Modenschauen in Paris:Am Frauenbild muss man noch arbeiten

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Ein Strand mit wogender Dünung und Landesteg mitten in Paris? Ja, warum denn nicht, fanden die Handwerker von Chanel und holten das Meer ins Grand Palais. (Foto: Stephane Mahe/Reuters)

Bei der Modewoche in der französischen Hauptstadt inszeniert Karl Lagerfeld eine Strandparty, Louis Vuitton baut eine Raumstation mitten in den Louvre und Thom Browne fesselt seine Models.

Von Tanja Rest, Paris

Vor dem Einlass zur Chanel-Show stand am letzten Tag wieder dieser junge Mann, den man schon ein paar Mal gesehen hatte. Er hielt ein Pappschild hoch: "Ich würde gerne ein Bild von Ihnen machen, wenn Sie sich heute für sich selbst angezogen haben." Ein paar Leute blieben stehen. Die meisten aber stöckelten in ihren Zirkuskleidern dorthin, wo die Modeblogger standen, denen egal war, ob sich die Gäste für sich selbst oder den Kaiser von China aufgebrezelt hatten. Heutzutage ist es ja so: Du ziehst dir lächerliches Zeug an, und dafür bringen dich die Blogger auf Instagram groß raus. Um Stil geht es dabei nicht.

Der Mann mit dem Schild stellte also eine relevante Frage: Erwarten wir von der Mode eigentlich noch, dass sie etwas über uns selbst erzählt? Oder ist es nicht eher andersherum: Dass wir uns mit unseren Kleidern ein Image überstülpen, das gerade hip ist, aber nicht unser eigenes? Ist der Balenciaga-Turnschuh mit der Monstersohle für 695 Euro, der ein Bestseller ist und von allen Häusern gerade in Windeseile nachgebaut wird, wirklich schön? Oder sind es nicht vielmehr Clownschuhe, für die sich die Leute übermorgen schämen werden?

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Solche Fragen stellen sich dringlicher denn je nach dieser Pariser Modewoche, die das Kalkül der Luxuskonzerne so offen zur Schau gestellt hat wie keine zuvor. Die distinguierte Maison Celine, vormals Céline, hat nicht nur den Accent verloren, sondern auch ihre Identität. Sie soll ihren Milliardenumsatz in fünf Jahren verdreifachen und liefert deshalb jetzt ein sexy junges Luxusimage als Massenware - dafür haben der neue Designer Hedi Slimane und sein Arbeitgeber, die LVMH-Gruppe, gesorgt. Das Zynische daran ist: Obwohl Kritiker die Kollektion gekreuzigt haben, obwohl mit einem Schlag alle früheren Céline-Kundinnen fort sind, könnte die Rechnung aufgehen. Keine noch so maue Kollektion, die sich mit Kapital, einer muskulösen PR-Kampagne und Geschick auf Social Media nicht in das verwandeln ließe, was der Kunde plötzlich dringend haben will.

Auch bei Dries Van Noten hat sich etwas geändert. Er, einer der letzten Unabhängigen, hat in diesem Jahr nämlich verkauft, an die spanische Gruppe Puig. Das hat unter seinen Anhängern Schockwellen ausgelöst. Würde er jetzt Werbung machen müssen und Instagram? Würde es Zwischenkollektionen geben? Würde er seinen ästhetischen, aber anspruchsvollen Look aufgeben, sein Logo auf Pullis drucken und - kommerziell werden? Backstage trifft man einen braun gebrannten Designer, er kommt direkt aus dem Urlaub. "Es geht mir gut, weil die Zukunft meiner Firma gesichert ist", sagt er. "Ansonsten hat sich nicht viel geändert."

Dries-Defilees sind mit traumwandlerischer Sicherheit immer schön, aber diesmal war es, als wäre ein allerletzter Grauschleier weggezogen worden. Strahlende Farben. Gelb, Blau, Orange. Die groben und die feinen Stoffe, die Federn, Stickereien und die Perlenfransen arrangiert er diesmal um ein Outdoor-Thema herum mit Anoraks und rustikalen Overalls. Es fühlt sich an wie eine frische Sommerbrise.

