Bademode:Ins Netz gegangen

Lesezeit: 3 min

So schön kann Umweltschutz aussehen: ein Zweiteiler von Mymarini, der Stoff wird mit der Hälfte der üblichen Wassermenge gefärbt. (Foto: N/A)

Im Sommer 2017 geht die ökologische Korrektheit endlich baden: Im Trend liegen Bikinis und Badeanzüge aus recycelten Materialien.

Von Anne Goebel

Dass die Schwestern Kendall und Kylie Jenner gerade eine Bikini-Kollektion auf den Markt geworfen haben, ist so überraschend wie ein Hitzegewitter im Hochsommer - musste ja kommen. Das Model-Duo aus Los Angeles tut auf Instagram nichts anderes, als sich mit Haut und Haaren zu vermarkten. Danach sieht ihre Ausstattung für extrakesse Wasserspiele auch aus, Neonpink, Netzstoff, Beinausschnitt bis unter die Achseln. Das sehr durchsichtige Kalkül dahinter lautet: Was knapp sitzt, bringt viele Likes. Es stellt sich nur die Frage, ob vielleicht mal eine andere Idee auftauchen kann in der Bademode als das ewige Japsen nach dem Baywatch-Format? Oder alternativ (am unteren Ende der Strandskala, sozusagen das Ich-bin-raus-Modell) der marineblaue Einteiler mit kraftlosem Wellenlinien-Muster?

Neuigkeiten gibt es tatsächlich: Gute Bikinis und Badeanzüge für Frauen, die weder nach Nixe aussehen wollen noch nach Muttertier. Und weil sich die potenzielle Kundin solcher Entwürfe - modebewusst, nicht mehr ganz jung, Selbstverdienerin und konsumfreudig - heutzutage am liebsten von Produkten mit einer Geschichte ködern lässt, darf sie darin auch gleich die Hauptrolle spielen, als stilvolle Umweltaktivistin. Der Trend im Sommer 2017 heißt ökologisch korrekte Bademode. Die Botschaft: Geh schwimmen und die Ozeane retten.

Badehosen für Männer
:Strandgötter? Von wegen!

Männer in Badehosen haben es nicht leicht. Oft ist der Auftritt peinlich, nur selten eine Augenweide. Momente der Wahrheit in einem besonderen Kleidungsstück.

Von Christian Mayer

"Nachhaltige Bikinis und Badeanzüge sind aus der Nische herausgekommen", sagt Mimi Sewalski, Geschäftsführerin des Avocado Store. Der grüne Onlineshop aus Hamburg vertreibt ausgewählte Stücke von Firmen wie Woodlike Ocean oder Mymarini, die eine Reihe von Kriterien erfüllen müssen. Schadstoffarm, energiesparend produziert oder aus recyceltem Textil, und am besten alles zusammen. In der aktuellen Saison verkaufen sich die Ein- und Zweiteiler besonders gut. "Diese Entwicklung lässt sich auch an unserem wachsenden Angebot ablesen", so Sewalski. Auf Messen beobachte man eine zunehmende Markenvielfalt. Wobei die Abwechslung bei den Badeshorts für Männer zu wünschen übrig lässt. Die Modelle sind fast alle blau, es dominieren schlängelnde Meerpflanzen-Prints.

Wer in umweltschonender Kluft ins Wasser steigt, wird mit einem guten Gefühl belohnt. Das leuchtet jedem ein, der nur halbwegs eine Ahnung vom Plastikmüll in den Gewässern und die entsprechenden Bilder vor Augen hat. Kundinnen, die sich ihren Bikini etwas mehr kosten lassen wollten als die Fast-Fashion-Winzlinge, konnten schon vor Jahren auf Alternativen aus dem Bio-Handel umsteigen. Allerdings sahen die Entwürfe klar nach guter Absicht aus und weniger nach einem hübschen Stück Sommer.

Econyl heißt die neue Beachwear-Faser, gemacht aus alten Fischernetzen

Seit der Zusatz green einen Lebensstil bezeichnet, gehen Begriffe wie "Balconette Bikini" mit Ökologie zusammen. Die Impulse kamen aus Hawaii oder Australien, wo die Kombination von Surf-Style und Umweltschutz jungen Labels eine Chance bot.

