Emma Raducanu in Stuttgart:Sie sucht ihren Platz in der Spitze

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Auch in Stuttgart ohne Fortune: Emma Raducanu verliert in der ersten Runde. (Foto: Angelika Warmuth/Reuters)

2021 gewann Emma Raducanu überraschend die US Open, in ihrer Heimat wurde sie eine der bekanntesten Einzelsportlerinnen. Nun steht die Britin auf Platz 68 der Weltrangliste und kämpft gegen Verletzungen und die Erwartungen der Öffentlichkeit.

Von Barbara Klimke, Stuttgart

Kürzlich hat Emma Raducanu alle Gardinen zugezogen, Fenster geschlossen und Türen verriegelt. Ein langes Treppauf, Treppab ist gar nicht nötig gewesen. Wer heute die Jalousien herunterrattern lassen will, um die neugierige Öffentlichkeit auszusperren, braucht bloß übers Handy zu wischen. Mit einer Handbewegung löschte Emma Raducanu nach den Australian Open im Januar Instagram und Whatsapp von ihrem Mobiltelefon - schon waren 2,5 Millionen Augenpaare weg.

Sie habe gelernt, dass sie in der Social-Media-Welt für manche Menschen immer eine Angriffsfläche biete, egal wie sie sich verhalte, sagte sie danach. Dass ihr Tennisspiel derzeit einiges zu wünschen übrig lässt, weiß sie selbst. Das müssen ihr nicht Wildfremde unter die Nase reiben.

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In den dreieinhalb Monaten seit Jahresanfang hat Emma Raducanu, die US-Open-Siegerin des Jahres 2021, zehn Matches gespielt: fünf gewonnen, fünf verloren. Eine Tendenz, die nun auch zu Beginn der Sandplatzsaison in Stuttgart eine Fortsetzung gefunden hat: Zum Auftakt des mit 780 637 US-Dollar dotierten Weltklassehallenturniers unterlag Raducanu, 20, einer anderen ehemaligen Grand-Slam-Sieger, der fünf Jahre älteren Lettin Jelena Ostapenko 2:6, 1:6. Das Duell war so einseitig, wie das Ergebnis klingt. Raducanu, selbst zu Powertennis fähig, wurde von der Wucht der aggressiven Vorhandschläge Ostapenkos mit Schmackes vom Platz gefegt. In den sieben gegnerischen Aufschlagsspielen gelangen ihr nur sieben Pünktchen. Dass sie nur 55 Prozent ihrer eigenen ersten Aufschläge übers Netz brachte, war ein selbstverschuldetes Handicap. Weit eklatanter wirkte der Mangel an Wettkampfpraxis, der einer Verletzung an der Schlaghand zuzuschreiben ist.

Das schmerzende rechte Handgelenk quält sie seit Monaten. Beim vorherigen Turnier, nach einer Erstrundenniederlage in Miami, deutete Raducanu an, dass sie Spezialisten konsultieren werde, um die Heilung voranzutreiben. "Die derzeitigen Lösungen beheben das Problem nicht dauerhaft", sagte sie in Florida, ohne die Verletzung näher zu beschreiben. Danach legte sie eine dreiwöchige Spielpause ein und verzichtete auf den Einsatz im englischen Nationalteam beim Billie-Jean-King-Cup, um das Handgelenk beim Wechsel vom Hart- zum Sandplatz nicht weiter zu strapazieren, "auf ärztlichen Rat", wie sie sagte.

Englands Boulevardmedien errechnen, wie viel Tausende Pfund sie an dem Ohrläppchen trägt

In den 19 Monaten seit den fantastischen Herbstwochen von New York, als sich die Londoner Abiturientin frisch von der Schule als erste Qualifikantin in der Geschichte der Grand-Slam-Turniere den Titel von Flushing Meadow angelte, hat sie eine Reihe körperlicher Malaisen durchlebt. Mal schmerzte die Hüfte, mal der Fuß, mal der Arm. Kürzlich zog sie sich auch noch eine Mandelentzündung zu.

Die Erkenntnis, dass sie ihren eher schmalen Körper stählen müsse für die kraftraubenden Strapazen der Tennistour, führte zur Verpflichtung des Fitnessexperten Jaz Green, der zuvor Andy Murray und Alexander Zverev Muskeln antrainiert hatte. Ohnehin war ein ständiges Kommen und Gehen im Team Raducanu zu beobachten: Der Deutsche Sebastian Sachs, der früher mit der Schweizer Olympiasiegerin Belinda Bencic arbeitete, steht seit Dezember an der Seitenlinie. Er ist seit dem US-Open-Triumph bereits Raducanus fünfter Coach.

Diese Unstetigkeit kennzeichnet Emma Raducanus kurze Profilaufbahn, und wann immer ihre Ergebnisse wenig Gesprächsstoff lieferten, hat sich die Öffentlichkeit, zumal in England, umso mehr für die Nebensächlichkeiten interessiert. Emma Raducanu, die derzeit wohl berühmteste Einzelsportlerin der Insel, wie die Times schrieb, hat neun Sponsorenverträge; und wenn sie, wie vergangenes Jahr in Wimbledon, für Tiffany wirbt, rechnen die Boulevardmedien dem Publikum vor, wie viel Tausende Pfund Sterling sie an den Ohrläppchen trägt. Auch beim Porsche-Grand Prix in Stuttgart ist sie Markenbotschafterin.

Sie hatte es diesmal einer Wildcard zu verdanken, dass sie einen Platz im Hauptfeld des Turniers erhielt, denn derzeit steht Englands Beste nur auf Platz 68 der Welt. Allzu leicht wird allerdings vergessen, dass sie tatsächlich erst ihre zweite vollständige Sandplatzsaison als Profi spielt. Vor 19 Monaten schoss sie wie ein Satellit in den Sternenhimmel, und nicht selten braucht es eine Weile, bis ein Flugobjekt in diesen Sphären seine feste Umlaufbahn findet. Jelena Ostapenko, die 2017 ebenfalls wie aus dem Nichts die French Open gewonnen hatte, war drei Jahre später zwischenzeitlich auf Platz 44 abgesackt.

Emma Raducanu hat jetzt also erst mal ein paar Nebengeräusche am Handy ausgeschaltet. Und "etwas hinterm Mond zu leben", wie sie es ausdrückt, findet sie gar nicht so unangenehm.

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