Kochlegenden:Oh Julia!

Kochlegenden: Fröhlich, alltagstauglich und genussvoll: Mit schrulligem Charme faszinierte Fernsehköchin Julia Child ihre Zuschauer.

Fröhlich, alltagstauglich und genussvoll: Mit schrulligem Charme faszinierte Fernsehköchin Julia Child ihre Zuschauer.

(Foto: Mauritius images/Alamy Stock)

Ihr Leben wurde mehrmals verfilmt, ihre Kochbücher sind seit 60 Jahren Bestseller. Nun erscheint die Gesamtausgabe von Julia Child auf Deutsch. Warum Amerikas erste Fernsehköchin die Menschen bis heute fasziniert.

Von Kathrin Hollmer

Wenn man etwas in der Pfanne wendet, braucht man Mut, erklärt die Köchin Julia Child in der ersten Folge ihrer Kochsendung "The French Chef" 1962. Ein Teil ihres Reibekuchens landet beim Wenden direkt auf dem Herd, doch Child bringt das nicht aus der Ruhe. "Das ist nicht so gelungen", sagt sie, "aber das kann man wieder aufheben." Mit einem Teigschaber kratzt sie die Kartoffelmasse vom Herd, klebt sie auf den Reibekuchenrest in der Pfanne und drückt ihn fest. Mahlzeit gerettet. "Wenn man allein in der Küche ist - wer sollte es sehen?"

In Julia Childs Fernsehküche passierte häufig ein Malheur, dem Ruhm der 2004 im Alter von 91 Jahren verstorbenen Amerikanerin hat das nicht geschadet, im Gegenteil. Sie hat die Vorstellung von der französischen Küche geprägt wie kaum ein anderer Koch oder eine andere Köchin außerhalb Frankreichs. Ihre 19 Kochbücher sind Klassiker und Bestseller, ihre Fernsehsendungen legendär. Viele Folgen kann man heute auf Youtube sehen, einige haben Millionen Aufrufe. Nun ist ihre Kochbuchbuchausgabe erstmals vollständig auf Deutsch erschienen (Französisch Kochen, Band 1 und 2, Echtzeit Verlag), bestehend aus mehr als 900 Rezepten auf 1257 Seiten.

Seit die Regisseurin und Drehbuchautorin Nora Ephron ("Schlaflos in Seattle") vor 13 Jahren Childs Leben mit Meryl Streep in der Hauptrolle verfilmte, ist der Hype um die Amerikanerin noch einmal größer geworden. Ephrons "Julie & Julia" erzählt Childs Biografie und die eines Fans: der Bloggerin Julie (Amy Adams), die 50 Jahre später innerhalb eines Jahres alle 524 Gerichte aus Childs erstem Kochbuch nachkocht. Zuletzt hat HBO der Köchin die Serie "Julia" gewidmet. Im vergangenen Jahr brachten die oscarnominierten Regisseurinnen Julie Cohen und Betsy West eine Dokumentation über Child (ebenfalls mit dem Titel "Julia") ins Kino, und in der US-amerikanischen Kochshow "The Julia Child Challenge" interpretieren seit März acht Hobby-Köchinnen und -Köche die Rezepte der Amerikanerin neu.

Kochlegenden: Paraderolle: Meryl Streep als Julia Child im Hollywoodfilm "Julie & Julia".

Paraderolle: Meryl Streep als Julia Child im Hollywoodfilm "Julie & Julia".

(Foto: Mauritius images/Alamy Stock)

Julia Child fasziniert die Menschen bis heute. Dabei fand sie spät zum Kochen. Ursprünglich arbeitete die Kalifornierin für den amerikanischen Geheimdienst OSS. Expertin für französische Küche wurde sie durch ihre Liebe zu gutem Essen und über ihren Mann: Der Diplomat und Feinschmecker Paul Child hatte bereits einige Zeit in Frankreich gelebt, seine Mutter war eine ambitionierte Köchin, auch Julia Child las Kochzeitschriften und verbrachte Stunden in der Küche. 1948 zog das Paar dann nach Paris, weil Paul Child dorthin versetzt wurde. Julia Childs erstes Essen in Frankreich, Sole à la meunière, mehlierte Seezunge mit Nussbutter, Petersilie und Zitrone im Restaurant La Couronne in Rouen, ist der Stoff für eine der ersten Szenen in "Julie & Julia".