Der weltweite Schub hat aber viel mit Europa zu tun, genauer mit dem italienischen Städtchen Arco am Gardasee, Sitz der Firma Aquafil. Der Familienbetrieb ist spezialisiert auf die Herstellung von Kunststofffasern und in seinem Bereich mittlerweile Marktführer. Unternehmenschef Giulio Bonazzi gelang 2011 ein Coup: Er lancierte Econyl, ein Kunststoffgarn, das nicht nur ideale Eigenschaften für die Verarbeitung zu weichem Jersey für Bademoden aufweist.

Ein Bikini von Margaret and Hermione aus der Recycling-Faser Econyl. (Foto: PR)

Econyl besteht aus regeneriertem Plastik, das von zurückgelassenen Fischernetzen stammt, die sonst den Lebewesen der Meere schaden würden. Im Einzelnen ein komplexer Prozess - vor allem aber eine wunderbar griffige Geschichte: Vom herrenlos im Ozean dümpelnden Zivilisationsmüll zum wohlgeformten Recycling-Bikini, besser hätte das keine PR-Agentur ersinnen können.

Econyl steckt heute in zahlreichen Produkten von Beachwear-Firmen und in den nachhaltigen Einzelstücken globaler Marken wie Adidas - eine kleine grüne Kollektionen gehört in der Mode ja längst zum guten Ton. Giulio Bonazzi kann sich durch die medienwirksame Zusammenarbeit mit Naturschutz-Gruppen wie Healthy Seas inzwischen als eine Art Jacques Cousteau der verrufenen Textilbranche fühlen. Aber seine Projekte mit Branchenriesen haben auch den Zugang für Neulinge zur begehrten Ökofaser erschwert. Barbara Gölles und Andrea Kollar, die 2015 in Wien ihr Label Margaret and Hermione gründeten, konnten die Italiener nur mühsam überzeugen, Econyl in die Pilgramgasse zu liefern. "Ein schwerer Brocken", sagt Gölles. "Das Zweitschwerste war, einen Namen für unsere Marke zu finden."

An Margaret and Hermione - das waren die Großmütter der Gründerinnen - wird deutlich, dass es für den Erfolg alternativer Bikinis nicht ausreicht, der Trägerin ein reines Gewissen zu bescheren. Strandspaziergang im Zweiteiler aus alten Fischernetzen? Vorbildlich, er muss aber auch gut ausschauen. "Wir wollten Bademode machen, die aussteigt aus dem Kreislauf immer mehr, immer schneller, immer größere Abfallberge", sagt Gölles. "Aber im Vordergrund steht gutes Design." Die Prints mit ironischem Twist, von Fruchtfliegen bis zu Käfern vor der Skyline von Manhattan, entwirft Andrea Kollar, ihre Mitstudentin an der Modeschule. Die Schnitte sind mit Taillenslips und Einteilern für Frauen mit Normalfigur und normalen Figurproblemen gemacht. Einem nicht mehr ganz flachen Bauch, runderen Hüften. "Wir sind von uns selbst ausgegangen und haben gesagt: Irgendwann ist es vorbei mit den Bändchen- und Rüschchen-Bikinis."

Die Auswahl an nachhaltigen Labels ist inzwischen beachtlich. Aus Berlin kommen Häkelbikinis von E. A. Seawear und die Surf-Looks von Tinka Blu. Männer werden bei Twothirds fündig (auch Modelle in Rot oder Grün). Mymarini aus Hamburg setzt auf klassische Schnitte und dezente Farben. Gründerin Mareen Burk hatte sich nach Jahren in der Modebranche eine Auszeit nur fürs Surfen genommen, in Kolumbien und Costa Rica. Sie sagt: "Ich habe ein Jahr lang ganz nah an der Natur gelebt. Als ich zurückkam, konnte ich nichts mehr machen, was mit 'Made in China' zu tun hat."

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mode
:Immer Ärger beim Baden - der Bikini wird 70

Seit Jahrzehnten erregt die Badeklamotte die Gemüter. Die Geschichte eines Kleidungsstücks, das erst zu wenig und dann plötzlich zu viel Stoff war.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: