Wolfsburg empfängt den FC Bayern:Ende der Flitterwochen

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2009 zerlegten Grafite und Edin Dzeko die Bayern - vor dem Heimspiel gegen die Münchner sucht Wolfsburgs Sturmpaar nach Gemeinsamkeiten.

Claudio Catuogno

Dieses Spiel, dieses Tor. "Ich werde es immer im Kopf behalten", sagt Grafite, 30, der Stürmer des VfL Wolfsburg. Den Spurt vorbei am verdatterten Ottl, die Finte zwischen Ottl und Lell hindurch, den Zwischenschritt, welcher den Torhüter Rensing ins Leere springen ließ. Grafite kann diesen Treffer in seinem Kopf vor und zurück spulen wie einen Videoschnipsel, "unbeschreiblich" findet er ihn auch heute noch, zehn Monate danach. Dass er sich das wirklich getraut hat! Diesen Hackentrick über die Linie am Schluss seines Sololaufs, das spätere "Tor des Jahres", jenes 5:1, das im April 2009 um den bereits fachmännisch zerlegten FC Bayern noch ein grellbuntes Schleifchen schnürte.

Einer gegen alle: Grafite (links) erzielt in der vergangenen Saison sein Traumtor. (Foto: Foto: dpa)

Vielleicht wäre es besser, ahnt Lorenz-Günther Köstner, 58, wenn Grafite nicht so oft daran erinnert würde in diesen Tagen. Dann müsste er jetzt nicht schwärmerisch und mit glänzenden Augen versprechen, "alles zu geben, um so ein Tor noch mal zu machen". Köstner, dem Interimstrainer des VfL, wäre schon geholfen, würde Grafite überhaupt mal wieder eins machen, ein Tor.

Aber es sind derzeit Nostalgie-Tage in Wolfsburg, wo der Meister am Samstag erstmals seit jener Demütigung wieder den FC Bayern zu Gast hat. Und es sind Tage der Wehmut. Dzeko-Grafite, Grafite-Dzeko, nie war ja die Effizienzpartnerschaft der beiden VfL-Angreifer plakativer vorgeführt worden als letzten April gegen die Bayern: Der Bosnier Edin Dzeko erzielte das 2:1 und das 3:1, der Brasilianer Grafite das 4:1 und das 5:1.

Dieses Spiel, es war wie der Anfang von allem: Jürgen Klinsmann wurde bald in München entlassen, der VW-Klub Meister, Felix Magath Stadtheiliger von Wolfsburg. Dzeko und Grafite übertrafen mit 54 Saisontoren den Rekord von Gerd Müller und Uli Hoeneß aus der Altsteinzeit.

Und heute? Kommt einem das VfL-Sturmduo vor wie ein altes Ehepaar, welches rückblickend feststellt, das Schönste in all den Jahren sei der Champagnerempfang vor dem Standesamt gewesen. Vielleicht noch die Flitterwochen. Ab dann: nicht mehr viel Gemeinsamkeit.

"Dieses Spiel hat damals für Aufsehen gesorgt", sagt Köstner, "aber das ist Vergangenheit." Die Vorzeichen sind am Samstag schon deshalb andere, "weil damals Unruhe in der Bayern-Elf war, das ist heute nicht mehr so". Heute hat Köstner die Unruhe im eigenen Haus.

Wobei Edin Dzeko, 23, noch das kleinste Problem ist: Der Bosnier hat in der Rückrunde gegen Stuttgart (1:3) und Hamburg (1:1) schon wieder zwei Ausnahme-Tore erzielt, seine Saisontreffer acht und neun. Bei seinem Wunschverein AC Mailand hält man ihn weiterhin für einen künftigen Weltstar, weshalb das Fachblatt Tuttosport auch fast wöchentlich Indizien zusammenträgt, ob und wann er nun wechselt zum italienischen Tabellenzweiten.

Dabei stehen die Details in seinem bis 2013 verlängerten Arbeitsvertrag - in Form einer Ausstiegsklausel. Die Ablöse von angeblich 40 Millionen Euro könnte den Italienern allerdings eine Spur zu exklusiv ausfallen, "etwas Hoffnung" hat der neue VfL-Geschäftsführer Dieter Hoeneß deshalb noch, dass Dzeko seinen Reifeprozess längerfristig in Niedersachsen fortsetzt. Im Zweifel auch ohne kongenialen Partner.

Denn die Bemühungen von Grafite stehen seit Monten in starkem Kontrast zu jener Gehaltserhöhung, welche der inzwischen entlassene Armin Veh im Sommer leicht spöttisch "den grassierenden Meisteraufschlag" nannte. Erst fünf Mal hat Grafite bisher in der Liga getroffen, davon zweimal vom Elfmeterpunkt. Doch erst jetzt, unter Lorenz-Günther Köstners Anleitung, wird sich wohl erweisen, wie viel der Trainer Veh seinerseits beigetragen hat zur Krise seines Torschützenkönigs - durch seine Bemühungen, das taktische Portfolio des Meisters um schickes Kurzpassspiel zu erweitern.

Statt den Ball, wie noch unter Felix Magath üblich, zügig per Luftpost Richtung gegnerischen Strafraum zu schicken, lehrte Veh den Charme der Schleichwege durchs Mittelfeld. Und vom Prinzip her sei "diese Taktik schon sehr gut gewesen", versichert Grafite. Bloß eben kontraproduktiv. "Edin und ich, wir sind andere Stürmer: Wir brauchen die langen Bälle, wir leben von der Geschwindigkeit."

Dass Köstner nun vor allem an der mannschaftlichen Stabilität arbeitet ("Erst aus einer guten Defensive baut sich eine gute Offensive auf") und wieder verstärkt auf Konter setzt - es muss kein Nachteil sein für Grafite.

Was Dzeko an Finesse mitbrachte, hatte Grafite im Zweifel durch Wucht, Dreistigkeit und Ellbogeneinsatz ausgeglichen. In Armin Vehs Kleinklein-Betrieb war das aber kaum noch möglich, weshalb der Brasilianer technisch stark limitiert wirkte. Was Edin Dzeko wiederum veranlasste, den einstigen Partner nicht mehr so häufig anzuspielen; lieber drosch er den Ball selbst übers Tor. Auch das: "Vergangenheit", hofft Köstner. Hackentricktore will er am Samstag nicht sehen.

© SZ vom 06.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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