Trendhobby Design:Ich gestalte, also bin ich

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Gut ausgeleuchtet: Zimmer Nummer 28 des Wiener Hotels "Altstadt Vienna", persönlich eingerichtet von Schauspieler Tobias Moretti. (Foto: IMAGO/Nicky Webb Photography, Collage: Niklas Keller)

Tobias Moretti entwirft ein Hotelzimmer, Brad Pitt denkt über futuristische Möbel nach, und Catherine Zeta-Jones mag Sofakissen in Form fleischfressender Monstertruckreifen. Was ist da los?

Von Gerhard Matzig

Ein Hotelzimmer in Wien. Eine Leuchte befindet sich auf dem Schreibtisch, eine andere ist neben dem Bett. Das Bett zeichnet dezent den Umriss eines Himmelbettes nach, wobei das darüber schwebende Himmelsgestirn eine, Überraschung, weitere Leuchte ist. Und auf dem kleinen Sideboard gegenüber gibt es noch mal eine hantelhohe Leuchte, goldfarbig und auch sonst ganz goldig. Außerdem gibt es weitere Lichtquellen. Ganz abgesehen vom üppig dimensionierten Kastenfenster, das Sonnenstrahl um Sonnenstrahl hereinschaufelt.

Man ist also insgesamt recht gut ausgeleuchtet im Zimmer Nummer 28 des Wiener Hotels "Altstadt Vienna", wo Goethes angeblich letzte Worte ("mehr Licht!") schon deshalb wahr werden, weil dieses Zimmer zur Hälfte eine Bühne ist, also eine Welt des literarisch Artifiziellen. Ein Reich der Fiktionen, des Scheins. Und sei es der Schein von Lampen und Leuchten. Das sehr schöne Fischgrätparkett aus Eiche, typisch für das patinasatte Patrizierhaus in Wien: Sind das die Bretter, die die Welt bedeuten?

Einerseits ja. Zur anderen Hälfte aber, denn zur Dichtung fehlt noch die Wahrheit und zum Schein das Sein, ist das Zimmer nach einem Entwurf des österreichischen Schauspielers Tobias Moretti auch eine Art Naturraum. Holz ist Holz. Man bewohnt ein Reich des Faktischen, nicht des Fiktionalen. Die Fakten: Doppelzimmer Large, 30 Quadratmeter, Kingsize-Bett, Minibar - und die ausgezeichnete Moretti-Idee, wonach ein Hotelzimmer immer auch die Bühne für das eigene Leben ist. Oder sein sollte. Ein Ort der Verwandlung. Und ist man als Reisender nicht auch immer unterwegs zwischen den Welten? Im Idealfall schon.

Moretti ist 63 Jahre alt. Man kennt ihn als großartigen Theater- und Filmschauspieler. Allerdings nicht nur als wurstsemmelwerfenden Sidekick eines sensationellen Polizeihundes, der sich seit 1994 durch die Krimiserie "Kommissar Rex" wurstsemmelte. Sondern auch als Burgschauspieler in Werken von Tschechow, Grillparzer und, apropos Lichtgestalt, Goethe.

Als Filmschauspieler hat er zuletzt in dem dystopischen Thriller "Das Haus" gezeigt, dass eine eher erratische Story allein durch sein pointiertes Schauspiel beglaubigt werden kann. Kurzum: Es ist offenkundig, dass Moretti ein herausragender Schauspieler ist. Weniger bekannt: Moretti als Designer. Was sich aber nun im Zimmer 28, genannt "Moretti Room", des übrigens auch sonst wundersam eigensinnig gestalteten Hotels "Altstadt Vienna" als sehenswertes Schauspiel seiner selbst erleben lässt.

Dem Schauspieler ist es bei der Gestaltung des Doppelzimmers (mit Hilfe der Designerin Eugenie Arlt und dem Künstler Degenhard Andrulat) darum gegangen, seine "zwei Welten in einem Raum zu verbinden": Städtisches und die Welt des Theaters einerseits - und andererseits die ihn privat umgebende Landschaft der Tiroler Bergwelt. Das ist sein Zuhause. Wenn das Bühnenlicht den Ort markiert, an dem Moretti arbeitet, dann ist der Sonnenuntergang in den Alpen das, wofür Moretti arbeitet. Urbanität und Suburbanität, das Fiktionale und das Faktische: Das sind die Welten, die sich im Moretti Room begegnen.

Der Raum, durchdacht möbliert und farblich angenehm akzentuiert, wird zum Bühnenraum und gibt hinter dem Theatervorhang den Blick nach draußen oder, unter einem eher ironisch geschindelten Dachüberstand, ins Innerliche frei - auf eine alpine Fototapete. Diese bildet Morettis eigenes Jagdgebiet ab. Das künstlerisch bearbeitete ("entkitschte") Foto stammt von ihm. Wie auch "Kräutersalze & Tee von Tobias Moretti", die man "jederzeit an der Rezeption erstehen kann".

Die Umtriebigkeit des Mimen erinnert in dieser ökonomischen Weitsicht etwas zu sehr an die filmische Figur des Quirin Sydow als Finanzvorstand einer "Bad Bank". Das Lärchenholz im Zimmer stammt aus Morettis eigenem Wald. Ein Tischler hat das private Moretti-Bett originalgetreu nachgebaut. Wer also schon immer mal in Morettis Bett aufwachen wollte (notfalls auch ohne Moretti): In Wien ist das jetzt möglich im Hotel. Seit 20 Jahren checkt Moretti hier ein. Jetzt hat er sein eigenes Zimmer entworfen als duale Welt.