Ähnlich souverän agiert Natacha Ramsey-Levi, seit nunmehr drei Saisons Designerin bei Chloé: Sie ist in dem, was sie da tut, so sehr zu Hause, dass man ihr mit Vergnügen dabei zusieht. Ihre Boho-Mädchen tragen Kleider aus gemusterten Seidentüchern oder warmweißem Strick, um die Hüfte einen Kordelgürtel, dazu schweren Goldschmuck sowie an den Füßen Plateausandalen und Zehenringe. Alles fließt und schwingt. Die Kollektion sieht aus wie an einem sonnendurchfluteten Nachmittag an der Côte d'Azur aus dem Ärmel geschüttelt und ist gleichzeitig durchdacht bis ins winzigste Detail. Ramsey-Levis Vorgängerin Clare Waight Keller kleidet bei Givenchy derweil kühle, glamouröse Powerfrauen ein. Zackige Schultern, auf den Körper gemeißelte Tops, hohe Tütenbundhosen mit breitem Gürtel, messerscharfe Silhouetten sogar bei den kunstvollen Plisseekleidern. Ihre Mode ist pure Energie.

Ihre Kleider sind Angebote der Selbstermächtigung

Alle diese Designerinnen und Designer (und einige mehr) stehen bereit, die Lücke zu füllen, die Phoebe Philos Abgang bei Celine gerissen hat. Sie machen intelligente Mode, in der Frauen so sinnlich, tough, sentimental und kompliziert sein können, wie es ihnen gefällt; ihre Kleider sind Angebote der Selbstermächtigung. Das ist nach dieser Fashion Week die gute Nachricht. Es war aber auch die Woche, in der sich die "Me Too"-Bewegung jährte, in der Christine Blasey Ford wegen sexuellen Missbrauchs gegen Brett Kavanaugh aussagte und eine Grundschullehrerin den Fußballstar Ronaldo der Vergewaltigung bezichtigte. Die schlechte Nachricht ist: In dieser Woche wurde ein mitunter verheerendes Frauenbild von den Pariser Laufstegen an die Welt verschickt.

In der eigentlich poetischen und herrlich skurrilen Show des Designers Thom Browne trugen die Models Hannibal-Lecter-Masken, einige hatten die Hände auf dem Rücken gefesselt oder die Jackenärmel an der Hüfte festgenäht. Wären sie von ihren 15-Zentimeter-Plateaus gekippt, sie wären Gesicht voraus auf den Laufsteg geknallt. So etwas will man heute nicht mehr sehen. Man will auch keine Models mehr sehen, die so gespensterhaft mager sind, dass einem das Herz gefriert. Siehe Saint Laurent, siehe Celine - und dort waren die angeblichen "Männer" sogar noch dünner als die sogenannten "Frauen". Vor einem Jahr haben die Luxusriesen LVMH und Kering, denen zusammen 33 Labels gehören, ein Abkommen unterzeichnet: Schluss mit Kleidergröße 32, keine Models mehr unter 16 Jahren und verpflichtende Gesundheitschecks. Was ist daraus eigentlich geworden, überwacht das jemand? Diese Frage stellte man am Rande der Celine-Show Sidney Toledano, Chef der LVMH-Fashiongruppe. Er sagte: "Machen Sie sich keine Sorgen. Alle Mädchen müssen ein Gesundheitszeugnis vorlegen, sie sind mindestens 16 Jahre alt. Das wird alles kontrolliert."

Mag sein. Aber welches Bild die Designer beim Casting auch im Kopf haben: Frauen sind es nicht. Sie sehen eher aus wie hochgewachsene Kinder, die dringend mal wieder Pizza essen müssten. Hätte man eine zwölfjährige Tochter, man würde ihr manches Foto aus Paris nicht zeigen.

Auch darum tat die Show von Off-White so gut. Na schön, sie war gespickt mit Topmodels (Kaia Gerber, Kendall Jenner, Bella Hadid und Karlie Kloss). Sie kombinierte Sportswear höchst geschickt mit Couture. Und die Location, eine runtergerockte Parkgarage im Marais, war ebenfalls sehr cool. Vor allem aber sah man bei Off-White auch mal andere Körper: Acht Leichtathletinnen im Renndress liefen mit den Models über die aufgemalte Aschenbahn. Erkennbare Hintern, Schultern, Schenkel. Ihr Walk war kraftvoll.

