Volleyball:Der Lippenleser

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Jubelt schon vor dem Saisonstart: Herrschings Libero Ryan Manoogian (re.), hier mit seinen Kollegen im Testspiel gegen den TSV Haching München. (Foto: Steffen Eirich)

Für Herrschings Libero Ryan Manoogian, der mit den WWK Volleys am Samstag in die neue Erstligasaison startet, spielt die Lautstärke bei Spielen keine Rolle - der US-Zugang ist fast gehörlos. Fürs Trainerteam ist seine Behinderung "eine neue Facette".

Von Katrin Freiburghaus

Fünf Sekunden aus der Saisonvorbereitung der WWK Volleys Herrsching fassen gut zusammen, was Ryan Manoogian für ein Spielertyp ist. Gegen Testspielgegner Amriswil rannte der neue Libero der bayerischen Erstliga-Volleyballer ohne Rücksicht auf Verluste einem Ball nach, der weit neben dem Feld eigentlich unerreichbar durch die Luft flog. Während das Trainerteam schon erschrocken die Hände vor die Augen schlug, stolperte er und versuchte noch im Fallen, die Arme an den Ball zu bekommen. "Hab den Stuhl gar nicht gesehen", sagte er später lachend. Natürlich nicht. Wenn Manoogian einem Ball nachjagt, sieht er: den Ball.

Herrschings Coach Thomas Ranner beschreibt den Kalifornier als superquirligen Fighter", Geschäftsführer Max Hauser sagt: "brodelnder Vulkan, vor allem in der Abwehr sehr stark". Manoogian sei mit Jetlag aus dem Flieger gestiegen und sofort zum Training, sagt Hauser, "und ab dem Moment, ab dem er in der Halle war, war Stimmung". Letzteres ist auch deshalb bemerkenswert, weil Manoogian von dieser Stimmung selbst so gut wie nichts hört. Der 30-Jährige ist von Geburt an nahezu gehörlos. Er verwendet spezielle Hörgeräte, ist bei der Kommunikation aber darauf angewiesen, von den Lippen seiner Gesprächspartner abzulesen.

In einer Familie voller Hörender wuchs er nicht mit Gebärdensprache auf, sondern erhielt von seinem dritten Lebensjahr an Sprechunterricht. "Für mich war es wichtig, sprechen zu lernen und das Hören mit meinem Hörgerät zu üben, um mit der hörenden Welt um mich herum kommunizieren zu können", sagt er. Auf dem Spielfeld verlässt er sich auf die Körpersprache seiner Mitspieler und abgesprochene Kommandos, spontane verbale Absprachen findet er überbewertet. Gebärdensprache lernte er erst, als er für das US-Nationalteam der Gehörlosen nominiert wurde - dort sind seine Hörhilfen verboten. "Wenn niemand hört, ist es eine komplett andere Art, Volleyball zu spielen", sagt er.

In Herrsching fällt Manoogian dagegen weniger aus der Rolle, als man womöglich annehmen würde. "Wenn man die Lippen nicht ordentlich bewegt, gibt es manchmal Missverständnisse", sagt Hauser, "aber die gibt's mit anderen auch." Für Ranner ist Manoogians Hörbehinderung "sicher eine neue Facette", er müsse sich aber generell auf jeden Spieler einstellen. Ob das ein bisschen mehr Zeit im direkten Austausch oder etwas anderes sei, spiele eine untergeordnete Rolle. "Er ist ja auch keine 18 mehr, sondern lebt im Sport schon lange damit", sagt Ranner, "und ich glaube, dass es auch vielen hörenden Athleten gut täte, wenn man sich intensiver ins Feedback begeben würde, statt Dinge nur so dahinzusagen."

Manoogian mag es, explizit als gehörloser Sportler wahrgenommen zu werden, "weil ich Leuten zeigen möchte, dass sie es trotz einer Behinderung schaffen können".

Die Oberbayern waren mit Libero Lenny Graven, einem der größten deutschen Talente, bereits gut besetzt, als sich Manoogian im Juli selbst bei Max Hauser meldete - und nicht mehr locker ließ, bis er im Flieger saß. Und das, obwohl die Backup-Rolle auf seiner siebten Station im sechsten europäischen Land kein sportlicher Fortschritt für ihn ist. Mit seinem letzten Klub, Fonte do Bastardo aus Portugal, wurde er Dritter des europäischen Challenge-Cups. Auf seiner Tour von Ungarn bis Norwegen heimste er zudem eine Reihe individueller Auszeichnungen ein. Für Spieler ohne EU-Staatsbürgerschaft sind Engagements in Europa allerdings mit erheblichem bürokratischen Aufwand für die Klubs verbunden, weshalb sich andere Optionen im Sommer zerschlugen. "Die Jahre als Profi in Europa haben mich zu einer besseren Version von mir gemacht", sagt Manoogian. Er sei deshalb dankbar für die Last-Minute-Chance, die sich für diese Saison in Herrsching bot. Der ehemalige Herrschinger Jalen Penrose habe ihm den Klub "als coolsten Verein der Welt" empfohlen. Am Samstag in Karlsruhe steht der erste Einsatz an.

Dass er überhaupt Profi wurde, verdankt Manoogian seinem Vorbild David Smith. Volleyball sei von Anfang an sein Sport gewesen, sagt er, daran geglaubt, es auch gehörlos zum Leistungssportler bringen zu können, habe er hingegen erst, als er den US-Mittelblocker im Fernsehen sah. "Der spielte im Nationalteam und hatte Hörgeräte - genau wie ich!", sagt er. Manoogian mag es, explizit als gehörloser Sportler wahrgenommen zu werden, "weil ich Leuten zeigen möchte, dass sie es trotz einer Behinderung schaffen können".

Er habe sich in seiner sportlichen Karriere nie eingeschränkt gefühlt, räumt jedoch ein, "dass das komplett anders wäre, wenn ich einen normalen Job finden wollte". Sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten, sei "extrem schwierig, weil es Hörenden oft zu anstrengend erscheint, sich auf die Kommunikation mit Gehörlosen einzulassen".

Manoogian ist damit auch eine Erinnerung daran, was Sport im Idealfall sein kann: ein bisschen mehr Brücke als Grenze, ein bisschen besser, ein bisschen inklusiver als die Gesamtgesellschaft.

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