Wohnungsnot:Verdichtet die Städte!

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Das oft geradezu löchrig provinziell wirkende München darf und muss sich verändern. (Foto: Stephan Rumpf)

Gegen Rom, Paris oder Barcelona wirken deutsche Städte wie München eher depressiv als urban. Dabei kann man auch hier viel mehr Wohnraum schaffen - das Zauberwort heißt: Nachverdichtung.

Kommentar von Gerhard Matzig

Deutschland ist ein Land der Dichter und Denker. Angeblich. Die Sentenz stammt allerdings aus der Romantik, doch in der Zukunft blüht uns ein anderes Image: Aus Deutschland wird ein Land der Dichte und Enge. Die Verstädterung ist ein weltweites Phänomen. Seit 2008 wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Nach Prognosen der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 sieben von zehn Menschen in Städten leben. Wobei in Deutschland der Begriff der Stadt etwas bürokratisch von der Einwohnerzahl abhängt. Ab 100 000 Bürgern spricht man von Großstädten, ab 20 000 Einwohnern von Mittelstädten - darunter befinden sich Kleinstädte und Landgemeinden. In Deutschland liegt der Verstädterungsgrad weit über dem weltweiten Durchschnitt. Die Deutschen sind Städter oder werden es.

Die Folgen der Landflucht, deren Ursachen endlich zu bekämpfen wären, sind bekannt. Ländliche Regionen altern schneller als Städte. Sie verlieren nicht nur die Jugend, sondern auch Fachkräfte und Jobs. Die Infrastruktur schrumpft - ebenso Bildungs- und Kulturangebote. Neu ist aber, dass auch die Städte vom Ungleichgewicht betroffen sind, denn es fehlt ihnen auf mittlerweile dramatische Weise Wohnraum. Erstmals seit der Nachkriegszeit, da Deutschland in Schutt und Asche lag, sprechen die Fachleute wieder von einer Wohnungsnot. Das Wohnen ist zur wichtigsten sozialen Frage der Gegenwart geworden. Zuständig wäre dafür - theoretisch, denn außer Asylgezänk ist von dort kaum Substanzielles zu vernehmen - das Innenministerium, das auch die Begriffe "Bau" und "Heimat" im Namen trägt.

Wem gehört die Stadt? Denen, die darin leben - oder jenen, die hineinwollen? Woraus sich ein zweiter Konflikt schält: Wo und wie soll man Städte "nachverdichten"? Exemplarisch für diese Debatte ist der Streit um ein Wohnbauprojekt in München. Auf Plakaten, die eine politische Diskussion Ende Juli annoncieren, wird derzeit die mögliche Zukunft eines Areals im Osten der Stadt skizziert. München würde sich demnach an dieser Stelle in einen Termitenhügel aus Beton verwandeln. Zu sehen ist ein hässliches, ja lebensfeindlich anmutendes Hochhaus, dicht bestückt mit anonym wirkendem Wohnraum unter einem bleigrauen Himmel. Darüber steht das Wort "Zukunft". Daneben aber ist unter dem Begriff "Heute" ein Idyll unter weißblauem Himmel zu sehen, das aus viel freiem Feld und geduckten Einfamilienhäuschen besteht. Und alles in allem an das Dorf der Schlümpfe erinnert.

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Zu dem plakativ an der Isar ausgetragenen Streit um die Zukunft der Städte, die weder Termitenhügel noch Schlumpfdörfer sein sollten, passt auch das vom Landtag in Düsseldorf soeben beschlossene neue Bauordnungsrecht. Dazu heißt es, dass "durch das veränderte Abstandsflächenrecht" ein "dichteres Bauen" ermöglicht wird, um "Nachverdichtungspotenziale auszuschöpfen". Der Streit um solche Potenziale ist programmiert.

Städte sind keine Dörfer, aber auch keine übervölkerten Steinhaufen

In diesem Konflikt stehen sich zwei Klischees gegenüber, die wenig hilfreich sind, wenn man die Probleme der Zukunft lösen will. Städte sind keine Dörfer. Sie wollen und können das nicht sein. Städte sind aber auch keine übervölkerten Steinhaufen, wie man sie aus apokalyptischen Hollywoodfilmen kennt. Oder aus Weltgegenden, deren Megacitys tatsächlich ganz andere Dimensionen aufweisen als die vergleichsweise kleinen Großstädte Deutschlands. Andererseits sind immer dichter werdende Städte auch hierzulande problematisch. Sie schaffen unter Umständen nicht nur Lebensraum, sondern auch den Raum zum Krankwerden. Die Medizin kennt den Zusammenhang von räumlicher Enge und Stressfolgeerkrankungen gut. Tatsächlich muss man besorgt sein: Stress gilt der Weltgesundheitsorganisation als eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Es erscheint fatal: Wer die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, das Wohnen in den Städten, beantworten will, befeuert gleichzeitig einen Krankheitsherd des 21. Jahrhunderts.

Aus diesem Dilemma gibt es einen Ausweg. Tatsächlich lässt sich nämlich eine Stadt, deren Boden ein begrenztes Gut ist, sehr wohl nachverdichten - ohne dass man sich beengt fühlen müsste. Architektur, Städtebau und Freiflächenplanung: Das ist insofern ein Trio der Hoffnung. Denn man kann Wohnungen falsch oder richtig planen, man kann Parks anlegen oder es bleiben lassen, man kann Städte benutzerfreundlich oder menschenfeindlich ersinnen. Man kann mehr, viel mehr Wohnraum in Städten schaffen - und daraus zugleich attraktive Lebenswelten machen.

Paris, Kopenhagen, Rom, Wien, Barcelona: Das alles sind Städte, die viel dichter bebaut sind als beispielsweise das entlang seiner Magistralen geradezu löchrig provinziell wirkende München, das mitunter eher depressiv als urban und vital erscheint. Ein gute, qualitätvoll gestaltete Dichte ist in Deutschland nicht das Problem, sondern die Lösung.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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