Das "Altstadt Vienna", gelegen im Künstlerviertel hinter dem Museumsquartier, ist das spektakuläre, gleichzeitig souverän zurückhaltende und einfach total wienerische Produkt von Kreativität. Architekten wie Matteo Thun und Adolf Krischanitz, Designexpertinnen wie Lilli Hollein, Modeschöpfer wie Atil Kutoğlu und Lena Hoschek oder Stylisten wie Andi Lackner - und zuletzt eben Schauspieler wie Tobias Moretti haben 62 individuelle Zimmer und Suiten in diesem von Otto Ernst Wiesenthal als utopischen Ort erfundenen Hotel gestaltet.

Zu einem Viertel ist das Hotel auch eine Architekturausstellung, zu einem Viertel Designmesse, zu einem Viertel Kunstmuseum und zu einem letzten Viertel ist es eine fulminante Wundertüte der Gastlichkeit. Wobei dieses ungewöhnliche Hotel, da das Ganze immer mehr ist als die Summe seiner Teile, zu einem surrealen fünften Viertel auch ein Dorado für die raumschöpferischen Ambitionen von Nebenerwerbsdesignern ist, die eigentlich ganz andere Berufe ausüben.

Immer auffälliger wird, wie attraktiv Architektur, Innenraumgestaltung und Design (all das bitte gedanklich in Anführungszeichen setzen) für Kreative aller Art ist. Die Beziehung zwischen Stars/Sternchen und Gestaltkunst endet allerdings nicht immer als Liebesglück. Manchmal würde man das Entworfene am liebsten in der Paartherapie diskutieren.

Unter dem Label "Casa Zeta-Jones" hat die Schauspielerin Catherine Zeta-Jones beispielsweise eine Interior-Kollektion vorgestellt, die (so die Lifestyle-Expertise von Voiia) "durch Vintage-Flair überzeugt". Ihre "Mädchenhöhle", es ist ein umgebauter Stall, hat sie auf Instagram gepostet. Viel Spiegelglas. Viel Bühnenlicht. Dazu XXL-Sofa-Landschaft und etwas Stallambiente. Man begreift nicht recht, was hier als Vintage-Flair überzeugen mag, aber sagen wir es doch einfach in den Kurier-Worten: "Zeta-Jones macht auf Stylistin & zeigt protziges Heim".

Für eine Innenarchitektur-Karriere reicht das nicht, aber auf Instagram spielt das keine Rolle. Auf der Casa-Zeta-Jones-Homepage verspricht die Schauspielerin alles, was man braucht, um die eigene Welt in Schönheit zu verwandeln. Die rosa Kissen, die aussehen wie fleischfressende Monstertruckreifen, gehören dazu.

Miranda Kerr, australisches Model, hat eine Home-Kollektion namens "Love. Joy. Bliss" erfunden. Dazu gehören Beistelltische, Betten, Stühle, Sessel und Sofas, die angeblich skandinavisch anmuten. Oder vage an das erinnern, was man als australisches Model für skandinavisches Design halten könnte.

2017 stellte Jérome Bôateng seine zweite Brillenkollektion vor. (Foto: picture alliance / Daniel Reinhardt)

Reese Witherspoon hat Geschirr entworfen, Gwyneth Paltrow macht sich um Kerzen verdient, Eva Longoria mag Fensterdeko, Brad Pitt denkt sich futuristische Möbel aus - und Jérôme Boateng entdeckte noch als FC-Bayern-München-Verteidiger die wesentlich offensivere Kunst der Brillengestaltung. Was seinen damaligen Chef Rummenigge zu der Ansage veranlasst hat, Bôateng solle mal wieder "back to earth" kommen. Zumindest das Männermagazin GQ sah das anders und kürte Bôateng zum "Mann des Jahres". Nicht als Innenverteidiger, sondern als Trendsetter, Mode-Ikone und Brillendesigner.

Man könnte nun allen Hobbydesignern aus dem nach Sinnstiftung dürstenden Promi-Lager tendenziell übellaunig den Weg zurück zur Erde empfehlen. Andererseits: Wieso? Die Sehnsucht, sich auszudrücken, etwas zu formen, zu gestalten, jenseits der eigenen Profession: Ist das nicht sogar ein entzaubernder Hinweis auf eine Welt, die nur vordergründig schon alles zu haben scheint, also Geld, Erfolg, Anerkennung. Und dann will man mal wieder den Stuhl neu erfinden. Das ist vielleicht naiv, geltungssüchtig, respektlos (gegenüber professionellen Gestaltern) und wohl auch ein ernster Hinweis auf viel zu viel freie Zeit.

Brad Pitt entwirft futuristische Möbel, die die Möbelmarke Frank Pollaro aus New Jersey unter dem Namen "Pitt Pollaro" verkauft. (Foto: Hersteller)

Nicht jede amateurhafte Liebe zur Gestaltung mag zudem erfüllend sein - aber immerhin ist es oft genau das: Liebhaberei. Der amator (lat.) im Amateur (frz.) ist der Liebhaber. Liebe ist grundsätzlich etwas, das man freundlich umarmen sollte.

In Morettis Himmelbett schläft es sich übrigens ganz ausgezeichnet. Schade ein bisschen nur, dass am Morgen der Theatervorhang samt Vorhangstange aus der Wand bröselt und herunterfällt. Ende der Vorstellung.

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