Qualität und Genuss waren stets wichtiger als Deko

"Butter!", haucht sie im Film, als sie in die Pfanne sieht, die ihr der Ober an den Tisch bringt, und daran riecht. Die extrovertierte, stets laute Julia Child ist sprachlos - vor Begeisterung. "Das herrlichste Essen meines Lebens", schrieb sie später in ihrer Autobiografie "My Life in France", die posthum veröffentlicht wurde, über dieses einfache, aber aus besten Zutaten perfekt zubereitete Fischgericht. Die Esskultur in den USA fand sie dagegen uninteressant, unsinnlich. Einmal schrieb Child wenig begeistert über ein schickes Mittagessen in den Fünfzigerjahren in den USA, bei dem sie als Hauptgang einen "leicht phallisch geformten Aspikturm" serviert bekam, in dem "Scheibchen von grünen Weintrauben, Marshmallows und Bananen scheinbar schwebten". Für Child waren Qualität und Genuss stets wichtiger als Deko. Sie brachte den Amerikanerinnen und Amerikanern nicht nur das Kochen bei, sondern auch die Esskultur. "Um kochen zu lernen, müssen Sie gleichzeitig essen lernen, das ist eine unerlässliche Voraussetzung", schreibt sie im ersten Band der deutschen Gesamtausgabe. Probieren - und Genießen - sind fester Bestandteil von Childs Küche.

Kochlegenden: "Um kochen zu lernen, müssen Sie gleichzeitig essen lernen", lautete ein Credo von Child, die in ihrer Show "The French Chef" konsequent das klassische Frauenbild ihrer Zeit unterlief.

"Um kochen zu lernen, müssen Sie gleichzeitig essen lernen", lautete ein Credo von Child, die in ihrer Show "The French Chef" konsequent das klassische Frauenbild ihrer Zeit unterlief.

(Foto: imago images/Everett Collection)

In Paris, mit Mitte 30, begann Child, sich mit den Grundlagen der französischen Küche zu beschäftigen. Sie lernte Französisch und belegte Kurse an der legendären Kochschule "Le Cordon Bleu" in Paris. Mit den Köchinnen Simone Beck und Louisette Bertholle gründete sie 1950 dann die Kochschule "Ecole des trois gourmandes" in Paris. Ihre Rezepte veröffentlichten die drei im Buch "Mastering the art of french cooking", das 1961 in New York erschien und später zum Standardwerk wurde. Die New York Times bezeichnete Childs Buch als "Meisterwerk". Es passte perfekt in die Zeit: Damals brachte René Verdon, der Koch der Kennedys, die französische Esskultur ins Weiße Haus. Reisen aus den USA nach Europa wurden schneller und günstiger - und très chic sowieso.

Man merkt dem Buch, das auch Teil der deutschen Gesamtausgabe ist, seine Entstehungszeit an. "Dies ist ein Buch für die dienstbotenlose amerikanische Hausfrau", beginnt Child das Vorwort. In gehobenen Haushalten in den Fünfziger- und Sechzigerjahren waren femmes de ménage angestellt, Haushaltshilfen, die sich um Einkauf und Kochen kümmerten. Child aber ging auf den Markt, kochte und servierte auch Gästen das Essen selbst. Der damaligen Zeit entsprechend geizte sie nicht mit üppigen Zutaten wie Butter, Sahne und Zucker. Saucen werden mit Sahne eingedickt und mit mehreren Löffeln Butter "angereichert". Butter und Sahne in Mengen - Fett ist ein Geschmacksträger! - galten nicht zu Unrecht als "klassisch französisch" und entsprachen dem Bedürfnis, sich etwas zu gönnen.

