Vom Rechenschieber zum Smartphone, vom Papyrus bis zum Word-Dokument - mit jeder neuen Technik ändert sich auch das Arbeitsleben rasant. Vier von fünf Beschäftigten geben in Umfragen an, dass sich in den vergangenen fünf Jahren ihr Arbeitsplatz technologisch verändert hat. Immer mehr Menschen arbeiten von unterwegs aus. Jeder vierte Erwerbstätige ist nach Angaben des Statistischen Bundesamts abends beruflich tätig, jeder zehnte sogar nachts. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, selbständig und angestellt sein, verschwimmen langsam.
Doch was bedeutet die digitalisierte Arbeitswelt für den Acht-Stunden-Tag? Ist ein neues Arbeitszeitgesetz nötig? Kann der Sozialstaat überleben? Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und ihre Fachleute haben deshalb zwei Jahre mit Unternehmen, Beschäftigten, Verbänden und Experten über die Zukunft der Arbeitswelt geredet. An diesem Dienstag stellt Nahles erste Antworten vor. Sie stehen in dem gut 200 Seiten starken Weißbuch "Arbeiten 4.0", das die Ministerin als "Diskussionsentwurf" verstanden wissen will.
Die Vorschläge im Überblick:
Man soll künftig verhandeln können, ob man von zu Hause aus arbeitet
Die Arbeitgeberverbände hätten es am liebsten, wenn der Acht-Stunden-Tag gleich ganz abgeschafft wird. Sie plädieren für eine Wochenarbeitszeit anstelle einer Tageshöchstarbeit. Nahles ist hier zumindest bereit für Experimente: Im Weißbuch wird einerseits darauf hingewiesen, dass zum Beispiel schon jetzt Arbeitszeiten von zehn Stunden und auf neun Stunden verkürzte Ruhezeiten zwischen zwei Schichten möglich sind. Andererseits sollen Gewerkschaften und Arbeitgeber künftig für zunächst zwei Jahre bei der Arbeitszeit über die gesetzlichen Regeln hinausgehen dürfen, sofern sie dies in einem Tarifvertrag vereinbart haben. Gesetzlich festschreiben will die Ministerin diese Experimentierphase in einem Wahlarbeitszeitgesetz. Arbeitnehmer sollen darin - so wie bereits in Großbritannien und in den Niederlanden - auch einen Anspruch darauf bekommen, mit ihrem Arbeitgeber zu diskutieren, ob sie zu Hause arbeiten können.
Die Wahlarbeitszeit hat Nahles schon häufiger zur Debatte gestellt. Neu ist die Idee, ein "persönliches Erwerbstätigenkonto" einzuführen. Es knüpft an das französische Konzept eines "persönlichen Aktivitätenkontos" an, das Paris Anfang 2017 einführen will. So ein Konto könnte helfen, Rechte, die an Arbeitnehmer gebunden sind, beim Wechsel des Arbeitgebers leichter übertragbar zu machen. Das gilt zum Beispiel für Wertguthaben, bei denen Beschäftigte Arbeitszeit oder Lohn für ein Sabbatical oder den Übergang in den Ruhestand angespart haben. Das Arbeitsministerium denkt auch daran, das Konto mit einem vom Staat eingerichteten Startguthaben für jeden Erwerbstätigen auszustatten, etwa für eine Existenzgründung oder eine Qualifizierung, die der Arbeitgeber nicht bezahlt.
Außerdem, so heißt es im Weißbuch, könne "das Konto für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen und angesichts von ungleich verteilten Vermögen, die vererbt werden, ein Sozialerbe einführen, ein zweckgebundenes Startkapital, das allen jungen Menschen ungeachtet ihrer sozialen Herkunft einmalig vom Staat zur Verfügung gestellt werden soll". Dadurch könnten zum Beispiel diejenigen, "die kein steuerfinanziertes Studium genossen haben, ein höheres Startkapital erhalten".
Mit dem Grundeinkommen kann sich im Arbeitsministerium keiner anfreunden
Ein anderes Konto taucht ebenfalls in der Vorlage auf. 80 Prozent der Haushaltshilfen in Deutschland arbeiten illegal. Das Arbeitsministerium schlägt deshalb ein "Haushaltsdienstleistungskonto" vor. Statt steuerliche Abzüge für die Beschäftigung von Haushaltshilfen zu gewähren, wäre auch hier ein Guthaben möglich. Davon würden Haushalte mit niedrigem Einkommen stärker profitieren. Aus dem Guthaben ließen sich Sozialversicherungsbeiträge und Pauschalabgaben zahlen.
Mit dem Vorschlag einiger Spitzenmanager, ein gesetzliches Grundeinkommen einzuführen, kann sich im Arbeitsministerium aber offenbar keiner anfreunden. In dem Weißbuch wird dazu lapidar festgestellt: Damit habe man sich bei dem Dialog zum Arbeiten 4.0 nicht aktiv befasst, weil sich "weder eine Notwendigkeit noch eine gesellschaftliche Akzeptanz für einen so grundlegenden Systemwechsel abzeichnet". Mit einem Grundeinkommen, schreiben die Autoren, nehme das Risiko einer Spaltung zwischen denjenigen zu, "die Arbeit haben und daher über ein vielfach höheres Einkommen als das Grundeinkommen verfügen können und diejenigen, die auf eigenen Wunsch oder gezwungenermaßen auf das Grundeinkommen angewiesen sind".