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Der zuständige schwarze Designer Virgil Abloh hat den Rapper Kanye West eingekleidet und niemals eine Modeschule besucht; auch deshalb haben sie ihn in der Branche immer belächelt. Nun ist er nicht nur Kreativchef bei Louis Vuitton Homme, sondern bei seinem eigenen, von Fans hysterisch gefeierten Label Off-White auch mit Nike verpartnert (das Tutu-Kleid, das Serena Williams bei den US Open trug, war von ihm). Das Ergebnis ist ein rasantes Defilee in Weiß und Neongelb, eine Kombination aus Lycra, Tüll und Turnschuhen und der Applaus so donnernd wie nach einem olympischen Finale über 100 Meter.

Die Themen Sport und Outdoor sind aus der Mode nicht mehr wegzudenken. Kein Wunder: Bewegung und frische Luft sind für viele Menschen heute Luxusgüter, und wer stünde da sofort bereit, wenn nicht die Luxusindustrie? So viele Anoraks und Trenchcoats, Cargohosen, geländegängige Schuhe, Badeanzüge und Trikots hat man in Paris lange nicht gesehen. Bei Dior haben sie gleich acht Tänzer auf der Bühne. Die Designerin Maria Grazia Chiuri hat vor Jahren bei Valentino schon einmal eine Ballettkollektion entworfen, aber diese hier ist athletischer, ernsthaft, weniger zuckrig. Ein Motto von Pina Bausch ist der Show vorangestellt: "Mich interessiert nicht, wie sich die Menschen bewegen, sondern warum." Die Dior-Frau jedenfalls bewegt sich immer mehr der eigenen Unabhängigkeit entgegen - und sie tut es in dieser Show mit Grazie und subtiler als in früheren Saisons, in denen Chiuri das Wort "Feminismus" auf T-Shirts gedruckt hat.

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(Foto: Thibault Camus/dpa)

Entwürfe für Frühjahr/Sommer 2019 von Off-White...

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(Foto: Pascal Le Segretain/Getty)

Givenchy...

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(Foto: PR)

Louis Vuitton...

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(Foto: PR)

Chloé...

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(Foto: Kim Weston Arnold)

und Dries Van Noten.

Ein ernsthafter Work-out käme für die Chanel-Frau natürlich nicht infrage. Sie könnte schwitzen. Aber ein Strandspaziergang mit Strohhut, zartrosa Tweedkostüm, Sandaletten in der Hand und Sand zwischen den Zehen - pourquoi pas? Wie gut, dass es Karl Lagerfeld gibt bei Chanel. Der macht das möglich, mitten in Paris.

82 Models spazieren barfuß durchs Wasser

Für kreditwürdige Nachahmer: Man buche das Grand Palais für eine Woche, stelle die 360-Grad-Fototapete eines azurblauen Himmels hinein, addiere Tonnen feinsten Sandes, Strandhäuschen, Holzbänke und Bademeistertürme, fülle das Ganze ordentlich mit Wasser auf und erzeuge eine Dünung, die dir das Meer noch eleganter um die Knöchel spült als in Saint-Tropez. Et voilà: eine hübsche Kulisse für eine 15-Minuten-Show. 82 Models spazieren barfuß durchs Wasser, präsentieren ihre neuen Taschen, lassen den seidenen Rocksaum flattern und nehmen am Ende die Huldigungen ihre Schöpfers Karl entgegen. Das Leben muss federleicht sein, wenn du ein Chanel-Mädchen bist.

Andere wiederum wollen einfach nur weg - kein Wunder, wenn man in die Zeitungen schaut. Ein deutlicher Eskapismus, um nicht zu sagen: Futurismus zieht sich diesmal durch die Pariser Schauen, radikal gebündelt in der allerletzten Show der Woche. Um den Brunnen im Cour Carrée du Louvre hat Louis Vuitton ein Netz aus gläsernen Gangways errichtet, die mit Neonröhren ausgekleidet sind. Sollte die Menschheit demnächst wirklich auf dem Mars shoppen gehen: Der Designer Nicolas Ghesquière hätte jedenfalls den passenden Look dafür. Weiße Hauben mit tief über den Hinterkopf gezogener Krempe, Ballonärmel, kunstvoll überwölbte Schultern, Kleider aus Metallfäden und Eggshape-Mäntel im Uniformstil - die Kleidung wird hier zum schützenden Kokon.

Wer sich eines dieser extraterrestrisch schönen Teile zulegen möchte, sollte vorher aber überlegen, ob er es dann auch wirklich für sich selbst anzieht oder nur auffallen will. Um von den Bloggern fotografiert zu werden, reicht dieser Tage nämlich auch ein Müllsack mit Gürtel.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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