Volleyball:Erste Berliner Verunsicherung

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"Die Stimmung war abartig": Die Herrschinger Spieler, hier Eric Burggräf (vorne), und das Publikum in München hatten viel zu bejubeln. (Foto: Wolfgang Fehrmann/HMB-Media/Imago)

Bundesligist Herrsching zwingt die Übermannschaft aus der Hauptstadt in den fünften Satz, verfehlt aber den ersten Liga-Sieg gegen den deutschen Meister. Gefeiert wird trotzdem - auch wegen einer besonderen Serie.

Von Sebastian Winter

Wenn die Heimzuschauer stehen und jubeln, trotz einer Niederlage ihrer Mannschaft, dann muss es ein besonderer Abend gewesen sein. Der Abend am Montag im Münchner BMW Park dauerte exakt 121 Minuten, reine Spielzeit wohlgemerkt. Und er endete fast mit einer Premiere für Herrschings Volleyballer: Sie zwangen die Berlin Recycling Volleys, die Übermannschaft der vergangenen Jahre, in den fünften Satz; für den ersten Liga-Sieg überhaupt gegen den deutschen Meister fehlten beim 2:3 (19:25, 25;22, 16:25, 25:17, 12:15) nur ein paar Punkte.

Für den Tabellenstand hat sich Herrschings famose kämpferische Leistung ohnehin gelohnt, einen Punkt bekommen sie für den Einzug in den Tiebreak. Und auch wenn sich Leonard Graven, der Libero der WWK Volleys, nach Berlins verwandeltem Matchball vor Wut das Trikot über den Kopf zog und es am liebsten zerreißen wollte, bevor er die Werbebande mit Schlägen traktierte, bleiben eher die Worte von Herrschings Geschäftsführer Max Hauser hängen: "Die Stimmung war abartig", sagte Hauser. Das Spiel hätte in der Tat mehr als die 1200 Zuschauer verdient gehabt, die die Volleyball-Bundesliga später in ihrer Statistik angab.

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Für Herrschings Libero Ryan Manoogian, der mit den WWK Volleys am Samstag in die neue Erstligasaison startet, spielt die Lautstärke bei Spielen keine Rolle - der US-Zugang ist fast gehörlos. Fürs Trainerteam ist seine Behinderung "eine neue Facette".

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Die Herrschinger hatten ihre Heimspielstätte vor dem Anpfiff kurzerhand zum Tatort erklärt, jedenfalls zeigte ein kleines Video den König vom Ammersee in seiner roten Robe vor den Toren des BMW Parks, wie er einen "Mord" untersucht. Die Leiche: ein ziemlich platter Volleyball, pietätvoll verdeckt von einem blauen Tuch. Der Mörder: ein Müllcontainer, der rücksichtslos über den Ball gefahren war. Eine Anlehnung an das Entsorgungs-Unternehmen, das die Berlin Volleys seit vielen Jahren sponsert. "Witze über die Müllabfuhr machen, nix Besseres ist uns eingefallen", sagte der König alias DJ und Stimmungsmacher Alexander Tropschug dann noch. Tatsächlich hat man das in abgewandelter Form schon mal gesehen, bei Spielen gegen Berlin in der Herrschinger Nikolaushalle. Damals war er noch selbst aus einer Mülltonne geklettert, um seine Untertanen zu begrüßen.

Die mit den deutschen Nationalspielern Ruben Schott, Tobias Krick und Johannes Tille angereisten Volleys ließen die Slapstick-Einlage über sich ergehen - und gewannen den ersten Satz wegen ihrer besseren Aufschläge einigermaßen souverän. Federführend zeigte sich in dieser Phase Zuspieler Tille: Der frühere Herrschinger, der über die zweite französische Liga nach Berlin gewechselt war, dort inzwischen als unangefochtener Stammzuspieler reüssiert und die deutschen Männer Anfang Oktober zur Olympia-Qualifikation geführt hat, baute Berlins Vorsprung durch eine Aufschlagserie samt drei Assen auf 21:16 aus. Sein Bruder Ferdinand, Herrschings langjähriger Libero, der vor dieser Saison seine Profikarriere beendet hat, dürfte ihm auf der Tribüne heimlich auch ein wenig applaudiert haben. Auf dem Feld konnten jedenfalls weder Tilles Nachfolger Graven noch Ryan Manoogian, der fast gehörlose zweite Herrschinger Libero, der erstmals für längere Zeit auf dem Feld stand, die Berliner Wucht bremsen.

