Versicherungen:Eiszeit bei der Allianz

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Die Allianz ist einer von drei Versicherern, die die BaFin im Zusammenhang mit gravierenden Mängeln bei der IT genannt hat. (Foto: bildgehege via www.imago-images.de/imago images/Bildgehege)

Bei der Rückversicherungs-Einheit Allianz Re gibt es seit Jahren Krach zwischen Betriebsrat und Chefs. Jetzt hat der Disput eine neue Stufe erreicht: Die Arbeitnehmervertreter beschweren sich in einem offenen Brief bei Konzernchef Oliver Bäte und erheben schwere Vorwürfe.

Von Herbert Fromme, Köln

Behindert die Allianz-Konzernholding Allianz SE unter Oliver Bäte die Arbeit von Betriebsräten? Werden Betriebsversammlungen gestört? Haben hochrangige Allianz-Manager tatsächlich versucht, Handgreiflichkeiten mit Betriebsratsmitgliedern zu provozieren, um das als Grund für fristlose Kündigungen zu nutzen?

Das behauptet zumindest der Betriebsrat des hauseigenen Rückversicherers, der Allianz Re. Die Allianz Re ist kein eigenes Unternehmen, sondern Teil der Holding Allianz SE. Die Einheit hat aber einen eigenen Betriebsrat. Die Arbeitnehmervertreter haben ihre Vorwürfe in einem achtseitigen offenen Brief an Bäte zusammengefasst, der für alle Mitarbeitenden im Intranet zugänglich ist.

So beschreiben sie die Situation bei der ersten Betriebsversammlung des neu gewählten Betriebsrates im Juni 2022, bei der es "erhebliche Behinderungen und Störungen" gegeben habe. "So war es beispielsweise im Vorfeld der Betriebsversammlung der Allianz SE nicht möglich, einen (geeigneten) Raum bereitzustellen." Ferner sei die Frage der hybriden Form der Veranstaltung bis zuletzt umstritten gewesen. "Die Allianz SE bestand bis kurz vor der Veranstaltung auf einer persönlichen Anwesenheit aller Teilnehmer."

"Lüg mich nicht an"

Zum Zeitpunkt der Veranstaltung waren Atemschutzmasken durch die Allianz in Schwabing "dringend empfohlen", berichten die Betriebsräte weiter. Doch Allianz Re-Chef Holger Tewes-Kampelmann habe bei Betreten des Raumes keine Maske getragen, trotz Bitten durch anwesende Betriebsräte und trotz der Empfehlung des eigenen Unternehmens. "Dem CEO war bekannt, dass im Raum entsprechende Risikopatienten anwesend waren."

Noch härter ist die Schilderung des weiteren Ablaufs. Tewes-Kampelmann sei wenige Minuten vor der Veranstaltung gemeinsam mit zwei Kollegen aus der Personalabteilung und seiner persönlichen Assistentin in den von der Allianz ausgewählten, sehr kleinen Veranstaltungsraum gestürmt. "In diesem Zusammenhang baute sich der CEO noch vor Beginn der Veranstaltung vor einem anwesenden Betriebsrat auf, näherte sich ihm auf 10 Zentimeter und schrie ihm zwei Mal ins Gesicht: 'Lüg mich nicht an!'"

Der von ihm verursachte Tumult habe einen Beginn unmöglich gemacht. "Die Betriebsratsvorsitzende musste erst schreiend Herrn Tewes-Kampelmann zur Ordnung rufen, um die Betriebsversammlung beginnen zu können."

Der Betriebsrat will jetzt einen Sicherheitsdienst beauftragen

Die Betriebsräte haben eine Erklärung für das Vorgehen des Chefs: "Per E-Mail ist unwidersprochen dokumentiert und bestätigt, dass der CEO der Allianz SE Re durch sein Verhalten Handgreiflichkeiten provozieren wollte mit dem Ziel, Betriebsräten fristlos kündigen zu können." Tewes-Kampelmann sei mit dieser Aussage mündlich vor Zeugen konfrontiert worden. Der Chef habe grinsend erwidert, er habe den Betriebsrat nicht berührt. Der Betriebsrat will für die nächste Betriebsversammlung einen Sicherheitsdienst beauftragen oder um Polizeischutz bitten.

