Digitalisierung:Ein afrikanisches Betriebssystem für die Welt

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Der Nigerianer Kashifu Abdullahi kann sich sein Land als globale IT-Talentfabrik vorstellen, wie er bei der Digitalkonferenz DLD im Gespräch mit Ludwig von Bayern (Startup Lions) sagte. (Foto: Sebastian Gabriel/picture alliance)

Die Staaten Afrikas wollen teilhaben an der digitalen Revolution, aber nicht nach dem Vorbild der Konzerne aus den USA und China. Zwei Visionen für einen neuen Weg.

Von Jannis Brühl und Helmut Martin-Jung

Kashifu Abdullahi hat die jungen Leute auf seiner Seite. "Der Altersdurchschnitt in Nigeria liegt bei 19 Jahren", sagt er, "wir haben einen demografischen Vorteil". Den will er nutzen: "Wir können die globale IT-Talentfabrik werden." Der 42-Jährige ist eher schmächtig, er spricht leise, überlegt und strukturiert. In seinem Heimatland Nigeria ist er ein bekannter Mann. Seit 2019 leitet er die National Information Technology Development Agency (NITDA). Sie soll die digitale Transformation Nigerias voranbringen.

Abdullahi hat viel vor mit dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Bis 2030, rechnet er vor, würden weltweit 85 Millionen IT-Fachkräfte fehlen. Nigerias junge Bevölkerung könne die Lücke mit digitalen Produkten und Dienstleistungen füllen. Bereits heute hat das Land knapp 220 Millionen Einwohner, bis 2030 sollen es bereits mehr als 260 Millionen sein.

Afrika ist ein digitaler Kontinent, ein Kontinent des mobilen Webs, der das Zeitalter des stationären Rechners mehr oder weniger übersprungen hat. Vordenker und Kreative auf dem Kontinent träumen davon, dass Afrika der Welt etwas von seiner Begeisterung für Technologie zurückgeben kann.

Das könnte nötig sein. Das Silicon Valley, das die digitale Welt geprägt hat, steckt in der Krise. Massenentlassungen und tiefes Misstrauen gegen Facebook, Apple & Co., deren Geschäftsmodelle viele als ausbeuterisch und manipulativ empfinden, setzen der US-Branche zu. Dass es in anderen Weltgegenden auch andere Visionen für die digitale Zukunft gibt, zeigte sich vergangene Woche auf der Digitalkonferenz DLD in München.

Abdullahi schwebt vor, sein Land zu einer Art digitaler Werkbank für die Welt zu machen. "Man kann in Nigeria leben, aber für westliche Länder arbeiten", sagt er, "die ersten Start-ups, die das anbieten, gibt es schon". Bisher sei Indien führend, das möchte er ändern. Die Welt habe Afrika nahezu ignoriert, "weil man denkt, hier passiert wirtschaftlich ja sowieso nichts". Abdullahi hält mit einem Beispiel dagegen: Als der britisch-sudanesische Unternehmer Mo Ibrahim im Sudan ein Mobilfunkunternehmen gründete, habe man ihm abgeraten. Das funktioniere nicht, die Menschen seien zu arm. Das Gegenteil trat ein, "nach einigen Jahren verkaufte Ibrahim seine Firma Celtel, die inzwischen in 13 Ländern aktiv war, für 3,4 Milliarden Dollar".

Von den sieben afrikanischen Einhörnern - Start-ups, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind - stammen fünf aus Nigeria, sagt Abdullahi. Die Regierung fördere die IT-Branche, zum Beispiel mit Geld für Start-ups. Außerdem arbeite man an einem Gesetz zur Unterstützung der IT-Wirtschaft. Der Chef der Digitalagentur wird nicht müde, die Vorzüge seines Landes zu preisen, die talentierten jungen Leute, die vergleichsweise gute wirtschaftliche Entwicklung.

Auf die vielen Probleme Nigerias kommt er nicht von sich aus zu sprechen, nach denen muss man ihn schon fragen. Korruption, sagt er dann, gebe es, weil den Menschen die richtigen Mittel fehlten, um etwa Leistungen des Staates zu beantragen. "Wenn das digital läuft und transparent ist, wie soll da jemand ein Bestechungsgeld verlangen?"

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Korruption ist nur eines von vielen Problemen des Landes. Dieses Jahr ist Präsidentschaftswahl, Beobachter wie die UN fürchten Gewaltausbrüche. Im fragile state index, einer von der internationalen Non-Profit-Organisation Fund for Peace erarbeiteten Einordnung von 179 Staaten, steht Nigeria auf dem 16. Platz - von hinten. Zu instabil ist die Lage in dem Land mit den vielen Bevölkerungsgruppen, Sprachen und Religionen.

Abdullahi hält dagegen, in Nigeria gebe es seit 24 Jahren eine stabile Demokratie, wirtschaftlicher Aufschwung werde die Lage verbessern. "Kommen Sie und entdecken Sie den Silberstreif am Horizont", fordert er westliche Firmen auf. Was er aber nicht will, ist eine zweite Kolonialisierung - durch Daten: "Die Technologiefirmen haben mehr Daten als jedes Land", sagt Abdullahi. Das gefährde die Demokratie. Er plant, Nigeria zu einem Vorbildstaat in Afrika zu machen, der sich an den strengen Datenschutzregeln der EU orientiert. Ein entsprechendes Gesetz sei in Arbeit.

