Zweite Liga:Schlechte Stimmung trotz klarem Hertha-Heimsieg

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Dicke Luft trotz klarem Heimsieg: Die Zukunft von Hertha-Trainer Pal Dardai ist ungewiss. (Foto: Titgemeyer/Imago)

Die Berliner bezwingen zwar Schalke mit 5:2. Doch die Turbulenzen bleiben immens: Es verdichten sich die Anzeichen, dass der Vertrag mit Trainer Pal Dardai nicht verlängert wird. Dass einer seiner Söhne wechselt, ist schon fix.

Von Javier Cáceres, Berlin

Berlin hat zwei prominente ungarische Dirigenten für ebenso prominente Ensembles. Den großen Ivan Fischer, der im Konzerthaus am Gendarmenmarkt brilliert. Und den nach einer berühmten Selbsteinschätzung "kleinen Pal". Der große Ivan Fischer füllte seine Bude unter anderem am Wochenende mit Spätromantik. "Der kleine Pal", also Pal Dardai, schaffte es mit seiner Mannschaft am Sonntag, das Olympiastadion im Westend fast zu füllen (was allerdings auch daran lag, dass Schalke 04 zu Gast war).

Spätromantik? Nun: Im Konzerthaus lief "Also sprach Zarathustra" aus der Feder von Richard Strauss, dessen Ouvertüre man zuletzt im Film "Barbie" hörte und vor vielen Jahren im Filmklassiker "Odyssee im Weltraum". Strauss kam an: Fischer musste nach getaner Arbeit diverse Male zurück auf die Bühne, um Applaus entgegenzunehmen. Und Dardai? Der muss eine Odyssee durch einen andersartig mysteriösen Kosmos moderieren, die zweite Liga, die unvorhersehbarer ist als die Fantasiewelt, die "Odyssee im Weltraum"-Regisseur Stanley Kubrick geschaffen hat. Und nun zeichnet sich ab, dass sein zu Saisonende auslaufender Vertrag - Dardai unterschreibt traditionell Einjahresverträge - nicht verlängert wird.

Begabtester Dardai-Sohn verlässt die Berliner ablösefrei in Richtung Bundesliga

Dabei gab es am Sonntag sogar Anlass für eine positive Grundstimmung. Nach einer spektakulären ersten Hälfte, die 3:2 endete, siegte Hertha schließlich mit 5:2. Die Tore für die Berliner erzielten Haris Tabakovic (2./13.), Marten Winkler (39./56.) und Florian Niederlechner (75.); für Schalke traf zweimal Simon Terodde (5./27.). Für die Hertha-Fans war das eine Labsal. Weil ihnen Schalke 04 der liebste sportliche Feind ist, und der nun nur noch drei Punkte vom direkten Abstiegsplatz entfernt ist. Und weil es bei Hertha unter der Woche massiv geknirscht hatte - wegen eines 18-jährigen Profis, der seit Oktober nicht mehr gespielt hat. Sein Name: Dardai. Sein Vorname: Bence.

Es war bekannt geworden, dass der jüngste und wohl begabteste der drei Dardais im Hertha-Kader seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht verlängert und zur neuen Saison zum VfL Wolfsburg wechselt. Als das Kind sozusagen längst in den Mittellandkanal gefallen war, lobte Pal Dardai den Hertha-Sportdirektor Benjamin Weber dafür, dass er dem Spross "ein für Hertha-Verhältnisse maximales Angebot" vorgelegt habe. Dem Vernehmen war in dem Vertrag eine Klausel enthalten, die der klammen Hertha eine zwar kleine, aber immerhin siebenstellige Ablösesumme garantiert hätte.

Doch Bence Dardai schlug die Offerte aus - und wechselt nun also ablösefrei. Die Hertha erfuhr von dem Wechsel angeblich "aus den Medien", wie die Bild berichtete. Pal Dardai widersprach am Sonntag; es sei alles "sehr fair" verlaufen. Dem Vernehmen nach haben die Hertha-Bosse die Personalie aber als Affront verstanden.

Herthas US-Investor hätte sich wohl auf einen anderen Trainer gesetzt

Deren persönliche Enttäuschung über den Abschied von Dardai junior wurde auch dadurch potenziert, weil die Klub-Führung im Austausch mit dem Investor 777 Partners Dardai senior immer verteidigt hatte. Es gilt in Berlin längst als Binse, dass sich die US-Amerikaner niemals für den Ungarn als Trainer entschieden hätten. Und zum Jahresbeginn, als Hertha mit einem der teuersten Kader der zweiten Liga nach der mauen Vorrunde (acht Punkte Rückstand auf den direkten Aufstiegsplatz) auch den Start in die Rückrunde in den Sand gesetzt hatte, wurde intern die Frage aufgeworfen, ob Dardai bleiben solle oder seine dritte Amtszeit als Hertha-Trainer vorzeitig beendet wird.

Entsprechende Informationen, die der stets gut informierte Berliner Kicker-Korrespondent am Donnerstag veröffentlichte, werden aus berufenem Munde bestätigt. Gleichwohl fühlte sich Dardai dazu animiert, die Beobachter abzukanzeln: "Leute, die so etwas berichten, sollen sich einen anderen Verein suchen und über den berichten", sprach also Dardai, nicht Zarathustra.

Intern entzündete sich die Kritik an ihm vor allem daran, dass Hertha BSC in der laufenden Saison zu oft an taktischen Limitationen scheiterte. Der Mannschaft habe zu häufig ein Plan B gefehlt, zu oft wurden Vorsprünge aus der Hand gegeben. Wenn ein Fußballspiel nicht 90 Minuten dauern, sondern zur Halbzeit abgepfiffen würde, so stünde Hertha aktuell auf einem Aufstiegsplatz. Nach dem Sonntagssieg steht Hertha nun auf Rang neun, sieben Punkte hinter dem Relegationsplatz.

Gegen Schalke reicht der Vorsprung: Haris Tabakovic (links) macht hier den Auftakt zum 5:2-Sieg für Hertha BSC. (Foto: eu-images/Imago)

Herthas Verantwortliche machten mildernde Umstände geltend, und es gab sie objektiv auch. Der Absteiger hatte einen großen personellen Umbruch zu bewältigen, es gab die Unruhe durch die gerichtsnotorische Prügel-Affäre um Torwart Marius Gersbeck, die Mannschaft musste das neue Habitat zweite Liga erst einmal kennenlernen - und dann bot Dardai als Rekordspieler und Identifikationsfigur die perfekte Projektionsfläche für den sogenannten "Berliner Weg", den die Hertha beschreiten wollte.

Nun ist er ausgerechnet durch einen Dardai beschädigt, vor allem auch nach innen. Denn wenn schon der talentierteste Dardai-Filius nicht mehr an diesen Weg glaubt - was sollen da andere junge Talente wie Pascal Klemens oder Ibrahim Maza denken, die ebenfalls Lockrufe von Erstligisten vernommen haben sollen?

Wie lange er den Berliner Weg mitgehen werde, wurde Maza, 18, am Sonntag nach dem Schalke-Spiel gefragt, in dem er auffällig gut Regie führte. Seine Antwort ließ aufhorchen: "Das kann ich jetzt noch nicht sagen, das muss ich mit meiner Familie besprechen."

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