In dieser Woche ist es angebracht, die Foodkolumne für eine kleine Glückwunschadresse zu nutzen. Die Gratulation ergeht an ein britisches Restaurant, das Anfang 2019 mit einem ungewöhnlichen Konzept an den Start ging, dafür auch heimlich belächelt wurde und kürzlich seinen fünften Geburtstag feierte - trotz Pandemie und aller aktuellen Widrigkeiten in der Gastronomie. Ganz verkehrt konnte man also nicht gelegen haben.
Die Rede ist vom "Pick & Cheese" im Londoner Westend, dem ersten Käseschnellrestaurant der Welt, das wie ein Running-Sushi-Lokal funktioniert. Die Plätze sind um eine 40 Meter lange Fließband-Bar herum angeordnet, auf der von Glasglocken geschützte britische Käsespezialitäten vorbeifahren. Die Gäste nehmen sich vom Band, worauf sie gerade Appetit haben; besonders beliebt ist der "Käseteller-ohne-Boden-Mittwoch" (Bottomless Cheese Plates Wednesday), an dem jeder für umgerechnet etwa 30 Euro so viel Stilton, Vintage Cheddar oder Blue Shropshire mit Crackern, Sauerteigbrot, Chutneys, Früchten und Dips essen darf, wie er in 75 Minuten schafft. Dazu kann man passende Weine bestellen.
Warum ein solches Lokal lobenswert sein soll? Zunächst mal, weil es auf besonders geschickte Weise Elemente der Trash-, Event- und Gourmetgastronomie miteinander verbindet. So senkt man Schwellenangst und macht gutes Essen für Menschen zugänglich, die es sonst vielleicht nie probiert hätten. Die deutsche Spitzengastronomie zum Beispiel ist ja leider gerade stark damit beschäftigt, das Programm kostengünstig herunterzufahren. Ein Fließband mag da nicht die Lösung für alles sein, im Einzelfall aber lässt sich damit eine Marktlücke besetzen. Das gute alte deutsche Abendbrot als Revival vom Band? Ein Nonstop-Käsekuchen-Café? Warum eigentlich nicht?
Mit dem Käsewagen ins Guinness-Buch
Davon abgesehen ist ein Running-Cheese-Lokal ein schöner Weg für den Erhalt der Käsevielfalt in der Gastronomie. Zwar gibt es derzeit vermutlich so viele Sorten wie nie, doch dürften die besten Zeiten für Molkereikulturgut vorbei sein und der Markt schwieriger werden. Französische Edelkäsereien klagen über Umsatzrückgänge, und der gute alte Käsewagen ist im gehobenen Restaurant heute die große Ausnahme. Was nicht nur an den Gästen liegt (Laktoseintoleranz ...), sondern auch daran, dass es sich kaum eine Küche heute noch leisten kann, Dutzende Käsesorten zu kuratieren, angemessen zu lagern und so rechtzeitig zu verbrauchen, dass nichts weggeworfen werden muss.
Aus heutiger Sicht erscheint es kaum noch vorstellbar, dass ein damals berühmtes Drei-Sterne-Restaurant wie "Schloss Lerbach" (hat lange geschlossen) vor nicht einmal 20 Jahren noch mit einem Käsewagen ins Guinness-Buch der Rekorde gelangt ist. Ein Lokal, das nicht in Paris oder Lyon lag, sondern in Bergisch Gladbach. Gäste konnten aus bis zu 180 Sorten wählen, der Wagen war nach seiner letzten Aufrüstung im Jahr 2007 (auf nun fünf Etagen und vier Schubladen) so schwer, dass er sich nicht mehr bewegen ließ, geschweige denn an die Tische fahren. Monatliche Kosten für den Unterhalt des Käsetrumms: angeblich 2500 Euro. Der Gast zahlte mit heute läppisch anmutenden fünf Euro Menüaufpreis, mit Synapsenbrand bei den Erklärungen und - manchmal - mit Übelkeit.
Was soll man sagen, nicht alles an dieser Zeit muss man vermissen. 180 Sorten sind kein Genuss mehr, sondern die blanke Überforderung. Ein kleiner, feiner Käsewagen ab und zu würde vollkommen ausreichen. Oder gerne auch das eine oder andere Vintage-Cheddar-Fließband.