftskraft, sollen auch die Investitionen steigen.

Gemessen an der Wirtschaftskraft sinkt die Investitionsquote

Bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ist das Gegenteil zu sehen. Scholz hat zwar seit Amtsantritt 2018 deutlich mehr Geld bereitgestellt. Gemessen an der Wirtschaftskraft allerdings sinkt die Investitionsquote. Zudem werden die Gelder weiterhin nicht verbraucht; es fehlt an Planungskapazitäten und Personal. Weil der Bund früher je nach Kassenlage die Investitionen hoch- oder runtergefahren hat, haben viele öffentliche Einrichtungen ihre Planungsabteilungen geschlossen.

Die Unsicherheit wollen die Grünen mit der Investitionsklausel beheben. "Unsere Politik ist deshalb so verlässlich und langfristig angelegt, dass sowohl die private Bauwirtschaft als auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen kann", ist in dem Konzept zu lesen. "Jedes Unternehmen weiß, dass es in seine Zukunft investieren muss, um auf Dauer erfolgreich zu sein", sagt Habeck.

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Schienen am Ostbahnhof in München, 2016

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