"Wenn Sie lesen können, können Sie auch kochen!"

Bei den tierischen Fetten haben auch Frankreichs Köche längst abgespeckt. Zeitlos dagegen ist Childs Idee, die französische Küche allen zugänglich zu machen. Bis heute wird sie oft mit Haute Cuisine gleichgestellt, doch Child ermunterte die Menschen früh, keine falsche Ehrfurcht zu haben. Ihr Ziel war es, "der französischen Küche das Geheimnisvolle zu nehmen und sie nachvollziehbar zu machen".

Die Rezepte in Childs Büchern sind leicht zu verstehen und ausführlich erklärt. Es sind natürlich Klassiker dabei wie Coq au vin, Quiche lorraine und Mousse au chocolat. Im Saucenkapitel lernt man Grundrezepte für Béchamel, Sauce brune und unzählige Variationen. Auch die Kunst des französischen Blätterteigs, Pâte feuilletée, der aus Hunderten von Teigblättern und Butterschichten besteht, wird erklärt, außerdem Basics wie Schneidetechniken, wie man Eiweiß richtig schlägt und unter ein Soufflé hebt, damit es möglichst fluffig wird, oder wie man Pilze so sautiert, dass der Saft nicht austritt. Illustrationen zeigen, wie man Brotteig faltet oder Butter in eine Brioche knetet. "Wenn Sie lesen können, dann können Sie auch kochen", schrieb Child gerne schon in den Einleitungen. Und für den Fall, dass etwas schiefgeht, erklärt die Köchin auch mal, wie man misslungene Sauce Hollandaise rettet. Die fotolosen Bände eignen sich nicht für die schnelle Inspiration nach Feierabend, dank Childs humorvoller Art zu schreiben dafür aber zum Schmökern.

Schon der Erfolg ihres ersten Buchs machte Child zur ersten Fernsehköchin überhaupt. 1962, als der Pilotfilm von "The French Chef" im Fernsehen lief, war eine Kochshow noch eine große Nummer. Fast 40 Jahre lang stand Child vor Kameras, wobei sie mit ihrem schrulligen, manchmal ruppigen Charme das gefällige Frauenbild im Fernsehen konsequent unterlief. Zudem kochte sie auch vor der Kamera stets so wie sie es in ihren Büchern erklärt: pragmatisch, nonchalant, alltagstauglich. Die Crêpe dreht sie zur Not mit den Händen um, der Teigschaber fliegt durch die Küche und die Schüssel, die zu klein zum Rühren ist, in den Müll. Mal verbrennt Child ein Soufflé, mal zerfließt die Tarte Tatin nach dem Stürzen. Ein wohltuendes Kontrastprogramm zum Instagram-Perfektionismus und zur Hektik in den sozialen Medien, wo Rezepte auf Optik gepimpt und in Zeitraffer-Videos heruntergerattert werden.

Kochlegenden: Julia Child im Alter von 85 Jahren in ihrem Garten in Michigan.

Julia Child im Alter von 85 Jahren in ihrem Garten in Michigan.

(Foto: mauritius images/Alamy Stock)

Vielleicht ist am Ende dieses Ausgeruhte der Grund, warum Julia Child bis heute so viele Fans hat. Auch einfache Rezepte erklärt sie ausführlich. Und trotz ihres Mutes zum Scheitern spürt man ihre Hingabe. Zwei Jahre und 130 Kilo Mehl brauchte sie auf der Suche nach dem perfekten französischen Brot für ihr Buch, auf acht Seiten befasst sie sich nur mit Omelette. Vom Einfachen das Beste, das war Childs Ziel, und ihre Freude über das perfekte Ei stets riesig und aufrichtig.

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