WM 2010: Deutschland - Argentinien:Wie ein alternder Pistolero

Lesezeit: 4 min

Joachim Löw darf jubilieren: Das 4:0 gegen Argentinien resultiert nicht nur aus läuferischer und spielerischer, sondern auch aus taktischer Überlegenheit. Diego Maradona bleiben nur viele Tränen und ein schwer zu erfüllender Wunsch.

Thomas Hummel, Kapstadt

Diego Maradona sah aus wie ein alternder Pistolero in einem Sergio-Leone-Western, der schwer getroffen seine letzten Worte klagt. "Das ist der härteste Moment in meinem Leben", knurrte er zwischen seinem grau-schwarzen Bart. Die weinenden Spieler zu sehen, auch sein Liebling Lionel Messi habe geheult. Dann raffte er sich kurz auf und schwelgte in einer fernen, schönen Zukunft: "Argentinien muss wieder zu voller Blüte gelangen ohne Wunder und Auseinandersetzungen. Es gibt so viele schöne Dinge im argentinischen Fußball."

WM 2010: Einzelkritik Deutschland
:Die Fliege im Gesicht Argentiniens

Schweinsteiger wird bestraft und provoziert Messi trotzdem auf die schlimmste Art, Müller kann es auch im Sitzen und Özil ist nicht einzufangen. Die deutsche Elf in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Kapstadt

Ob die Worte des einstigen Wunderspielers und jetzigen Nationaltrainers seinem Land Trost gaben, ist stark zu bezweifeln. 0:4 gegen Deutschland, das haut den stärksten Gaucho um. Ebenso darf der 49-Jährige nicht gewiss sein, ob das Volk ihn weiterhin als Anführer der Albiceleste, der hellblau-weißen Auswahl, sehen will. Maradona meinte nach dem Viertelfinale im Kapstadt Green Point Stadion, es sei nun nicht der richtige Zeitpunkt, um über einen Rücktritt zu diskutieren. "Darüber muss ich erst mit meiner Familie und meiner Verwandtschaft sprechen", brummte er.

Diego Maradona hinterließ nach dieser historischen Pleite der argentinischen Nationalmannschaft einen leicht desorientierten und, ja, schwer getroffenen Eindruck. Dabei hatte sein Tag bereits unruhig begonnen. Beim Aufwärmen schon war der Trainer wie ein nervöses Tier über das Spielfeld getigert, hielt hektische Einzelgespräche mit seinen Spielern, fuchtelte dabei mit den Fäusten, umarmte einige, als müsste er sich über den Verlust eines Angehörigen hinweghelfen. Als die Spieler sich vor dem Einlaufen im Gang aufstellten, küsste er alle Elf auf die Wange, ließ sich dann ein brustgroßes Handtuch geben und wischte sich damit mehrfach das Gesicht. Diego Maradona bebte vor Erregung.

Argentinien fehlte eine taktische Vorgabe

Die übertriebene Schau des Trainers hat vielleicht nicht das schnelle 1:0 der Deutschen verursacht, sie könnte es aber durchaus begünstigt haben. Denn während die Deutschen mit einem riesengroßen, zielsicheren Selbstvertrauen und positiver Energie in die ersten Minuten gingen, schienen die Argentinier gehemmt. Als Thomas Müllers Kopfball nach drei Minuten im Netz lag, wurde aus Nervosität Angst.

Da hätte vielleicht eine taktische Vorgabe geholfen, an der sich die Spieler hätten festhalten können. Doch auch das fehlte den Argentiniern. Maradona verstieg sich zu der Aussage, dass die Deutschen "bekannt sind für gute Standardsituationen". Dabei hatten diese Deutschen gefühlt seit dem WM-Finale 1986 kein Tor mehr nach einem ruhenden Ball erzielt. Und so ergab sich ein zweiter fundamentaler Unterschied zum Gegner. Denn die Deutschen hatten Maradonas Truppe wie schon die Engländer perfekt ausgekundschaftet, Stärken und Schwächen analysiert, als würde ein Röntgenbild die Geheimnisse über das Innere der argentinischen Mannschaft offenbaren.

