Balkan kulinarisch:Das Brot der frühen Jahre

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Einfach, aber gut: selbstgebackenes Brot mit leicht scharfem Paprika-Dip und Oliven. Darauf darf man als Gast in Kosovo in fast jedem Haus hoffen. (Foto: Halim Meißner und Christina Lourenco/ Wieser Verlag)

Über die Küche aus Kosovo weiß man bei uns kaum etwas. Es gibt so gut wie keine Lokale oder Kochbücher. Keine Kenntnis der vielen guten Teig-Gerichte. Die Journalistin Arta Ramadani wollte das ändern. Die Quelle für ihr Buchprojekt: eine Rezeptkladde ihrer Mutter.

Von Kathrin Hollmer

Als Arta Ramadanis Mutter 1994 mit ihren drei Kindern aus Pristina, der Hauptstadt Kosovos, vor dem drohenden Krieg floh, hatte sie nur das Nötigste dabei. Papiere, Geld, Kleidung. Und einen roten, zwölf Jahre alten Taschenkalender, in dem sie handschriftlich Familienrezepte notiert hatte. Viele der dort notierten Gerichte dürfte sie ohnehin auswendig gewusst haben. Wie hätte sie damals ahnen können, wie wichtig dieses Heft einmal werden würde? Ein Fenster zu einer Küche, die in Westeuropa kaum jemand kennt.

Ein gutes Vierteljahrhundert später, im zweiten Corona-Lockdown, bekam die Fernsehjournalistin Arta Ramadani, 42, dieses Rezeptbüchlein zufällig in die Hände. Und es weckte sofort eine Vielzahl von Erinnerungen. Mit ihrem Schwager Halim Meißner, 44, einem gelernten Koch, begann sie, die Rezepte ihrer Vorfahrinnen nachzukochen. Und mit der Zeit entstand aus dem Erforschen der alten Gerichte ein Kochbuch: "Brot, Salz und Herz: Familienrezepte aus dem Kosovo" (Wieser Verlag).

In diesem Taschenkalender von 1982 notierte die Mutter von Arta Ramadani Familienrezepte. (Foto: Kathrin Hollmer)

Das Buch ist schon deshalb bemerkenswert, weil es einem bewusst macht, wie wenig man bei uns über die Küche aus Kosovo weiß. Von den Landesküchen des ehemaligen Jugoslawien kennen viele nur bosnische Ćevapčići, vielleicht noch Burek. Bis zum Kriegsausbruch waren jugoslawische Restaurants in Deutschland verbreitet. "Heute gibt es kaum kosovarische oder albanische Restaurants und Kochbücher", sagt Halim Meißner in seiner Küche in Mannheim. Auch Arta Ramadanis Familie hat über die Jahre immer weniger Rezepte aus ihrer Heimat gekocht. "Im ehemaligen Jugoslawien wurden die Kosovo-Albaner unterdrückt, bis heute werten sie ihre Kultur und ihr Essen teilweise selbst ab", sagt Ramadani. Dabei ist die Küche einfach, aber vielfältig. Die Zutaten für die Rezepte in ihrem Buch bekommt man in jedem Supermarkt.

Die Landesküchen des ehemaligen Jugoslawien haben auch keine berühmten Testimonials wie zum Beispiel Yotam Ottolenghi, dessen Kochbücher und Fernsehauftritte die israelische Küche überall in der westlichen Welt berühmt gemacht haben. Aber ein paar bekanntere Köche gibt es inzwischen doch. Zum Beispiel die slowenische Köchin Ana Roš, die 2017 zum "World's Best Female Chef" gewählt wurde. Oder die bekannteste kulinarische Stimme Albaniens, den Koch Bledar Kola, der im "Noma" in Kopenhagen gearbeitet hatte, bevor er sein Restaurant "Mullixhiu" in Tirana eröffnete. Dort interpretiert er traditionelle Gerichte seiner Heimat neu, 2017 wurde es als eines der zehn besten Restaurants Europas ausgezeichnet. Die Albaner stellten erstaunt fest, was für großartige Zutaten es in ihrem Land gibt. Dass Gourmetköche ihre Rezepte gut fanden. Und dass Touristen anreisten, um in Tirana essen zu gehen. Ein bisschen was ist also in Bewegung geraten. Es wird langsam bekannter, dass zum Beispiel besonders gute Tomatensorten aus Südosteuropa kommen. Oder dass die Brot-, Joghurt- und Käsekultur dort große Tradition hat.

