Ökologische Landwirtschaft:Klasse statt Masse

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Simon Tress bezieht für seine Restaurantküche nur Zutaten, die innerhalb eines Radius' von 25 Kilometern angebaut werden. (Foto: Käflein)

Linsen, Safran, Büffelmilch - die Schwäbische Alb hat sich zur Region für Spitzenprodukte entwickelt. Und das, obwohl sie lang als zu karg für die konventionelle Landwirtschaft galt.

Von Patrick Hemminger

Gerade einmal 25 Kilometer: Das ist die persönliche Grenze von Simon Tress. Produkte, die weiter weg angebaut werden, kommen dem Spitzenkoch nicht in die Küche. Und wenn nicht gerade Lockdown ist, bereitet er in seinem Restaurant "1950 " feinstes Gemüse aus der nächsten Umgebung zu, wobei Tress gern die komplette Pflanze verarbeitet.

Er serviert zum Beispiel gegrillte Karotte, dazu ein Karottenpüree, "aus dem Grün und unserem eigenen Rapsöl haben wir außerdem eine Emulsion gemacht und dazu noch Karottenreduktion eingesetzt", erklärt Tress. Aus Kohlrabi-Blättern fertigt er Chips, das Innere der Rübe legt der Koch in Molke ein und macht ebenfalls Püree daraus, dazu gibt er den marinierten Stiel und Kohlrabi-Staub aus der Schale. "Darunter legen gern wir kräftigen Blauschimmelkäse, den wir mit Dinkel versetzen", sagt er. Tress , 38, trägt einen jungenhaften Kurzhaarschnitt und fast immer ein Lächeln auf den Lippen. Wenn der Koch redet, dann so energetisch und schnell, dass wer des Schwäbischen nicht mächtig ist, kaum alles versteht.

Fleisch gibt es im 1950 nur auf Wunsch und als Beilage. Zu jedem Gang werden Kärtchen gereicht. Darauf sind Bilder der Produzenten jeder einzelnen Zutat. Auf der Rückseite stehen Name, Infos und die exakte Entfernung zum 1950. Als der Koch das Restaurant im vergangenen August eröffnete, erfüllte er sich damit einen Traum. Gemeinsam mit seiner Mutter und den drei Brüdern betreibt er auf der Alb mehrere gastronomische Betriebe, alles ausgehend von ihrem Stammhaus "Rose" in Ehestetten. Und das Fundament ihres Erfolgs sind die Produkte einer Region, die aus ihrer Kargheit einen Vorteil gemacht hat.

Natürlich brauchte es dafür auch Pioniere: Tress' Großvater zum Beispiel, der während des Krieges im Elsass mit der Biodynamie in Berührung gekommen war. Und zu einer Zeit, in der die meisten Landwirte willig den Versprechungen der damals noch jungen Düngemittelindustrie glaubten, setzt der alte Tress auf Präparate wie Hornkiesel und Kompost. Im Gasthaus Rose verbannte er schon in den 1980er Jahren Cola und Fanta von der Karte, statt Weizen- wurde nur mehr Dinkelmehl verarbeitet. "Schon damals kamen unsere Gäste hauptsächlich aus Tübingen oder Stuttgart, früher nannte man die Ökos, heute bin ich selbst einer", sagt sein Enkel Simon Tress und lacht schon wieder.

Wie baut man Gemüse an in einer Region, die dafür bekannt ist, dass dort nichts wächst?

Im 1950 treibt Tress das nun eben auf die Spitze. Alles, was er in der Küche verwendet, kommt aus einem Umkreis von höchstens 25 Kilometern. Doch wie geht das in einer Region, die dafür bekannt ist, dass dort nichts wächst?

Für eine Antwort lohnt sich zunächst ein Besuch bei Gerd Windhösel. Der ist auch Koch und betreibt im eine halbe Autostunde entfernten Erpfingen das seit 1994 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant "Hirsch". Windhösel kochte schon regional, als das noch weit davon entfernt war, zum Trend zu werden. "Damals war es noch schwer, hier oben hochwertige Produkte zu bekommen", sagt er. "Zu der Zeit ging in der Landwirtschaft der Trend zur Massenproduktion, und das hat die Alb ausgebremst."