Tewes-Kampelmann sieht die Vorgänge ganz anders. "Wir weisen diese Vorwürfe entschieden zurück", sagte er der SZ. Stefan Britz, Personalchef der Allianz SE, ergänzt: "Es gab zu den angeblichen Vorfällen bei der Betriebsversammlung eine Untersuchung der Compliance-Abteilung des Allianz-Konzerns, die auch mit Anwesenden bei der Veranstaltung gesprochen hat." Das Resultat: "Im Ergebnis wurden die Vorwürfe als unbegründet bewertet." Der Betriebsrat war für die SZ nicht erreichbar.

Was immer genau bei dieser Betriebsversammlung geschehen ist: Die Stimmung zwischen dem Betriebsrat unter seiner Vorsitzenden Simone Wohlmut und der Unternehmensleitung unter Tewes-Kampelmann ist auf dem Tiefpunkt. Der Konzern soll bei der Wahl Anfang des Jahres eine andere Liste favorisiert und ihr Hilfestellung gegeben haben, behauptet der Betriebsrat in seinem Brief. Konzernchef Bäte rief vor der Wahl die Belegschaft auf, zu wählen. "Es ist sehr wichtig, dass Sie die Personen wählen, die wirklich mit uns zusammenarbeiten, um dieses Unternehmen besser zu machen." Im Unternehmen wurde das als Versuch gesehen, bestimmte Kandidaten zu fördern, die möglicherweise pflegeleichter gewesen wären als die aktuelle Arbeitnehmervertretung. Doch Wohlmut hat Unterstützung in der Belegschaft und wurde erneut zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt.

Die Allianz hat 155 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei der Obergesellschaft Allianz SE arbeiten 1750 von ihnen. Bei der Allianz Re, die konzernintern die milliardenschwere Rückversicherung bündelt und auch für andere Versicherer tätig ist, sind am Standort München 220 hochqualifizierte Spezialisten beschäftigt. Mit ihnen hat der Konzern ein gewaltiges Problem.

Beide Seiten führen zahlreiche Arbeitsgerichtsprozesse gegeneinander. Das Unternehmen kommuniziere fast nur noch über Anwaltskanzleien mit den Arbeitnehmervertretern, behaupten die Arbeitnehmervertreter. Betriebsratsmitglieder beklagen sich, bei Gehaltsanpassungen nicht angemessen berücksichtigt worden zu sein.

Das Gremium wiederum blockiere Stellenbesetzungen, heißt es in der Umgebung der Geschäftsleitung. Das gefährde das Geschäft und die Gesundheit von Mitarbeitern, die überarbeitet seien.

Tewes-Kampelmann hat die Probleme von seinem Vorgänger Amer Ahmed geerbt, der das Unternehmen Ende April 2021 verlassen hat und im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als eher schwierig galt.

Offenbar hat der Chefwechsel aber nichts Grundlegendes geändert - möglicherweise auch, weil Tewes-Kampelmann schon früher Mitglied der Geschäftsleitung und damit an den langjährigen Auseinandersetzungen beteiligt war.

Der Chef wirft den Betriebsräten einen Konfrontationskurs vor

Er klingt nicht sehr optimistisch, wenn es um die künftige Kooperation mit dem Betriebsrat geht. "Wenn nicht beide Seiten die Kooperation wollen, dann ist es sehr schwierig, die angestrebte partnerschaftliche Zusammenarbeit hinzubekommen", sagte er. Damit wirft er den Betriebsräten einen Konfrontationskurs vor. In ihrem offenen Brief tun sie dasselbe in Richtung Geschäftsleitung.

"Die beiden Seiten haben eine Stufe erreicht, die schon außergewöhnlich ist", sagte der Kölner Arbeitsrechtler Thomas Klaes nach Durchsicht des offenen Briefes. Klaes kennt sich aus: Er vertritt als Anwalt vor allem Betriebsräte, ist aber in der Auseinandersetzung bei der Allianz Re nicht beteiligt.

"Wenn der Arbeitgeber versucht zu sabotieren, ist das kein feiner Zug", kommentierte er die Schilderungen. Allerdings: "Bei einigen Punkten des offenen Briefes dachte ich, der Betriebsrat überschätzt vielleicht seine Kompetenzen."

Das Betriebsverfassungsrecht sehe nun einmal vor, dass beide Seiten immer einen Konsens suchen. "Aber es gibt Betriebe, in denen das nicht so gelebt wird." Sein Rat an beide Seiten: "Man darf nie mit Kanonen auf Spatzen schießen."

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