In Mannheim kochen Ramadani und Meißner an diesem Tag Kaçamak, das Lieblingsessen von Ramadanis Großmutter, ein Maisbrei, ähnlich wie Polenta, nur feiner, weil er aus Maismehl statt aus -grieß gemacht wird. Ramadanis Großmutter aß ihn zum Frühstück, mit Schafskäse oder Honig, Walnüssen oder Pflaumen, je nachdem, was sie gerade im Haus hatte. Meißner serviert dazu ein Pilzragout mit Schafshartkäse, in diesem Fall Pecorino. Auf dem Herd köchelt ein Topf mit Wasser, Hafermilch und etwas Salz. Mit einem Schneebesen rührt Halim Meißner Maismehl ein und lässt es bei niedriger Hitze köcheln. Während er Kräuterseitlinge, Champignons und Austernpilze schneidet, rührt er den Brei immer wieder um, damit er nicht anbrennt.

Arta Ramadani und Halim Meißner kochen in einer Mannheimer Privatküche Rezepte aus Kosovo nach. (Foto: Kathrin Hollmer)

Das Rezeptbuch von Ramadanis Mutter hat, das kann man so sagen, gelebt. Die Seiten sind vergilbt, viele haben Flecken. Dass es dieses Dokument überhaupt gibt, ist ein kleines Wunder. "In meiner Heimat wurde alles mündlich weitergegeben", erklärt Ramadani. "Viele Menschen, vor allem auf dem Land, konnten nicht lesen und schreiben." Ihre Mutter sei keine passionierte Köchin, zur Inspiration habe sie begonnen, Rezepte zu sammeln: von ihrer Mutter und Schwiegermutter oder von Einladungen, wenn ihr etwas geschmeckt hat.

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Die Küche Kosovos ist deftig. "Viele Familien waren arm, die Frauen mussten kalorienreich kochen, um ihre Familie lange satt zu kriegen", erklärt Ramadani. Sie sagt bewusst Frauen. In der Familie von Ramadanis Schwester Vjosa kocht Halim Meißner auch zu Hause. "Im Kosovo wäre das auch heute nicht vorstellbar. Im Kanun, dem albanischen Gewohnheitsrecht, hat die Frau praktisch keine Rechte, ihre Aufgaben sind Heiraten, Kinder - am besten Söhne - gebären und sich für die Familie aufzuopfern", sagt Ramadani, die im Buch auch kritisch auf ihre Heimat blickt.

Die Deutschen haben die "jugoslawische Küche" über Generationen nur in Restaurants kennengelernt, die "Balkan-Grill" oder "Dalmatia" hießen. Viele denken sofort an die kroatische Grillkultur oder serbisches Reisfleisch. Doch "im Kosovo war Fleisch Luxus", sagt Ramadani. "Geschlachtet wurde nur zu besonderen Anlässen." Im Buch sind alle Rezepte ohne Fleisch, das war die Bedingung von Meißner, der sich vegetarisch ernährt.

Die Küche Kosovos ist teiglastig: Brot und gefüllte Pasteten in fast jeder Spielart

Die Rezepte hat Meißner sanft modernisiert. Statt Kuhmilch verwendet er für viele Rezepte Hafermilch, für die meisten Dinkelmehl Typ 630 statt Weizenmehl. "In Deutschland wird standardmäßig mit Weizenmehl gebacken, dabei gibt es viele Alternativen, die geschmacklich interessant und auch verträglicher sind", erklärt Meißner. In Kosovo ist Maismehl beliebt: im Brei, im Brot, das dem amerikanischen Cornbread ähnlich ist, oder dem Maiskuchen Krelan, der mit Brennnesseln und Zwiebeln gefüllt ist. "Viele Menschen konnten sich lange Zeit kein Weizenmehl leisten, Mais dagegen wurde viel im Kosovo angebaut", sagt Ramadani.