Der dritte Weg führt über Afrika

Auch für Forscher wie Ramesh Srinivasan von der University of California Los Angeles ist Afrika die digitale Hoffnung. Im Westen gebe es nur zwei Denkweisen, erklärt der Professor für digitale Kultur am Rande des DLD: ein Bejubeln digitaler "Innovation" aus dem Silicon Valley, oder die Verteufelung der Technologie als Untergang der Kultur. "Katastrophisieren" nennt er dieses ständige Wälzen von Dystopien.

"Das sind zwei Marken, die sich gut verkaufen", sagt Srinivasan. Er ist nach München gekommen, um in einer kämpferischen Rede für einen neuen Umgang mit digitaler Technologie zu werben. Er sagt: Beide Erzählungen, die unkritische wie die düstere, hätten nichts mit dem täglichen Umgang der Menschen mit Technologie zu tun: "Wir reden über Technologie als Innovation, als künstliche Intelligenz, als Cyborg. Oder wir beschreiben sie als Tod der Demokratie." Er suche nach einem dritten Weg, ohne Verkaufsslogans und unkritisches Abfeiern von Produkten: "Mein Optimismus speist sich aus der Kreativität, über die wir Menschen verfügen. Wir können mit weniger mehr erreichen." Gefunden hat er diese Kreativität vor allem in Afrika, wo sie aus der Not geboren ist. Im Geist der Technik-Bastler des Kontinents, die aus alten Handys, Kopierern und Müll funktionierende Technik schaffen, hat er so etwas wie ein neues Betriebssystem für die Welt entdeckt.

Der amerikanische Wissenschaftler Ramesh Srinivasan sieht in afrikanischen Projekten das Gegenmodell zu den Konzernen aus dem Silicon Valley. (Foto: Sebastian Gabriel/picture alliance)

In seinem Buch "Beyond the Valley" fasste er 2019 seine Eindrücke aus den Tech-Szenen jenseits des Westens zusammen. Eben erst war Srinivasan wieder sieben Monate in Afrika und Südasien unterwegs. Er kennt die Elektromärkte unter freiem Himmel, eine Art Gegenmodell zum durchdesignten Apple Store: "Innovation heißt nicht nur, das neueste iPhone zu bauen. Es heißt auch, aus weniger mehr machen, recyclen, tote Dinge wieder auferstehen lassen, dem Schrott Leben einhauchen, das haben mir die Leute in Äthiopien, Kenia und Südafrika gezeigt."

Srinivasan berichtet von selbstgebauten 3D-Druckern, die mit geschmolzenen weggeworfenen Plastikflaschen befüllt werden. Aus denen drucken die Maschinen dann alles Mögliche, auch weitere 3D-Drucker. Im ostafrikanischen Klima stechen die Maschinen chinesische wie amerikanische Modelle aus. Oder der Brck, der Router, den Afrikaner für Afrikaner bauen, in deren Sprache es nicht einmal ein Wort für IT-Ingenieur gibt, der aber Savannenklima und den ein oder anderen Antilopentritt aushält.

Solche Projekte sind für Ramesh Srinivasan das Gegenmodell zu dem System, das Konzerne von Kalifornien aus errichtet haben. "Kortison, Dopamin und Adrenalin sind drei der wichtigsten Rohstoffe des digitalen Kapitalismus", sagt er auf der Bühne in München. Für ihn ist der nachhaltigste Rohstoff aber der Erfindergeist der Bastler. "In Afrika ist das Durchschnittsalter 20. Diese Leute tun alle möglichen kreativen Sachen mit Technologie. Sie tauschen etwa Klingeltöne wie Währungen. An solche lokalen Ökosysteme könnte selbst Apple andocken."

Der Welt zuhören, statt sie zu bauen

Srinivasan kennt das Valley. "Ich habe Ende der Neunziger in Stanford studiert, heißt: Viele meiner Freunde sind nun steinreich." Aber seine Faszination gilt nicht der Milliardärskultur in Kalifornien, sondern Afrika und Südasien: "Diese Leute haben begrenzte Ressourcen, instabile Stromnetze, Umweltprobleme vor der Haustür, viele, viele Infrastruktur-Defizite. Aber sie finden Wege, Technik umzubauen oder völlig neu wieder zusammenzusetzen, sodass sie für sie selbst am besten funktioniert." Daraus ließe sich einiges lernen.

Anstatt zu versuchen, die Welt zu bauen, wie es die Gründer des Silicon Valley ebenso wie chinesische Tech-Konzerne, die Afrika als gigantischen Markt erkannt haben, für sich in Anspruch nehmen, fordert Srinivasan, "der Welt zuzuhören". Die Fehler der Tech-Konzerne seien auch der Monokultur des Silicon Valley geschuldet, die die Konzerne anderen Weltgegenden überstülpten.

Afrika ist auch der Kontinent, in dem der größte Teil von Metallen wie Kobalt und Coltan gefördert werden - unerlässlich für die Produktion von Elektrogeräten. Srinivasan sagt: "Wir lassen sie in Afrika von Kindern aus der Erde holen, verarbeiten sie in toxischen Geschäftsmodellen wie dem von Apple mit seiner geplanten Obsoleszenz. Die Geräte funktionieren früher nicht mehr, als sie müssten, dann landet der Schrott wieder in Afrika. Es fängt in Afrika an und endet dort." Das solle man sich zunutze machen, und eine echte regenerative Wirtschaft schaffen, einen Kreislauf ohne Ausbeutung. Damit der Elektroschrott kein Schrott bleibt.

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