Vor der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt steht seit 2006 ein überdimensionaler, begehbarer Fußball. Es ist ein Relikt von der WM der Männer, und jeder, der den Verband nahe der Frankfurter Fußball-Arena besucht, wird also daran erinnert, welch kollektive Endorphin-Ausschüttung so eine Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland bewirken kann.
Frauen-WM: Einzelkritik:Endlos traurige Wackelkasper
Inka Grings bekommt eine böse Abfuhr, Célia Okoyino da Mbabi muss weiterhin "Frau Neid" sagen, Lena Gößling tut niemandem weh, Saskia Bartusiak guckt sich die Chaos-Grätsche bei ihrer Abwehrkollegin ab und Melanie Behringer flankt, flankt, flankt. Die deutsche Elf beim 0:1 gegen Japan in der Einzelkritik.
DFB-Präsident Theo Zwanziger geht auf dem Weg zur Arbeit jedes Mal an diesem Riesenfußball vorbei, doch er braucht diese Gedächtnisstütze überhaupt nicht. Er weiß auch so, dass der Fußball eine besondere Anziehungskraft besitzt. Auch für eine seiner höchsten Angestellten, die sich in den vergangenen Tagen mit Abschiedsgedanken getragen hatte.
Auf die Vorstellung aber, auf Silvia Neid als Bundestrainerin künftig verzichten zu müssen, wollte sich der Verbandspräsident gar nicht erst einlassen. Wenige Tage vor der WM hatte Zwanziger den Vertrag mit Neid demonstrativ um weitere drei Jahre bis 2016 verlängert, auch nach dem vorzeitigen Ausscheiden des Titelverteidigers änderte sich nichts an seiner Überzeugung, die richtige Frau für den Auswahl-Posten zu haben.
"Silvia Neid ist DFB, da gibt es gar nichts anderes", hatte Zwanziger am Dienstag der ARD gesagt: "Das ist meine Trainerin, ich werde sie nicht so einfach gehen lassen, wenn sie auf einen solchen Gedanken kommen sollte."
Um Silvia Neid erst gar nicht in weitere Grübeleien geraten zu lassen, hat der DFB am Mittwoch gehandelt. Nach einem Gespräch mit Zwanziger und DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach konnte der Verband am frühen Abend die für ihn beruhigende Nachricht verbreiten: Silvia Neid bleibt Trainerin der Frauen-Nationalmannschaft, sie will ihren Vertrag erfüllen. "Nach dem auch für mich enttäuschenden Abschneiden bei der WM brauchte ich ein paar Tage zum Nachdenken", hieß es in der DFB-Meldung.
Nach dem Viertelfinal-Aus der deutschen Fußballerinnen gegen Japan (0:1) am vergangenen Sonntag war mitten in die Enttäuschung hinein eine hitzige Diskussion über die Trainerin aufgekommen. Von Tag zu Tag aber mehrten sich die Stimmen, die Neid dazu bewegen wollten, jetzt nicht überstürzt auszusteigen. Dieses Echo spiegelte sich auch in der DFB-Botschaft wieder: "Der große Zuspruch meiner Mannschaft" und das Vertrauen des DFB seien "der entscheidende Antrieb weiterzumachen", ließ Neid verbreiten.
Im einem Interview mit der SZ (Mittwochsausgabe vom 13.7.) hatte Silvia Neid noch nachdenklich gewirkt und gesagt: "In so einem Moment, der so heftig und bitter ist, muss man alles in Frage stellen, auch ich mich selbst." Sie brauche jetzt etwas Abstand, meinte die 47-Jährige, für die mit dem Scheitern bei der Weltmeisterschaft "ein Traum zerplatzt" sei. Die offenbar ungelöste Frage, wie Mannschaft und Verantwortliche mit dem Erwartungsdruck bei dieser Heim-WM richtig umgehen, sei "wohl der Knackpunkt" gewesen.
Am Mittwochabend wollte sich Neid zunächst das Halbfinalspiel zwischen Schweden und Japan in Frankfurt ansehen, bevor sie auch am Sonntag zum Endspiel in der Arena sein will. "Wenn dann ein paar Wochen vergangen sind, werde ich für mich wissen, was ich dem Frauenfußball noch geben kann", hatte Neid im SZ-Interview erklärt.
Frauen-WM: Einzelkritik:Endlos traurige Wackelkasper
Inka Grings bekommt eine böse Abfuhr, Célia Okoyino da Mbabi muss weiterhin "Frau Neid" sagen, Lena Gößling tut niemandem weh, Saskia Bartusiak guckt sich die Chaos-Grätsche bei ihrer Abwehrkollegin ab und Melanie Behringer flankt, flankt, flankt. Die deutsche Elf beim 0:1 gegen Japan in der Einzelkritik.
Die direkt Beteiligten aber wollten gar nicht viel Zeit verstreichen lassen, um die aufgekommene Debatte um einen Rücktritt schnell wieder einzufangen. Mehr und mehr Nationalspielerinnen, die Neid als Trainerin behalten wollen, meldeten sich öffentlich zu Wort. Stürmerin Inka Grings und Verteidigerin Linda Bresonik sagten der Nachrichtenagentur dpa, überhaupt kein Verständnis für die Trainerdiskussion zu haben: "Ich könnte nicht verstehen, wenn sie zurücktreten würde", sagte Bresonik.
Neid allein die Schuld zu geben, wäre "fatal und vereinfacht", meinte die 27-Jährige. "Wir haben alle Fehler gemacht. Aber deshalb können wir doch jetzt nicht alle aufhören, Fußball zu spielen." Auch Grings zeigte sich "verwundert" darüber, dass die Bundestrainerin so heftig angegangen wurde und deshalb über Rücktritt nachdachte: "Für uns alle ist es keine einfache Situation, und wir müssen auch mit Kritik klarkommen. Natürlich steht sie als Trainerin besonders im Fokus, aber das Leben geht weiter", sagte die 32-Jährige.
Am Mittwochmorgen hatte sich auch Nationaltorhüterin Nadine Angerer zu Wort gemeldet. Einen Rücktritt von Silvia Neid halte sie für "Blödsinn", sagte sie der Bild-Zeitung. "Man kann unsere Niederlage doch nicht nur an der Trainerin festmachen", fügte sie an, "jeder trägt eine Teilschuld. Ich hoffe, dass Silv' bleibt." Sich selbst nahm Angerer dabei nicht aus.
Beim entscheidenden Gegentor in der Verlängerung habe sie "unglücklich" ausgesehen. Nadine Angerer gehört zu der Reihe älterer Nationalspielerinnen, deren Karriereplanung durch die verpasste Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 durcheinandergeraten ist. Neid hat angekündigt, diese erfahrenen Spielerinnen halten und mit ihnen über ihre Pläne sprechen zu wollen, sobald jede Einzelne etwas Ruhe gefunden hätte. Als eine der ersten hat Angerer den Entschluss gefasst, weiterspielen zu wollen: "Wir haben ein neues Ziel: die EM 2013 in Schweden."
Die Qualifikation für die nächste Frauenfußball-Europameisterschaft beginnt am 17. September mit einem Länderspiel gegen die Schweiz. Als weitere Gegner erwartet die deutsche Mannschaft, die auch in diesem Wettbewerb als Titelverteidiger antritt, die Mannschaften aus Spanien, Rumänien, Kasachstan und der Türkei. Rund zwei Monate bleiben dem DFB also, um aus den Fehlern dieser WM zu lernen und die Frauenfußball-Nationalelf neu zu sortieren.
"Nur weil es jetzt einmal nicht so wie von uns allen erhofft funktioniert hat, kann der DFB jetzt doch nicht ernsthaft die Frage stellen, ob die Welttrainerin des Jahres 2010 noch gut genug für ihn ist", hatte DFB-Chef Theo Zwanziger erklärt. Die DFB-Botschaft, das Silvia Neid weitermacht, enthielt den Satz: "Das ist eine gute Nachricht für den Frauenfußball."