"Unser Winter dauert von Oktober bis April": Milchbauer Albrecht Freytag. (Foto: Tress)

Denn Masse, das ging auf der Schwäbischen Alb noch nie. Wer dort in früheren Zeiten einen Bauernhof erbte, der hatte schwer zu tragen. Auf kargen, steinigen Böden, in denen der Regen sofort versickert, will kaum etwas gut wachsen. Das Mittelgebirge liegt grob gesagt zwischen Tübingen und dem Bodensee. Die höchsten Gipfel erreichen knapp 900 Meter. An ihren Füßen hatten die Landwirte bis zu drei Mal so viel Ertrag wie die Bauern auf der Hochfläche. Deshalb gehörten die Älbler zu den ersten Pendlern der Geschichte - zu Fuß ging es Tag für Tag in die Fabriken in den Städten im "Unterland", wie die Menschen dort heute noch immer sagen. Armut war ihr Schicksal. Über Jahrhunderte.

"Die Meinung der Landwirte war, sie können hier eh nichts großartiges machen. Also verlegten sie sich auf Milchwirtschaft und Schweinefleisch", sagt Windhösel. Seit gut zehn Jahren erkennt er aber eine Trendumkehr. Durch die Kargheit der Böden bleiben die Früchte, besonders das Wurzelgemüse, klein. Das bedeutet Konzentration im Geschmack. Der Region kommt entgegen, dass bei Verbrauchern die Klasse immer wichtiger wird als die Masse.

"Hier musst du als Bauer noch ein bisschen klüger sein als anderswo"

Simon Tress steigt in einen weißen Kastenwagen. Über einen holprigen Feldweg geht es zum genau 6,76 Kilometer entfernten Demeterhof Freytag-Wörz von Thomas Wörz und seinem Schwiegervater Albrecht Freytag. Tress bezieht von ihnen Milch, Alblinsen und Mehl aus Gelbweizen. Dass ihre Lebensmittel intensiver schmecken, erklärt Albrecht Freytag mit der besseren Luft und dem Boden. "Im Unterland, wo die Böden fruchtbarer sind, hat das Getreide mehr Eiweiß. Bei uns lagert es mehr Mineralstoffe ein", sagt er und deutet mit seinen kräftigen, von Arbeit gezeichneten Händen in Richtung der Gemüsebeete und seiner Salers-Rinder, einer alten französischen Rasse. Außerdem wachse hier alles langsamer und werde dadurch feiner im Geschmack. "Es ist schon ein bisschen grenzwertig, hier oben Landwirtschaft zu betreiben. Unser Winter dauert im Prinzip von Oktober bis April", sagt Freytag. "Hier musst du als Bauer die Natur noch besser verstehen, noch ein bisschen klüger sein als anderswo."

Weiter geht es mit Tress zu dem Acker, von dem der Koch sein Gemüse und seine Kartoffeln bekommt. Die gut eineinhalb Hektar sind nicht mal einen Kilometer vom 1950 entfernt. Tress hat ihn an Heidrun König verpachtet. König zahlt keine Pacht, Tress garantiert ihr, dass er alles abnimmt, was sie anbaut. Eigentlich ist sie gelernte Altenpflegerin, fühlt sich aber auf dem Acker wohler. Angesprochen auf den kargen Boden und das widrige Wetter zuckt König nur mit den Schultern und schmunzelt: "Ich kenn's nicht anders".

Die Neubäuerin arbeitet nach den strengen Richtlinien des Demeter-Verbandes, Kunstdünger kommt also nicht in Frage. "Alte Sorten wachsen hier meist am besten", sagt sie. Bis sie etwa die richtige Karotten gefunden hatte, experimentierte sie mit zehn verschiedenen Sorten. "Du merkst den Unterschied zu denen von woanders", sagt Tress. "Die von der Heidrun haben eine wunderbar feste Struktur und können sehr gut lagern." Vergangenes Jahr entdeckte er auf einmal Kichererbsen auf dem Acker. "Ich wollte einfach mal ausprobieren, ob das geht", sagt König und lacht. "Das mag ich so an ihr", sagt Tress, "wenn wir Köche Freigeister sind, brauchen wir das bei den Bauern auch".

