Benimmregeln:Wie Mann sich dem anderen präsentieren soll

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (links) empfängt Kanadas Premierminister Justin Trudeau vor dem Elyseepalast in Paris. (Foto: dpa)

Für die Begrüßung unter Männern gibt es heute keine festen Regeln mehr. Reiche ich dem anderen die Hand oder soll ich ihn gleich umarmen? Eine Stilkritik.

Von Christian Mayer

Franck Ribéry und Arjen Robben haben gemeinsam so manche Schlacht geschlagen, sie haben den impulsiven Louis van Gaal als Trainer erlebt, den kontrollwütigen Pep Guardiola und den einfühlsamen Jupp Heynckes. Über die Jahre ist aus einem leicht giftigen Konkurrenzverhältnis eine Fußballerfreundschaft erwachsen, man möchte schon beinahe von Männerliebe sprechen, so vertraut gehen die beiden Bayernspieler im Herbst ihrer Karriere miteinander um. Manchmal, wenn der eine der beiden in der 64. Minute vom Platz gehen muss, um einem deutlich jüngeren Athleten zu weichen, hastet der andere von der entgegengesetzten Seitenlinie schnell noch dazu, und es kommt zu einer ergreifenden Verabschiedung: Ribéry herzt Robben, Robben küsst Ribéry auf die Wange, und die Bayernfans fangen vor Rührung beinahe an zu schluchzen vor so viel in Männerschweiß getränkter Zärtlichkeit.

Am Beispiel von Ribéry und Robben kann man das Spektrum des Männergrußes studieren: Anfangs hatten die beiden auf dem Platz nicht mal Blickkontakt, dann gab es nach gelungenen Aktionen einen Händedruck, später schon mal einen freundlichen Klaps. Zuletzt gingen sie dazu über, sich ineinanderfallen zu lassen, was bei heterosexuellen Männern oft mit einem länglichen Schulterklopfen einhergeht. Wobei es dieser Ausdruck eigentlich nicht ganz trifft: Es ist ja eher ein Patschen mit der flachen Hand als ein Klopfen, vielleicht sieht es deshalb so drollig aus, geradezu tollpatschig.

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In Zeiten, in denen Benimmregeln nicht mehr ernst genommen werden, stehen auch die Begrüßungsrituale infrage. Man weiß ja als Mann kaum noch, wie man sich dem anderen präsentieren soll. Das Händeschütteln, früher eine Selbstverständlichkeit, scheint gesellschaftlich aus der Mode gekommen zu sein; erwartet wird es höchstens noch bei einzelnen Anlässen: Arztbesuchen, Trauerfeiern, Neujahrsempfängen oder Begegnungen, bei denen die Teilnehmer altersmäßig mindestens eine Generation auseinanderliegen. Und natürlich dann, wenn es um den Job geht. Jedes Vorstellungsgespräch beginnt im Idealfall mit einer ausgestreckten Hand, die man als Bewerber souverän und ohne zu schwitzen ergreifen sollte.

Über den optimalen Business-Handshake kann man in jedem Karriereratgeber einiges lernen: Ziel der Übung ist es immer, durch resolutes Drücken einen positiven Eindruck bei seinem Gegenüber zu erzeugen. Was allerdings nur dann gelingt, wenn das Ganze nicht in eine hektische Rühr- und Ziehbewegung ausartet, so wie bei Donald Trump, der seine Gesprächspartner gerne schon beim Händeschütteln über den Tisch zieht.

Viele Männer praktizieren den klassischen Handschlag heute nur noch mit ironischem Lächeln. Vor allem Jüngere klatschen sich lieber gegenseitig ab, der Sportlergruß lässt sich leicht mit einer angedeuteten Umarmung kombinieren. Im vertrauten Umfeld wollen die Männer vor allem mehr Gefühle zeigen. Man orientiert sich dabei an südeuropäischen Vorbildern. Wenn italienische Männer auf der Piazza Arm in Arm und in ein Gespräch vertieft spazieren gehen oder wenn sie sich mit Bussi begrüßen und verabschieden, dann wirkt das immer so natürlich. So lässig möchte man auch hier endlich sein.

