Turnier in Stuttgart:Popcorn-Tennis statt Power-Tennis

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Mit Zauberhändchen: Ons Jabeur kann einen Aufschlagreturn auch als unerreichbaren Stoppball spielen. (Foto: Angelika Warmuth/Reuters)

Früher dominierte Serena Williams ihre Sportart, war weltbekannt. Nun fehlt die alles überstrahlende Spielerin - doch Vielfalt und Attraktivität sind deutlich gestiegen.

Von Barbara Klimke, Stuttgart

Es war spät geworden. Die letzten Zuschauer hatten die Halle verlassen, abgedimmtes Scheinwerferlicht schweifte durch die Stuttgarter Arena wie durch ein Filmtheater, als die Tunesierin Ons Jabeur, 28, den Abend noch einmal Revue passieren ließ. Sie war in der Schlussvorstellung aufgetreten, in einem Tenniskrimi in drei Akten gegen Jelena Ostapenko: die Finalistin des vorjährigen Wimbledon- und US-Open-Turniers gegen die French-Open-Siegerin von 2017. Die Zuschauer hatten Jabeur schon fast abgeschrieben, ehe sie weit nach 22 Uhr doch noch triumphierte - 1:6, 7:5, 6:3. Davor hatten sich zwei Grand-Slam-Siegerinnen auf dem Court duelliert. So eine Doppelvorstellung, sagte Jabeur, sehe man nicht alle Tage - schon gar nicht in der zweiten Runde eines Tennisturniers. Ihr Rat ans Publikum? "Zurücklehnen, zuschauen - und dazu Popcorn!"

Das hochklassige Unterhaltungsprogramm, mit oder ohne Popcorn, hatte sogar schon als Nachmittagsvorstellung begonnen. In den fünf Matches am Mittwoch traten nicht weniger als vier Major-Siegerinnen auf (Ostapenko, Krejcikova, Sabalenka, Rybakina). Am Donnerstag feierte dann die Weltranglistenerste Iga Swiatek ihren Einstand, die sich mit 6:1, 6:4 über Chinas Spitzenspielerin Qinwen Zheng fürs Viertelfinale qualifizierte.

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"Jeder dieser Zweikämpfe wäre eines Halbfinals oder Endspiels würdig gewesen", sagte Jabeur, die beste Tennisspielerin der arabischen Welt, das sei das Schöne am Stuttgarter Turnier: Acht Akteurinnen aus den Top Ten des Rankings sind vertreten, Jung-Stars fordern Ex-Champions, Aufschlagspezialistinnen treffen auf Konterspielerinnen. Auf der Stuttgarter Bühne, sagt Ons Jabeur, "steht man vom ersten Ballwechsel an unter Druck".

Eine Hollywoodbesetzung, so würde man ein solches Aufgebot in der Filmbranche nennen. Das Problem in der Tennissparte der Frauen besteht allerdings darin, dass sich der Wiedererkennungswert der weltbesten Racket-Schwingerinnen außerhalb der interessierten Szene derzeit eher in Grenzen hält. Zwei Jahrzehnte lang hatte vor allem eine Spielerin, die 23-malige Grand-Slam-Siegerin Serena Williams, mit ihrem Powertennis das Bild der Sportart dominiert. Nun wird ein Mosaik sichtbar: Viele exzellente Protagonistinnen sind an die Stelle der einen US-amerikanischen Filzball-Dominatorin getreten, das Tennisspiel hat sich gewandelt, ist taktisch-technisch variabler, attraktiver geworden.

Akteurinnen wie Ons Jabeur, die einen knüppelharten gegnerischen Aufschlag mit Raffinesse - einem Stoppball - entschärfen können, haben jetzt eine Titelchance. Eine beherrschende Persönlichkeit aber fehlt: Seit Serena Williams' letztem Sieg bei den Australien Open 2017 hatte vier Jahre lang keine Spielerin mehr jeweils zwei Grand-Slam-Trophäen pro Saison erobern können - bis sich zuletzt Iga Swiatek zur Dauersiegerin aufschwang und 2022 sowohl die French Open als auch die US Open gewann.

"Im Prinzip sind wir sogar stärker besetzt als ein Grand Slam", sagt Turnierdirektor Günthardt

Das Stuttgarter Porsche-Grand-Prix-Turnier bietet eine kompakte Bühne für diese Vielfalt, ein Theater für Talente aus aller Welt. Profis jenseits der Weltranglistenposition 25 haben in diesem Jahr keine Aufnahme mehr ins Hauptfeld gefunden; es sei denn, der Veranstalter hat ihnen wie im Falle von Tatjana Maria, die am Donnerstag als letzte Deutsche gegen die Weltranglistenfünfte Caroline Garcia verlor, eine Wild Card spendiert. "Im Prinzip sind wir sogar stärker besetzt als ein Grand Slam", sagt Turnierdirektor Markus Günthardt: "Bei uns ist die Nummer zehn der Welt nicht gesetzt, kann also schon in der ersten Runde auf die Nummer fünf treffen. Das gibt es bei keinem anderen Turnier."

Dass die Besten sich diesem harten Wettkampf trotzdem aussetzen, obwohl das Turnier nicht in die höchstdotierte Kategorie fällt, ist laut Günthardt dem schwäbischen Wohlfühlklima zu verdanken: Die Spielerinnen wohnen im Hotel neben der Arena, können mit ein paar Schritten bequem die fünf Trainingscourts erreichen, Betreuerstab, Trainer und Familien werden ebenfalls umsorgt. Dazu gibt einen schmucken Sportwagen zu gewinnen, laut Günthardt "der schönste Pokal der Welt".

Noch wichtiger als die PS für die Siegerin ist aber vermutlich der Termin im Turnierkalender. Der Stuttgarter Grand Prix ist das erste Sandplatzturnier im Jahr, der Auftakt zur Frühjahrssaison, mit einem Court, der den Abmessungen der French Open in Paris entspricht. Und, sehr wichtig für die Jahreszeit, sagt Günthardt: "Wir haben ein Dach."

Aryna Sabalenka aus Belarus, die Siegerin der Australian Open 2023, die zum Auftakt die Kollegin Barbora Krejcikova aus Tschechien, Siegerin der French Open 2021, aus dem Turnier warf, schätzt besonders die harte Rivalität auf dem Sandplatzcourt: "Es ist eine tolle Vorbereitung für die großen Turniere, wenn man hier sofort stark gefordert ist", sagte sie: "Es schärft die Konzentration von Anfang an. Man kämpft um jeden Punkt." Popcorn-Tennis, würde Ons Jabeur sagen.

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