Heidrun König experimentiert so lange mit dem Anbau von Salaten und Karotten, bis, bis sie die richtige Sorte findet. (Foto: Tress)

Und experimentiert haben die Bauern auf der Alb zuletzt viel und erfolgreich. Ob mit Safran, den Frank-Peter Bahnmüller auf einem Acker bei Erpfingen anbaut. Ob mit Büffelmilch. Mit Ölen. Oder mit den würzigen Alb-Linsen, deren Wiederentdeckung der Region vor einigen Jahren erstmals wieder viel Aufmerksamkeit sicherte.

Doch Auslöser für vieles von dem, was der Simon Tress heute macht, war ein Rinderrücken, den er vor Jahren in der Küche zubereitete. "Ich hab' über diesen Rücken gestrichen und nichts mehr gespürt", erzählt Tress. Wo kam das Tier her? Wie hat es gelebt? Wie ist es gestorben?" Tress nahm damals das klassischste aller schwäbischen Sonntagsessen, den Zwiebelrostbraten von der Karte. Er lacht. "Alle haben gesagt, jetzt spinnst du komplett. Aber ich hab geantwortet' vertraut mir. Der Weg geht auf'".

Und das ging er. Denn Tress wechselte für Fleisch zur Staatsdomäne Maßhalderbuch, das ehemalige Kloster liegt abgeschieden, umgeben von Wiesen und Wäldern. Seitdem weiß er, wie wichtig es ist, den Ort zu kennen, an dem seine Tiere aufwachsen; zu wissen, wie es ihnen geht. Und die Menschen zu kennen, die sich um sie kümmern.

Kühe lieben das raue Alb-Klima: "Vier Grad ist für sie Wohlfühltemperatur"

In Maßhalderbuch sind einige Fenster vergittert. Hier leben und arbeiten bis zu 31 verurteilte Straftäter. Keine harten Jungs, eher kleine Fische. Es geht um Vergehen wie Drogendelikte oder Diebstahl, und die Häftlinge arbeiten im offenen Vollzug. Außer ihnen leben dort Kühe, Ochsen, Hühner, Gänse und Enten. Achim Geiselhart leitet den Betrieb. Wenn er seinen Blick über Wiesen und seine Tiere schweifen lässt, ist er glücklich. "Ich gehe jeden Morgen gerne zur Arbeit. Das Klima hier oben ist ideal für die Tiere", sagt Geiselhart. Kühe mögen es nicht zu heiß. "Vier Grad sind Wohlfühltemperatur. 30 Grad im Sommer sind Stress ohne Ende für sie", erklärt er und krault einer neugierigen Kuh den Kopf.

Stress ist für die Qualität des Fleisches schlecht. Ist es zu warm, lässt er die Tiere tagsüber im Stall im Schatten. Erst nach dem abendlichen Melken geht es zur Nachtweide auf die Koppel. Sobald auf den 40 Hektar Koppeln das Gras wächst, dürfen die Kühe und Ochsen die ganze Zeit nach draußen. Alle Tiere haben hier Namen, keine Nummern. Es fällt auf, wie ruhig und neugierig sie sind. Fast zwei Jahre sind sie alt, wenn der Schlachter mit seinem Anhänger vorfährt, um ein Tier für Tress' Restaurant abzuholen. Rinder könnten den Tod vorher spüren, würden unruhig, sagt der Koch. "Aber immerhin dauert die Fahrt bei uns nur genau 17 Minuten und dann wird das Tier auf dem Hänger betäubt. Viel besser geht es nicht."

In Maßhalderbuch begann der Koch zu verstehen, dass Spitzenküche und eine karge Gegend kein Widerspruch sind, im Gegenteil. Man müsse sich nur darauf einlassen. "Nicht ich mache die Teller", sagt Tress, "sondern die Natur".

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