Herrschings Trainer Ranner heiratet am Freitag noch schnell in Braunschweig, die Mannschaft trainiert währenddessen

Wer nun aber dachte, es würde ein gemütlicher Abend für Berlin werden, der sah sich getäuscht. Die Herrschinger hielten vielmehr ihre starke Angriffsquote - und sie wurden im Block und in der Feldabwehr immer besser und gestalteten das Spiel ausgeglichen. Die Gäste begingen hingegen slapstickhafte Fehler: Der erfahrene Diagonalmann Marek Sotola sprang unter einem Zuspiel von Schott hindurch, ohne den Ball zu berühren; ein Berliner Angriff landete an der Antenne. Nach einem Block und einem Ass der Herrschinger stand es 22:19 für die Mannschaft von Trainer Thomas Ranner.

Wenig später kam es zu einer Szene, an die sich sein Gegenüber, Joel Banks, wohl noch lange erinnern wird. Berlins neuer Coach wechselte Zuspieler Tille für einen Diagonalspieler aus, hatte aber nicht bedacht, dass dies sein sechster und damit letztmöglicher Wechsel in diesem Satz sein würde - die Berliner mussten ihn nun ohne Tille beenden, der nach der taktischen Maßnahme wieder eingewechselt hätte werden sollen. Lange Diskussionen folgten, Berlin wirkte konsterniert - und verlor den Satz 22:25. "Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas schon mal passiert ist. Das wird ihn noch eine ganze Zeit verfolgen", sagte Ranner in Richtung des Kollegen.

Im dritten Satz zeigte sich Berlin wieder von seiner besseren Seite, im vierten Satz sah sich der Favorit beim Stand von 16:13 bereits schon kurz vor dem Sieg. Doch dann folgte der nächste Höhepunkt des Abends: Er hieß Filip John. Herrschings Diagonalangreifer, der spätere MVP, schritt zum Aufschlag, ausgerechnet John, der später sagte, "mental gar nicht so gut drauf gewesen zu sein", weil er im Angriff zuvor geschwächelt hatte. Dann machte er den ersten Aufschlag: Punkt. Den zweiten: Punkt. Den dritten: Punkt. Den vierten: Punkt. Den fünften: Ass. Den sechsten: Punkt. Den siebten: Ass - auf den Rücken von Schott. So ging diese unglaubliche Serie weiter, Herrsching gelangen elf Punkte in Serie, bis zum 24:16. Gegen Berlin! Und wie schon Berlins Wechselfehler war es für Ranner etwas, "das ich im Männervolleyball bislang so noch nicht gesehen habe". Herrsching hatte urplötzlich acht Satzbälle - und verwandelte gleich den zweiten. Zum Sieg aber reichte es dann doch nicht ganz.

Der Berliner Tross dürfte am Dienstagmorgen einigermaßen gerädert in die Hauptstadt zurückgekehrt sein, nicht nur wegen der nächtlichen Busfahrt. Die Herrschinger aber gingen beseelt nach Hause, trotz des verlorenen Tiebreaks. Und im Bewusstsein, dass es bei weitem noch kein perfektes Spiel war. "Wir stehen systematisch noch am Anfang", sagte Trainer Ranner.

Am Dienstag brachen sie in Richtung Schüttorf auf, in den hohen Norden, der Zweitligist empfängt sie am Mittwoch zum Pokal-Achtelfinale. Es ist nur der Auftakt von drei Auswärtsspielen in Serie, die Ligaspiele in Giesen und Königs Wusterhausen folgen. Eine Woche sind die Herrschinger nun unterwegs, ohne heimzukehren. Und für Ranner folgt zwischendurch der nächste, sehr persönliche Höhepunkt: seine eigene Hochzeit, am Freitag, in Braunschweig. Für die Mannschaft hat er während des Sektempfangs Training angesetzt - damit sie ja nicht auf dumme Gedanken kommt.

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