"Wir wussten, dass die Argentinier eine zweigeteilte Mannschaft sind", erklärte Löw. Womit er genau das wiedergab, was zuvor im Green Point Stadion zu sehen war. Sechs Spieler in der Defensive sowie vier in der Offensive, "die nicht gerne nach hinten arbeiten" (Löw). Einen Wechsel zwischen den Mannschaftsteilen gab es kaum und für die Zone dazwischen fühlte sich niemand zuständig. So fand vor allem Bastian Schweinsteiger in der Feldmitte so viel freien Raum, wie er das nicht einmal in seiner Zeit bei den Bayern-Amateuren genossen hatte. Auch Sami Khedira, Mesut Özil oder Thomas Müller konnten ihrem Spieltrieb rund um die Mittellinie freien Lauf lassen und dort ihre Angriffe vorbereiten.

WM 2010: Deutschland - Argentinien
:Cry for me, Argentina

Die deutsche Nationalmannschaft schlägt Argentinien mit 4:0 und zieht souverän ins Halbfinale ein. Selbst die Kanzlerin kann angesichts dieser Leistung wieder jubeln.

In der Defensive reihten die deutschen Spieler Kilometer an Kilometer, machten die Räume bei argentinischen Angriffen eng und enger, der Raum um Lionel Messi wurde dabei am engsten. Schweinsteiger und Khedira kümmerten sich um den kleinen Dribbler und verhinderten, dass dieser Fahrt aufnahm.

Zur Not sprangen die Mitspieler bei, einmal sogar Lukas Podolski.Messi ließ sich immer weiter nach hinten fallen, um den deutschen Jägern zu entkommen und schien sich dabei zu verlaufen. "Er war der Dreh- und Angelpunkt meines Team", sagte Maradona. Ein Angelpunkt, den die Deutschen aus der Fassung stemmten.

Die Argentinier hatten geglaubt, durch ihre international erfahrenen Kräfte einen Vorteil zu haben. Doch Löws Team verwandelte die erfahrenen Argentinier in eine Gruppe altersschwacher, überforderter Kempen. "Ich habe meiner Mannschaft gesagt: Ihr seid jünger, ihr seid schneller, ihr seid ausdauernder", berichtete Löw. Er sollte dann selbst beeindruckt sein von "den unglaublichen Wegen", die seine Spieler über den Rasen zeichneten. Und als seine jungen, schnellen, ausdauernden Deutschen nach der Pause zu ihren "enorm beeindruckenden Tempogegenstößen" (Löw) ansetzten, entstand ein Spiel voller Geschichten und Legenden.

"Es war ein Traum"

Da war der junge, nimmermüde Thomas Müller (im Halbfinale gegen Spanien wegen der zweiten gelben Karte gesperrt), der im Sitzen den Ball zu dem hinter ihm stehenden Podolski leitete, dessen Pass Miroslav Klose zu seinem 13. WM-Treffer über die Linie stupste (68.). Da war der königliche Mittelfeldlenker Bastian Schweinsteiger, der plötzlich ganz Argentinien nach dem Vorbild einer Oberaudorfer Skischule umlief und dem neuen Abwehr-Dirigenten Arne Friedrich sein erstes Tor im 77. Länderspiel aufzulegen (74.). Und da war Mesut Özil, der mit seinem im deutschen Fußball einmalig filigranen linken Fuß Klose auch noch den 14. WM-Treffer servierte (89.). Löw lag richtig, als er meinte, dass "nur noch ein oder zwei andere Spieler diese Quote haben". Nämlich Gerd Müller (14) und Ronaldo (15).

Als die Spieler ihre Ehrenrunde zu Ende gegangen war und in die Kabine kamen, hatte selbstredend Bundeskanzlerin Angela Merkel sich schon den Weg dahin zeigen lassen. Sie habe, so hieß es, alle Mitglieder des DFB-Trosses abgeklatscht, als die Spieler sie dann lauthals zu einer Rede aufforderten, habe sie mit dem Satz "es war ein Traum" begonnen. Merkel dürfte froh gewesen sein, sich wieder einmal mit strahlenden Siegern sonnen zu können, die keine Nachspielzeit benötigen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

WM 2010: Einzelkritik Deutschland
:Die Fliege im Gesicht Argentiniens

Schweinsteiger wird bestraft und provoziert Messi trotzdem auf die schlimmste Art, Müller kann es auch im Sitzen und Özil ist nicht einzufangen. Die deutsche Elf in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Kapstadt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: