WM 2010: Presseschau:Brasilianische Effizienz

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Nach dem souveränen 3:0-Sieg Brasiliens über Chile ist sich die Presse in der Bewertung der Selecao uneins. Blogger diskutieren, wie Roberto Rosettis Gesicht Bände über die Fifa-Politik spricht.

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"Brasiliens Ballstafetten im Mittelfeld wirkten, als kickten ein paar Rentner nach Feierabend im Sand der Copacabana", urteilt Tim Jürgens vom Tagesspiegel über die 3:0-Leistung von Kaka und Co. gegen Chile. (Foto: ap)

Paul Wilson (Guardian) ist bereit, sich begeistern zu lassen: "Brasilien zeigte sich unbändig in diesem Spiel, lehnte sich trotz eines Drei-Tore-Vorsprungs nicht zurück und gab Kostproben der berühmten Angriffsvirtuosität, von der es doch hieß, Dunga hätte sie erstickt. Wenn sie müssen, können sie es. Gegen ein bereits zur Halbzeit geschlagenes Chile, spielten die Brasilianer die zweite Halbzeit mit angezogener Handbremse, in dem Wissen, dass jetzt größere Brocken warten."

Weniger Ballkunst, dafür erhöhte Kaltschnäuzigkeit sieht Tim Jürgens (Tagesspiegel): "Brasiliens Ballstafetten im Mittelfeld wirkten, als kickten ein paar Rentner nach Feierabend im Sand der Copacabana, aber nicht wie die Creme de la Creme des Weltfußballs in einem Achtelfinale einer Weltmeisterschaft. Ziellos passten sie sich den Ball immer wieder zu. Es war wohl Teil einer ausgeklügelten Ermüdungstaktik. Denn mit der Zielgenauigkeit einer aus dem Unterholz hervorschnellenden Schlange, kamen die Brasilianer in dieser fast mysteriös anmutenden Verkettung spielerischer Banalitäten immer wieder zu Torerfolgen."

Viel Präzision und ein bisschen Kunst

Roland Zorn (faz.net) kann beides erkennen, Glanz und Effizienz, und hält das für eine erfolgversprechende Mischung: "Nur in der ersten halben Stunde hatte die Selecao gegen ihren südamerikanischen Nachbarn ein paar kleinere Probleme, setzte sich dann aber deutlich von den stets bemühten Chilenen ab. 'Wir haben heute sehr gut gespielt - und nun sind wir auf einem guten Weg', sagte Fabiano. 'Das war schwer heute. Aber gegen die Holländer wird es noch schwerer.' Kaká und Robinho lieferten vor 54.000 Zuschauern den Glanz, während die Abwehr um Lucio und den sehr starken Juan den Zu-Null-Erfolg mit fehlerloser Arbeit abrundete. Macht die Mannschaft von Trainer Carlos Dunga nur so weiter, muss sich die Konkurrenz schon sehr strecken, um diese Brasilianer noch aufhalten zu können."

WM 2010: Pressestimmen
:"Zerrieben und zerfleischt"

Die Medien verabschieden die Engländer und üben scharfe Kritik an den Schiedsrichtern. Thomas Müller sorgt für eine Wortneuschöpfung. Die Presseschau.

Frank Hellmann (FR) kommt das Tor von Arjen Robben durchaus bekannt vor: "Im Grunde ist der Flügelflitzer mit seinen Finten und Finessen weltweit bis ins Detail durchleuchtet - nichtsdestotrotz ließen sich zwei Bundesliga-Kollegen, Hannovers Jan Durica und der Mainzer Radoslav Zabavnik, bei der Schlüsselszene wie tumbe Marionetten vorführen. 'Ich habe nur auf den richtigen Moment zum Schuss gewartet', sagte Robben nach dem Volltreffer in altbewährter Manier." Auch bei ihrem vierten Auftritt blieben die Holländer ihrem neuen nüchternen Stil treu, schreibt Christian Eichler (faz.net): "Trotz der Führung blieb ein Offensiv-Feuerwerk der Holländer aus. Sie spielten die Partie zunächst mit dem für sie neuen, kühlen Kontrollfußball herunter, der in erster Linie die Räume besetzen und das Tempo bestimmen will. Gegen das starke defensive Mittelfeld mit Mark van Bommel und Nigel de Jong kamen die Slowaken bis zur Pause nicht durch. Damit gaben sich die Holländer zufrieden und nahmen in Kauf, dass sie mit einem eher langsamen, sicherheitsorientierten Aufbauspiel nur zu ein paar Halbchancen kamen, vor allem durch van Persie, dem im Abschluss aber die Giftigkeit fehlte."

Schiedsrichterprobleme bei der FIFA

Tom Dunmore (pitchinvasion.net) stellt fest, dass der Unmut richtig addressiert sei: "Es ist ziemlich offensichtlich, dass nach Fehlentscheidungen der Schiedrichter mit dem Finger auf die FIFA gezeigt wird - und natürlich ist diese dafür verantwortlich, eine hohe Qualität der Schiedsrichterleistungen bei der WM und in diesem Weltsport sicherzustellen. Der sture Widerstand gegen selbst ausgereifte Torlinien-Technik ist nur das eklatanteste Beispiel für das Scheitern in diesem Punkt." Die so Kritisierten stellten sich jedoch einfach taub und verweigerten die Stellungnahme, beklagt Jens Weinreich (jensweinreich.de): "Auch Vizepräsident Chung Mong-Joon, der Hyundai-Milliardär, Uefa-Präsident Michel Platini oder Fifa-Präsident Joseph Blatter - alle sind sie schwer beschäftigt mit Speis und Trank und Ruhepausen. Und schließlich, was regt sich die Welt auf, haben sie doch schon alles zum Thema gesagt. Anfang März etwa, nach der Sitzung des für die Regeln zuständigen International Football Association Boards (IFAB). Damals übrigens stimmten auch zwei der vier britischen Verbände, die sich jetzt kollektiv über das nicht gegebene Lampard-Tor beschweren, im IFAB gegen die Einführung von Torkamera, Chip im Ball und Videobeweis. Auf die Aussagen nach jener IFAB-Sitzung verwies man nun erneut. Damals erklärte die FIFA-Gottheit Blatter: 'Wieso sollte man die Verantwortung des Schiedsrichters jemandem anderen übertragen? Selbst eine Zeitlupeneinstellung bringt keine Klarheit.' Diese WM bewies das Gegenteil."

Kai Pahl (allesaussersport.de) hatte ein Schlüsselerlebnis und fordert den Videobeweis: "Es ist ein hohes und ein wertvolles Gut, 45 Minuten Spielfluss am Stück zu haben und es gilt dieses Gut zu wahren. Ein anderes Gut ist aber die Integrität des Spiels. Das Schlüsselereignis das mich gestern endgültig kippen ließ, war nicht das 'Wembley-Tor' von Lampard, sondern das Schiedsrichtertrio um Roberto Rosetti. Die Gesichter nach dem Abseits-Treffer von Tevez-Treffer sprachen Bände: sie wussten dass sie eine krasse Fehlentscheidung getroffen hatten, sie wussten dass alle 22 Spieler, alle 84.000 Zuschauer im Stadion und alle Millionen Fernsehzuschauer die Abseitsstellung spätestens mit der Wiederholung sahen. Tevez drei Meter im Abseits. Und es gab keine Möglichkeit diese Entscheidung zu widerrufen, obwohl alle wussten, dass diese Entscheidung falsch war. Und das macht die Glaubwürdigkeit des Spiels kaputt. Das Gesicht von Roberto Rosetti und seinem Assistenten werde ich nicht so schnell vergessen."

WM 2010: Pressestimmen
:"Deutsche Angsthasen"

Vor dem Achtelfinale zwischen Deutschland und England nutzt die Insel-Presse einen deutschen Safari-Ausflug für eine Portion Spott - und hält sich ansonsten überraschend zurück. Ein Überblick.

Thomas Niggl (Tagesanzeiger) fragt sich, was aus dem Schweizer Schiedsrichter geworden sei, der nach seinem ersten Einsatz nicht mehr nominiert wurde: "In Südafrika kursieren um Busacca wilde Gerüchte und Spekulationen. Während des Spiels zwischen Südafrika und Uruguay hatte er sich den Zorn des Gastgeberlandes eingehandelt. Er hatte den einheimischen Torhüter Khune des Feldes verwiesen, weil dieser Uruguays Stürmer Sanchez mit einer Notbremse am Torschuss gehindert hatte. Den fälligen Elfmeter hat Forlan souverän verwandelt. Die 0:3-Niederlage war der Anfang vom Ende für die Südafrikaner an dieser Weltmeisterschaft gewesen. Wird Busacca auf Druck des Gastgeberlandes von der Fifa nicht mehr für weitere Spiele nominiert? Südafrikas brasilianischer Trainer Carlos Alberto Parreira hatte nach der Partie sogar gefordert: 'Dieses Gesicht will ich an dieser WM nicht mehr sehen.'"

Familienbande

Auch der jüngere Bruder Danny Jordaans (Chef des Organisationskomitees) profitiere recht ordentlich von der WM, schreiben Jackie Mapiloko, Gcina Ntsaluba und Adriaan Basson in der südafrikanischen Zeitung Mail & Guardian: "Eine Firma, die Jordaans jüngerem Bruder Andrew gehört, wurde von Match Event Service, dem Exklusivanbieter von WM-Hospitality-Angeboten, beauftragt, für 200.000 Rand (ca. 22.000€) pro Monat einen Verbindungsmann für Port Elizabeth zu stellen." Da Jordaan der einzige Gesellschafter der Firma sei, die den Auftrag im April letzten Jahres übernommen habe, "wird er bis zum Auslaufen des Vertrages im August mehr als 3 Mio. Rand erhalten haben."

Presseschau zusammengestellt von Jan-Carl Ronnecker

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