In seinem gerade erschienenen Roman "Hochdeutschland" schildert der Schriftsteller Alexander Schimmelbusch einen solchen Annäherungsversuch mit der gebotenen Komik. Es geht um das Treffen eines Investmentbankers und eines Bundesfinanzministers, zwei Alphatiere, die voneinander profitieren wollen. Beide wissen noch nicht so ganz, wie sie den anderen einzuschätzen haben: "Die Männer umarmten sich ohne Zögern. In den Sekunden seines Anlaufs hatte Victor Körpersprache und Mimik seines Widerpartes allerdings einer simultanen Multi-Parameter-Analyse unterzogen, um sicherzugehen, dass er mit seinem Vorstoß nicht ins Leere laufen würde. Zudem hatte er dabei automatisch eine um etwa 30 Grad verdrehte Haltung eingenommen, um den Minister nicht mit der Beule in seiner Zegna-Hose zu streifen."

Erich Honecker mit Jassir Arafat 1982. (Foto: imago stock)

Die Szene zeigt: Wenn sich Männer umarmen, müssen sie erst mal die Peinlichkeit des Moments überwinden. Nicht selten ist dabei Alkohol im Spiel - am Ende eines längeren Männerabends, bei dem ein paar Drinks zuvor schon die Zungen gelockert haben, fällt das überraschend leicht. Männer, die zu viel getrunken haben, und Männer, die gerade sehr gerührt oder von sich selbst berauscht sind, neigen zu besonders heftigen Umarmungen ihrer Geschlechtsgenossen.

Als Altkanzler Gerhard Schröder 2014 am Rande einer Geburtstagsfeier Wladimir Putin mit raubtierhaftem Grinsen umarmte, waren die Berichterstatter ganz aus dem Häuschen: Darf der das? Ist das nicht ein Akt der Anbiederung, der Beweis für niedersächsisch-russische Spezlwirtschaft? Schröder versicherte später, Putin sei ein wahrer Freund, an ihrer Beziehung nichts Verwerfliches. Doch da war das Bild schon in der Welt. Anrüchig schien auf einmal nicht mehr nur Schröders Lobbyisten-Tätigkeit für einen russischen Staatskonzern zu sein, sondern die Innigkeit mit Freund Wladimir.

In der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts galt es als Zeichen der Solidarität, wenn sich Männer öffentlich umarmten. Schluss mit der bürgerlichen Förmlichkeit! Der proletarische Männergruß hatte politische Bedeutung. Wie in Schillers Jubelgedicht "An die Freude" sollten nun alle Menschen Brüder werden, ein einziger großer Männerbund war das Ziel, die Vereinigung aller Proletarier - und später dann auch aller Proletarierinnen.

Aus dieser Tradition entstand der sozialistische Bruderkuss, der vielfach persifliert worden ist: zum Beispiel das berühmte Lippenbekenntnis der beiden Politiker Leonid Breschnew und Erich Honecker, die offenbar auf den Geschmack gekommen waren. Man kann sich vorstellen, dass dieses Ritual, das immer auch dem Fortschritt der gesamten Menschheit gewidmet war, für manchen sozialistischen Bruder eine wahre Pein sein konnte: Wie bei jedem Kuss kann man ja einiges falsch machen, wenn das Herz nicht so richtig mitspielt.

Wie aber werden sich die Lieblingsfeinde Donald Trump und Kim Jong-un begrüßen, wenn sie sich demnächst bei ihrem Gipfeltreffen gegenüberstehen? Wie zwei alte Bekannte, die längst alles über den anderen wissen, selbst die dunkelsten Geheimnisse? Allein dass sich die Staatschefs der USA und Nordkoreas die Hand reichen wollen, gilt ja als Weltsensation.

Es wäre übrigens eine Überraschung, wenn nicht einer der beiden wieder sein mechanisches Handrührgerät einsetzen würde, um dem anderen gleich mal zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Jede Begrüßung unter Männern verrät ja auch etwas über das Machtverhältnis zwischen den beiden. Vor allem bei Typen mit besonders großem Ego.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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