Die Küche Kosovos ist teiglastig: es gibt Pies mit Gemüse oder Fleisch, süße und pikante Kuchen und natürlich die kosovarische Nationalspeise Fli, einen in vielen Schichten gebackenen Pfannkuchen, der wie eine Sonne aussieht und mit eingelegter Paprika und Schafskäse gegessen wird. Petlla, frittierte Teigstücke, erinnern an ungarische Lángos, frittierte Hefeteigfladen, und sind ein beliebtes Frühstück und Streetfood.

Köstlich und knusprig: Fli, ein in vielen Schichten gebackener Pfannkuchen, ist Kosovos Nationalspeise. (Foto: Halim Meißner und Christina Lourenco/ Wieser Verlag)

Auch die Hauptsättigungsbeilage in Kosovo ist Brot. Süße und salzige Brote werden zum Frühstück, mittags und abends gegessen. "Im Kosovo ist das Brot heilig", sagt Ramadani. "Das Wort Bukë heißt übersetzt nicht nur Brot, sondern auch Mittag- und Abendessen." Statt "Hast du schon gegessen?", frage man: "A ke honger Bukë? - Hast du schon Brot gegessen?" Meißner hat an diesem Tag Pogaqë vorbereitet, ein Brot, das mit Joghurt und Backpulver oder Natron gebacken wird und wie ein pikanter Mürbkuchen schmeckt. Pogaqë wird gern an Familienfeiern und religiösen Festen gereicht.

Die Küche aus Kosovo ist von vielen Landesküchen beeinflusst. Mantia, gefüllte Teigtaschen, gibt es überall auf dem Balkan, die kosovarischen Mantia sind größer als etwa türkische Manti und werden im Backofen gebacken und mit Schafskäse, Gemüse oder Fleisch gefüllt. Kifle, Hörnchen aus Hefeteig, die mit Käse oder Hagebuttenmarmelade gefüllt sind, findet man auch in Bosnien, Kroatien und Mazedonien. " Pogaqë haben wohl die osmanischen Eroberer auf den Balkan gebracht", sagt Ramadani, die bei der Recherche an Grenzen kam. Auch der Kokoskuchen Revani stammt von den Osmanen. Unter den Kosovo-Albanern wie auch in der Türkei ist er neben Baklava ein beliebtes Feiertagsgericht.

Auch Kifle, Hefeteighörnchen, gibt es in vielen Variationen. Zum Beispiel gefüllt mit Käse oder Hagebuttenmarmelade. (Foto: Halim Meißner und Christina Lourenco/ Wieser Verlag)

Es zischt. Meißner löscht die Pilze, die er in Öl angebraten hat, mit Hafermilch ab. Er würzt sie mit Salz, Pfeffer, Muskat, Galgant und Quendel - wildem Thymian. "Wenn man aus dem ehemaligen Jugoslawien kommt, wächst man mit Vegeta auf", sagt Ramadani. Vegeta ist eine Instant-Gemüsebrühe des kroatischen Herstellers Podravk. "Mit Geschmacksverstärkern", bemerkt Meißner, darum kommt sie in den Rezepten im Buch nicht vor. Ramadani nutzt das Pulver fast täglich, sie gibt es normalerweise auch in den Paprika-Dip, für den sie jetzt rote Spitzpaprika in kleine Würfel schneidet und in einer Pfanne mit viel Paprikapulver röstet. "Die Paprika hat Kultstatus auf dem Balkan", sagt Ramadani. "Wir lieben sie frisch, eingelegt, gefüllt und gegrillt."

Comfort Food: Pilzragout mit Schafskäse von Halim Meißner. (Foto: Kathrin Hollmer)

Meißner richtet Teller mit Maisbrei und Pilzen an, darüber streut er geriebenen Pecorino, der wunderbar mit den würzigen Pilzen harmoniert. Jeder Gast reißt sich ein Stück Pogaqë ab und tunkt es in den leicht scharfen Paprika-Dip, der wärmt und, wie der Maisbrei, ziemlich glücklich macht. Echtes Comfort Food eben. "Bukë, e krip, e zemër", Brot, Salz und Herz, der Titel des Buches, ist ein kosovarisches Sprichwort. "Im Kanun ist der Gast König", sagt Ramadani. "Selbst in den schwierigsten Zeiten teilen die Kosovaren alles, was sie haben - auch ihr Herz."

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